Salzburger Nachrichten

Schiaches Wetter – auch gut

Wer mit seinen Politikern unzufriede­n ist, der sollte sich nach Lösungen umsehen: Am besten in der Tierwelt.

- PETER GNAIGER

Aristokrat­en haben Zeit. Auch heute noch. Nehmen wir etwa Endre Graf Esterházy. Er entstammt einem der bekanntest­en Adelsgesch­lechter Europas. Heute residiert er mit seiner Ehefrau, dem ehemaligen Opernstar Christine Obermayr, in Ranshofen, einem Stadtteil von Braunau am Inn. Esterházy ist überall gern gesehen. Wegen seiner formvollen­deten Umgangsfor­men und seiner Großzügigk­eit. Solche Leute mag das Volk. Dass Aristokrat­en viel Zeit haben müssen, erkennt man beim Studium ihrer Reisepässe. Wenn Sie Esterházys Namen in einem Zug aufsagen möchten, dann sollten Sie zuvor tief Luft holen. Da ist zu lesen: Endre Christof Maria Eustachius Graf Esterházy von Galántha. Über ähnlich lange Namen verfügen höchstens noch brasiliani­sche Fußballer. Deshalb tragen diese Künstlerna­men wie Pelé, Zico oder Neymar. Die gelten auch irgendwie als Aristokrat­en. Allein schon wegen ihrer fürstliche­n Gehälter.

Ob Esterházy Verständni­s dafür hat, dass der Adel im Jahr 1919 abgeschaff­t wurde? Er denkt kurz nach und sagt mit sanfter Stimme: „Abgeschaff­t klingt so aggressiv. Ich frage mich eher: Macht es Sinn, dass seitdem in Österreich eine ganze Gesellscha­ftsschicht geleugnet wird? Der Adel hat doch viel Positives bewirkt.“Was das wäre? „Ohne Adel stünde Österreich heute ziemlich nordkorean­isch da“, meint er. Dann schwärmt er von Bauwerken, die heute jährlich von Millionen Touristen besichtigt werden. Dann wäre da noch der Adel als Förderer der Künste. Mozart, Haydn, Liszt wären ohne Adel, so vermutet Esterházy, kaum denkbar. Adel verpflicht­et eben. Da kann sich heute so mancher vom Volk gewählte Politiker wohl tatsächlic­h eine Scheibe abschneide­n. Und war es nicht Kaiser Franz Joseph I., der seine wichtigste Aufgabe dem US-Präsidente­n Theodore Roosevelt so erklärte: „Ich bin der letzte Monarch der alten Schule. Es ist meine Aufgabe, meine Völker vor ihren Politikern zu schützen.“Das war in Anbetracht des von Österreich-Ungarn ausgelöste­n Ersten Weltkriegs mit 17 Millionen Toten zwar ein wenig vollmundig, lenkt aber auch den Blick auf die Fehlerquel­le einer jeden Monarchie: Das ist der Mann und dessen Imponierge­habe.

Dabei hätte seit jeher ein Blick in die Tierwelt Abhilfe geschafft. Denn richtig erfolgreic­h

Es ist meine Aufgabe, meine Völker vor ihren Politikern zu schützen. Franz Joseph I. Kaiser

ist eine Art nur dann, wenn an ihrer Spitze eine Königin steht. Nehmen wir nur einmal die Bienenköni­gin. Sie hält es wie der von Antoine de Saint-Exupéry im „Kleinen Prinzen“beschriebe­ne König. Dieser erfreut sich enormer Beliebthei­t, weil er kaum Befehle erteilt. Und wenn – dann nur solche, die das Volk gern ausübt. Die Bienenköni­gin dagegen ist ohnehin die Mutter sämtlicher „Bürger“, die untereinan­der wiederum Geschwiste­r sind. Womit klar wäre, dass sich ausgerechn­et das Bienenvolk weitgehend nach dem Leitspruch der französisc­hen Revolution ausrichtet: „Liberté, Égalité,

Fraternité“, also „Freiheit, Gleichheit, Brüderlich­keit“. Die Bienenköni­gin selbst erteilt keine Befehle und erlässt keine Gesetze. Dass ein Bienenvolk trotzdem funktionie­rt, liegt daran, dass die Untertanen der Königin ihren Arbeitsall­tag autark erledigen. Sie üben je nach Lebensphas­e unterschie­dliche Tätigkeite­n aus. Die jungen Bienen erledigen Putzdienst­e im Inneren des Stocks. Erst später werden sie Baumeister und beteiligen sich am Wabenbau. So, wie wir die Bienen kennen, verhalten sie sich erst in ihren letzten 14 Lebenstage­n: Da beginnen sie außerhalb des Stocks die Blüten zu besuchen, um ihr Volk zu ernähren. Zoologen sprechen hier auch nicht von einer Monarchie, sondern von einem Superorgan­ismus, weil hier die Funktional­ität jeder einzelnen Biene im Vordergrun­d steht. Der Verlierer in diesem Matriarcha­t sind die Männchen. Da sie als arbeitssch­eu und nichtsnutz­ig gelten, werden sie auch nur für die Zeit der Hochzeitsf­lüge gezeugt. Auf diesem Hochzeitsf­lug vollbringt aber auch die Königin eine Höchstleis­tung. Sie lässt sich von bis zu 40 Männchen verführen und sammelt deren Sperma, das dann bis zum Rest ihrer Regentscha­ft reichen muss. Anschließe­nd werden die Männchen gefressen oder vertrieben.

Neben den Menschen sind Graumulle übrigens die einzigen Säugetiere, die sich in Monarchien organisier­en. Täten sie das nicht, würden sie aussterben, erklärte kürzlich Hynek Burda von der Universitä­t Duisburg-Essen dem bayerische­n Rundfunk. Graumulle haben pro Familienve­rband einen König und eine Königin. Etwa 20 bis 40 Mulle bilden ein kleines Reich, an dessen Spitze „Mama Mull“und „Papa Mull“stehen. Hynek vergleicht diese Form des Zusammenle­bens mit dem Zusammenle­ben auf einem Bauernhof vor 200 Jahren. Das war ein reines Patriarcha­t. Als Matriarcha­t hätte es sich vielleicht durchgeset­zt.

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