Ex-Manager kritisiert Kapitalisten
Von Gier und Kapitalismus. Manfred Holztrattner war Generaldirektor bei Raiffeisen Salzburg. Heute warnt er vor dem nächsten großen Finanzcrash. Und macht unfähige Manager und gierige Kapitalisten verantwortlich.
In seiner Karriere bei Raiffeisen hat er so manche Finanzkrise und Börsenblase erlebt – heute ist Manfred Holztrattner ein Kämpfer für einen „Mittelweg zwischen Kapitalismus und Planwirtschaft“.
SN: Herr Holztrattner, Sie haben ein Berufsleben lang im Kapitalismus Geld verdient. Warum verurteilen Sie ihn jetzt scharf?
Manfred Holztrattner: Wir haben bei unseren Geschäften nicht als Kapitalisten, sondern als Teil der sozialen Marktwirtschaft gehandelt. Daher gilt meine Kritik auch nicht der Marktwirtschaft, sondern dem neoliberalen Kapitalismus, der aus den USA und Großbritannien kommt. Und: Ich bin seit 15 Jahren in Pension, vorher konnte ich keine Bücher schreiben. Aber predigen. Ich predige seit 25 Jahren gegen die Auswüchse, die da passieren.
SN: Als Generaldirektor der Raiffeisen – waren Sie da nicht Teil des Systems?
Nein, und ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich habe unseren Mitarbeitern allesamt verboten, diese Fremdwährungskredite bei uns aufzunehmen. Diesen Unsinn hätten Notenbank und Behörden längst verbieten müssen, und ich habe auch gefordert, dass man sie verbietet. Aber man hat nicht auf mich gehört. Auch hätten wir als Raiffeisen nie diese unverantwortlichen Produkte in unsere Bestände aufgenommen – ich meine die Finanzinstrumente, die nur zum Zocken dienen und die dann 2008 die Finanzkrise ausgelöst haben. Nein, wir haben als Bank das gemacht, wofür Banken gut sind, obwohl ich teils als zu konservativ ausgelacht worden bin. Und bis heute haben die Verantwortlichen zu wenig gelernt.
SN: Weil?
Weil wir munter und mit vollem Dampf schon wieder auf die nächste Katastrophe zusteuern, die nächste Blase, den nächsten Kollaps. Deshalb.
SN: Wieso glauben Sie das?
Weil der ungezügelte angloamerikanische Kapitalismus ständig diese Spekulationsblasen erzeugt. Es kommt immer wieder zu absurden Höhenflügen von Aktien, dazu kommen die Derivate. Dahinter stehen aber keine echten Werte – es ist dieselbe Firma, die dasselbe produziert, aber auf einmal das Zehnfache wert sein soll. Wie soll das denn bitte auf Dauer gut gehen? Irgendwann fällt das Kartenhaus zusammen. Wie vor zehn Jahren, wie vor 20 Jahren und so weiter.
SN: Sie meinen, weil vor 20 Jahren die sogenannte Dotcom-Blase platzte?
Natürlich. Das war das perfekte, aber sich stets wiederholende Beispiel: Großspurige Versprechungen der Firmenmanager, dahinter keine Substanz. Die Haie haben Luft in die Blasen geblasen, bis sie geplatzt sind. Die Anleger sind dem auf den Leim gegangen – auch wieder entgegen meinen damaligen Warnungen. Das Ergebnis waren Hunderte Milliarden Dollar Schaden. 2008 dann gab es genau dieselbe Aufblähung bei Immobilien. Da haben Hausbesitzer Kredite bekommen für den Wert, den ihr Heim hoffentlich irgendwann in der Zukunft einmal haben könnte. Das muss doch jeder kapieren, dass das nicht vernünftig ist. Und dann sind wieder die Finanzmarktinstrumente ins Spiel gekommen.
SN: Ja, wie hießen die noch gleich?
Also, Faustregel: Je englischer der Name eines Finanzinstruments ist, desto weniger werden Sie ihr Geld jemals wiedersehen. CDO, CBO, ABS, CDS, wissen Sie noch, was das heißt? Collateralized Debt Obligation, Collateral Bond Obligation, Asset Backed Securities, Credit Default Swap und so weiter. Damals hat man die Ramschkredite der US-Häuselbauer dann den europäischen Banken angedreht. Und die waren so unfähig, das Zeug ihren Kunden anzudrehen. So ist die ganze Krise erst zu uns herübergeschwappt. Stellen Sie sich vor, wir hätten uns das damals erspart und diesen ganzen Unsinn einfach mit einem Federstrich verboten. Was wäre uns alles erspart geblieben! Unfähigkeit zur Potenz in den Führungsetagen. SN: Also – Sie würden solche Finanzinstrumente einfach verbieten? Das wäre natürlich eine erhebliche Beschränkung des freien Markts.
