Blumenschlacht in Villefranche
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„Ich gebe Ihnen Nummer 22, das Zimmer von Jean Cocteau“, sagt der Concierge zum eben angekommenen Paar. Das ist tatsächlich eine Auszeichnung, die schwerlich jedem Gast zuteil werden kann. Dabei gibt es sogar zwei Cocteau-Räume im Welcome Hotel in Villefranche-sur-Mer, dem Städtchen an der französischen Riviera zwischen Nizza und Monaco: besagte Nummer 22 und ein „Raucherzimmer“, in dem sich der Dichter, Romancier, Maler, Filmemacher, Regisseur, Schauspieler und, und, und … dem Opiumgenuss hingab.
Cocteau, das exzentrische „Enfant terrible“, lebte, vom Hotelier gesponsert, zwischen den Weltkriegen immer wieder in dieser Unterkunft. Dabei konnte er damals ebenso wie die anderen Gäste vom Balkon aus den „Combat Naval Fleuri“verfolgen, die maritime Blumenschlacht. Die veranstaltet die Stadt Villefranche seit 1902, und zwar bewusst am Rosenmontag, um nicht dem Mardi Gras, dem Faschingsdienstagsumzug im nahen Nizza, ins Gehege zu kommen. Heuer findet daher das Fest am 24. Februar statt.
Dem Ereignis gehen emsige Vorbereitungen voraus: Am Wochenende davor pflücken Dutzende Azuréens, also Bewohner der Côte d’Azur, 30.000 Nelken und 600 Kilogramm Mimosen, flechten Buchsbaumzweige zu Dutzenden Girlanden. Mit diesem Pflanzen- und Blumenschmuck brezeln sie am Montagvormittag etwa 20 Pointus auf, die typischen südfranzösischen Fischerboote. Kaum eines davon dient heute noch seinem ursprünglichen Zweck, doch die Ruderkähne gehören zum Kulturerbe der Blauen Küste, auf das die Einheimischen mächtig stolz sind.
Ab Montagmittag trudeln die Schaulustigen ein, und bald drängen sich Hunderte „Sehleute“am Rand von Villefranches kleinem Port de la Santé. Plötzlich ertönt rhythmisches Getöse: Mit flinkem Trommelwirbel paradiert eine kess uniformierte Mädchenkompanie; Folkloregruppen, eine bunte Steelband, Fahnenwerfer und private Faschingsumzügler folgen. Bis endlich die Schlacht beginnt. Langsam steuern die Pointus, schwimmenden Blumenläden ähnelnd, auf die Wartenden zu. Und dann wird geschossen, ziemlich scharf, aber mit Mimosen. Dutzende Hände strecken sich den durch die Luft fliegenden Bouquets entgegen, um solch einen gelben Frühlingsgruß zu erhaschen.
Erstaunlich, dass bei dem Gedränge kein Besucher ins Wasser purzelt. Die Gefahr ist allerdings groß, daher ist es schlau, das Kampfgetümmel aus sicherer Entfernung zu beobachten, etwa von den Loggien des Welcome Hotels. Einerseits. Andererseits birgt diese Fernsicht einen entscheidenden Nachteil: Von den Buschen, die die Matrosen von den Booten in die Menge schleudern, landet auf Balkonien garantiert nichts. Eigentlich sollten die Getroffenen die Geschosse ja zurückwerfen. Aber wer einen Strauß ergattert, gibt ihn nimmer her. Und so endet diese Schlacht wie so manch andere der Weltgeschichte: mangels Munition.
Mit den floralen Trophäen im Arm ziehen die Schlachtenbummler vorbei an der von Cocteau in den 1950er-Jahren ausgemalten spätmittelalterlichen Kapelle Saint Pierre bis zur Zitadelle, in der Ausstellungen und Konzerte den Combat Naval Fleuri kulturell einrahmen. Und unter der Zitadelle liegt Villefranches Hafenbecken Port Royale de la Darse, in dem Kreuzfahrtschiffe ankern, die im
Port de Nice hinter dem Mont Boron keinen Platz mehr finden. Per pedes ist dieses Hafenbecken und der Blumenmarkt in Nizzas Altstadt von La Darse aus auf der Corniche inférieur nahe des Meers in anderthalb Stunden zu erreichen.
Im Osten wird Villefranches Strand vom Cap Ferrat begrenzt, auf dem im Ort Saint Jean die Villa Ephrussi de Rothschild exemplarisch das Savoir-vivre der Belle Époque repräsentiert. Zwar soll die Bauherrin Béatrice de Rothschild mit ihren volatilen Gestaltungswünschen ein Dutzend Architekten in den Wahnsinn getrieben haben. Doch der heutige Besucher lernt hier den Goût Rothschild kennen, den opulenten Geschmack jener Bankiersfamilie, der andere „Nouveaux Riches“nacheiferten. Ganz schön verschroben muss die kunstsinnige Mäzenin darüber hinaus auch gewesen sein, hat sie doch Hundehochzeiten veranstaltet, auf denen sie ihre festlich gekleideten Vierbeiner miteinander vermählte.
Die Villa Ephrussi liegt inmitten prächtiger Gärten, von denen sich der Blick zur Villa Kérylos öffnet, dem Traum eines anderen Reichen, des Multitalents Théodore Reinach, der sich in Beaulieu (der Name spricht für sich) vor den steil zum Meer abfallenden Seealpen eine neohellenistische Residenz errichten ließ. Und wer noch einmal Cocteau bewundern möchte, der fahre an Monaco vorbei weiter bis Menton, wo der Universalkünstler den Trauungssaal im Rathaus ausgemalt hat. Eine Gesamtschau über Cocteaus OEuvre bietet übrigens die dortige Collection Wunderman, die nach einem Meerwassereinbruch in das Musée de la Bastion übersiedelt ist. Wem aber sowieso mehr nach Karneval ist: Mentons Zitronenfest läuft noch bis zum 3. März.