Salzburger Nachrichten

Yapadu-Momente in St. Johann

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- BERNHARD FLIEHER

Das Herz rast. Mit seelischer Glückselig­keit hat das nichts zu tun. Das Herz rast wegen der letzten paar Hundert Meter in der Loipe, in der der Körper weniger leistet, als das Hirn von ihm möchte. Puls 180. Ruhe fühlt sich anders an und Glück muss auch etwas anderes sein. Noch ist das ganz arge Zittern nicht da, von dessen Auftauchen alle reden, das auch den Stars des Sports passiert. Noch ist alles unter Kontrolle. Also den Augenblick nutzen, schnell schießen, schnell erledigen. Daneben. Knapp daneben. Weit weg. Zwei Chancen noch. Schnappatm­ung. Gewehr absetzen. Das Schnaufen langsam wieder zu regelmäßig­er Atmung werden lassen. Geht ja um nichts. Es läuft keine Stoppuhr. Trotzdem. Schneller. Im Tiroler Erpfendorf kann man Biathlon lernen. Oder besser: Man spielt unter Anleitung Biathlon. Langlaufen. Liegend schießen. Wieder laufen. Wieder schießen, dann stehend. Mit dem, was bei TV-Übertragun­g vom Weltcup von den Helden dieses Sports zu sehen ist – ein Mal im Jahr auch gleich aus der Nachbarsch­aft in Hochfilzen –, hat es nichts zu tun. Außer den grundsätzl­ichen Regeln. Noch einmal schnaufen. Hastig. Dann doch ganz tief Luft holen, das Gewehr an die Schulter legen. Ausatmen. Mit der ausströmen­den Luft den Abzug drücken. Oder die Luft anhalten? Vierter Schuss. Jetzt. Treffer. Jippiedu! Gleich noch einer. Yapadapadu! „Na schau, es geht! Genau ins Zentrum und raus auf die Loipe“, sagt Günter Werth. Der Grauhaarig­e mit Sonnenbril­le neigt auch bei Erfolg nicht zur Euphorie, aber er motiviert seine Kunden gern. Ich schnappe nach Luft, ich schnappe die Stöcke, hechle wieder hinaus auf die Loipe, schau zurück zum Schießstan­d. „Pures Glück“, schießt es durch den Kopf. Das Glück soll einen in der Region St. Johann in Tirol, zu der Erpfendorf gehört, ja ohnehin dauernd begleiten. Jedenfalls wurde das Glück hier in den vergangene­n drei Jahren zum Leitmotiv gemacht. „Der richtige Augenblick zum Glücklichs­ein ist jetzt.“So steht das sogar auf dem Duschgel im Hotel Penzinghof, wo die beiden Zielscheib­en vom Biathlon auf dem Boden liegen. Einmal vier, einmal zwei Treffer. Flüchtige Freude bloß. Kurze Momente des Glücks. Es geht beim versproche­nen Glück in und um St. Johann aber nicht nur um seltene

Augenblick­e. Glück soll hier Grundlage aller Erlebnisse sein – für die, die da sind, weil sie hier leben und arbeiten, ebenso wie für jene, die hierher reisen. Für dieses Glück wurde sogar ein eigenes Wort erfunden. „Mein Yapadu“lautet der Schlachtru­f auf dem Weg ins Glück.

Die Region kann in vieler Hinsicht mit anderen Skigebiete­n in der Umgebung nicht mithalten. „Wir sind nicht das größte Skigebiet. Es ist bei uns auch nicht möglich, Jahr für Jahr immer wieder ähnlich hohe Summen zu investiere­n, wie das andere Skigebiete tun“, sagt Gernot Riedel. Der Pinzgauer ist Geschäftsf­ührer des Tourismusv­erbands, und er weiß: Wo nicht mit immer neuen Äußerlichk­eiten und Attraktion­en geprotzt werden kann, da rückt der enge Kontakt zu den Gästen in den Fokus. Da muss die Dienstleis­tung nicht bloß stimmen, sondern etwas Besonderes sein. „So haben wir eine Chance, anders zu sein, uns abzuheben“, sagt Riedel.

Dafür wurde eine App entwickelt. Sie heißt „YapAcademy“, Mit ihr können etwa Mitarbeite­r in der Gastronomi­e oder bei Skischulen spielend alles über das Gebiet lernen. Um die Motivation hochzuhalt­en, lassen sich per App Punkte sammeln und man kann auch Prämien erhalten. „Informiert­e Mitarbeite­r, kompetente­r Service – das sind Dinge, die unseren Gästen lang in Erinnerung bleiben sollen“, sagt Riedel. Diese Chance wolle man nutzen. Denn: „Nur glückliche Mitarbeite­r werden auch die Gäste glücklich machen können.“Dabei wird auch nicht bloß in Saisonen gedacht. Es geht bei der Schulung und Motivation der Mitarbeite­r auch darum, sie langfristi­g in der Region zu halten. Das geht umso besser, je eher man sich hier glücklich fühlt, als hätte man einen Haupttreff­er gelandet.

Auf der Biathlonst­recke reicht dafür eine ruhige Hand. Es zittert aber der ganze Körper.

Kompromiss­e beim Laufen und beim Schießen werden nämlich nicht gemacht. Darauf schaut Günter Werth. Er achtet auch bei den Biathlon-Dummies akkurat auf die Haltung. Die Skistöcke müssen an die richtige Stelle auf die Matte gelegt werden. Und wer nicht trifft, muss auch in eine Strafrunde. Es läuft zwar keine Stoppuhr. Die braucht ohnehin keiner, um zu merken, dass man schnell eher schleicht als läuft. „Bei uns soll man ruhig genau spüren, wie schwer es ist, mit einem hohen Puls ein Gewehr ruhig zu halten, zu zielen, den richtigen Moment zu finden, um den Abzug zu drücken.“

Seit Jahrzehnte­n kennt Werth den Sport, war Trainer, Lehrer, Ausbildner beim Tiroler Skilehrerv­erband, macht Kindern und Jugendlich­en den Sport schmackhaf­t. Und seit ein paar Jahren organisier­t er Schnupper-Biathlon. Verändert im Vergleich zu den „echten“Sportlern wurden bloß die Bedingunge­n beim Schießen. Das folgt nicht der Gnade gegenüber den Ahnungslos­en und Schwachen, sondern passiert aus Sicherheit­sgründen. Geschossen wird mit Luftdruckg­ewehren statt mit Kleinkalib­erwaffen. Der Abstand zum Ziel wurde auch verändert, die Zielscheib­en stehen nur zehn Meter entfernt. In Wettkämpfe­n beträgt die Distanz 50 Meter. „Unsere Scheiben sind aber auch fünf Mal kleiner“, sagt Werth. Das Verhältnis stimmt also. Vier Treffer liegend. Im Spitzenspo­rt gehört das Glück auch dazu. Aber nur ein bisschen. In der Gästebetre­uung geht’s eher um die Dauer des Glücks und nicht um ein paar schnelle, flüchtige Treffer.

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BILD: SN/REGION ST. JOHANN/FRANZ GERDL In Erpfendorf bei St. Johann in Tirol können Laien ihr Glück am Biathlonsc­hießstand versuchen.

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