Gegenfrage: Wo sind heute noch Treu und Glauben? Wo ist die kaufmännische Sorgfalt? Wo ist die Ethik in diesem liberalen, monetaristischen Kapitalismus? Und vor allem: Was haben wir aus den Krisen der Vergangenheit gelernt? Nichts! Sonst hätten Notenbank und Gesetzgeber schon längst drastische Reformen einleiten müssen.
SN: Nämlich?
Man müsste die Banken redimensionieren, das wäre das Erste.
SN: Also – zerschlagen?
Ja, denn die großen sind nicht die gescheitesten, wie sie selbst immer glauben, sondern die krisenanfälligsten. Diese Investmentbank-Moloche gehören in ihre einzelnen Geschäftssparten aufgeteilt, in den USA genauso wie in Europa. Das Nächste ist: Man muss diesen brandgefährlichen Kryptowährungen einen Riegel vorschieben. Das wäre die dringendste Aufgabe der Notenbanken: endlich Hüter der Währung zu sein. Wenn wir uns einmal solchen Spekulationsobjekten wie Bitcoin und seinen Nachfolgern ausgeliefert haben, dann gibt es kaum noch ein Zurück. Und: Die Kontrolle, die Finanzmarktaufsicht und Notenbank derzeit ausüben – die gehört endlich ausgedehnt auf die großen Investmentfonds, Blackrock und die anderen Riesen. Die Notenbanken müssen auch aufhören, wie in den letzten Jahrzehnten unfassbare Geldmengen zu drucken – meist um den verschuldeten Staaten zu helfen. Auch zu diesen riesigen Geldmengen gibt es keine Entsprechung in der realen Wirtschaft. Ich schlage daher vor, dass man zu einer mit Gold gedeckten Währung zurückkehrt, wie in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg. Das ist möglich, man muss es nur wollen. Und dann: Führen wir doch in Europa endlich die schon seit Jahrzehnten diskutierte Finanztransaktionssteuer lückenlos für alle Geldtransfers ein.
SN: Das ist die berühmte Tobin-Steuer.
Genau. Stellen Sie sich vor: 0,05–0,1 Prozent des Transaktionswerts
werden abgezogen, das stört doch keinen normalen Anleger auf der Welt, das ist völlig vernachlässigbar. Aber: Dieser total verrückte Computerhandel in Lichtgeschwindigkeit, der wird dadurch mit einem Schlag unattraktiv. Und Aktien würden wieder das sein, was sie sein sollen: eine mittel- und langfristige Veranlagung, damit Firmen Geld bekommen, um es zu investieren. Und fertig.
SN: Aber wenn die EU das allein einführt, könnte der Handel einfach überall sonst weitergehen und Europa einfach aussparen.
Wir sollen uns das endlich trauen! Wir sind 500 Millionen Menschen und der größte Binnenmarkt der Welt. Wir müssen endlich unsere eigene Wirtschaftspolitik machen, unabhängig von den USA.
SN: Und wie sähe die aus?
Sie wäre ein Mittelweg. Aus dem liberalen Kapitalismus und der Planwirtschaft. Das, was Ludwig Erhard als „Wohlstand für alle“definiert hat – statt unermesslicher Reichtum für ein paar ganz wenige. Aber die sitzen in Banken und Industriekonzernen und haben eine starke Lobby.
SN: Sie geißeln den liberalen Kapitalismus amerikanischer Prägung. Aber ist das Problem nicht einfach die menschliche Gier an sich, die immer wieder und überall zum Durchbruch kommt?
Das Problem ist die kapitalistische Logik: mehr, mehr, noch mehr Geld verdienen. Die das wollen, sind Götzenanbeter, die um ein goldenes Kalb tanzen. Sie brauchen keinen Staat und keine Ethik, sie wollen Freiheit von gesetzlichen Beschränkungen, Freiheit von Steuern.
SN: Welche Partei wählen Sie eigentlich? Grün?
Ich bin ein völlig neutraler, kritisch-rationaler Mensch. Ideologie steht bei mir im Hintergrund – denn Ideologien haben der Menschheit nur geschadet.