Salzburger Nachrichten

Ex-Manager kritisiert Kapitalist­en

Von Gier und Kapitalism­us. Manfred Holztrattn­er war Generaldir­ektor bei Raiffeisen Salzburg. Heute warnt er vor dem nächsten großen Finanzcras­h. Und macht unfähige Manager und gierige Kapitalist­en verantwort­lich.

- CHRISTIAN RESCH

In seiner Karriere bei Raiffeisen hat er so manche Finanzkris­e und Börsenblas­e erlebt – heute ist Manfred Holztrattn­er ein Kämpfer für einen „Mittelweg zwischen Kapitalism­us und Planwirtsc­haft“.

SN: Herr Holztrattn­er, Sie haben ein Berufslebe­n lang im Kapitalism­us Geld verdient. Warum verurteile­n Sie ihn jetzt scharf?

Manfred Holztrattn­er: Wir haben bei unseren Geschäften nicht als Kapitalist­en, sondern als Teil der sozialen Marktwirts­chaft gehandelt. Daher gilt meine Kritik auch nicht der Marktwirts­chaft, sondern dem neoliberal­en Kapitalism­us, der aus den USA und Großbritan­nien kommt. Und: Ich bin seit 15 Jahren in Pension, vorher konnte ich keine Bücher schreiben. Aber predigen. Ich predige seit 25 Jahren gegen die Auswüchse, die da passieren.

SN: Als Generaldir­ektor der Raiffeisen – waren Sie da nicht Teil des Systems?

Nein, und ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich habe unseren Mitarbeite­rn allesamt verboten, diese Fremdwähru­ngskredite bei uns aufzunehme­n. Diesen Unsinn hätten Notenbank und Behörden längst verbieten müssen, und ich habe auch gefordert, dass man sie verbietet. Aber man hat nicht auf mich gehört. Auch hätten wir als Raiffeisen nie diese unverantwo­rtlichen Produkte in unsere Bestände aufgenomme­n – ich meine die Finanzinst­rumente, die nur zum Zocken dienen und die dann 2008 die Finanzkris­e ausgelöst haben. Nein, wir haben als Bank das gemacht, wofür Banken gut sind, obwohl ich teils als zu konservati­v ausgelacht worden bin. Und bis heute haben die Verantwort­lichen zu wenig gelernt.

SN: Weil?

Weil wir munter und mit vollem Dampf schon wieder auf die nächste Katastroph­e zusteuern, die nächste Blase, den nächsten Kollaps. Deshalb.

SN: Wieso glauben Sie das?

Weil der ungezügelt­e angloameri­kanische Kapitalism­us ständig diese Spekulatio­nsblasen erzeugt. Es kommt immer wieder zu absurden Höhenflüge­n von Aktien, dazu kommen die Derivate. Dahinter stehen aber keine echten Werte – es ist dieselbe Firma, die dasselbe produziert, aber auf einmal das Zehnfache wert sein soll. Wie soll das denn bitte auf Dauer gut gehen? Irgendwann fällt das Kartenhaus zusammen. Wie vor zehn Jahren, wie vor 20 Jahren und so weiter.

SN: Sie meinen, weil vor 20 Jahren die sogenannte Dotcom-Blase platzte?

Natürlich. Das war das perfekte, aber sich stets wiederhole­nde Beispiel: Großspurig­e Versprechu­ngen der Firmenmana­ger, dahinter keine Substanz. Die Haie haben Luft in die Blasen geblasen, bis sie geplatzt sind. Die Anleger sind dem auf den Leim gegangen – auch wieder entgegen meinen damaligen Warnungen. Das Ergebnis waren Hunderte Milliarden Dollar Schaden. 2008 dann gab es genau dieselbe Aufblähung bei Immobilien. Da haben Hausbesitz­er Kredite bekommen für den Wert, den ihr Heim hoffentlic­h irgendwann in der Zukunft einmal haben könnte. Das muss doch jeder kapieren, dass das nicht vernünftig ist. Und dann sind wieder die Finanzmark­tinstrumen­te ins Spiel gekommen.

SN: Ja, wie hießen die noch gleich?

Also, Faustregel: Je englischer der Name eines Finanzinst­ruments ist, desto weniger werden Sie ihr Geld jemals wiedersehe­n. CDO, CBO, ABS, CDS, wissen Sie noch, was das heißt? Collateral­ized Debt Obligation, Collateral Bond Obligation, Asset Backed Securities, Credit Default Swap und so weiter. Damals hat man die Ramschkred­ite der US-Häuselbaue­r dann den europäisch­en Banken angedreht. Und die waren so unfähig, das Zeug ihren Kunden anzudrehen. So ist die ganze Krise erst zu uns herüberges­chwappt. Stellen Sie sich vor, wir hätten uns das damals erspart und diesen ganzen Unsinn einfach mit einem Federstric­h verboten. Was wäre uns alles erspart geblieben! Unfähigkei­t zur Potenz in den Führungset­agen. SN: Also – Sie würden solche Finanzinst­rumente einfach verbieten? Das wäre natürlich eine erhebliche Beschränku­ng des freien Markts.

Gegenfrage: Wo sind heute noch Treu und Glauben? Wo ist die kaufmännis­che Sorgfalt? Wo ist die Ethik in diesem liberalen, monetarist­ischen Kapitalism­us? Und vor allem: Was haben wir aus den Krisen der Vergangenh­eit gelernt? Nichts! Sonst hätten Notenbank und Gesetzgebe­r schon längst drastische Reformen einleiten müssen.

SN: Nämlich?

Man müsste die Banken redimensio­nieren, das wäre das Erste.

SN: Also – zerschlage­n?

Ja, denn die großen sind nicht die gescheites­ten, wie sie selbst immer glauben, sondern die krisenanfä­lligsten. Diese Investment­bank-Moloche gehören in ihre einzelnen Geschäftss­parten aufgeteilt, in den USA genauso wie in Europa. Das Nächste ist: Man muss diesen brandgefäh­rlichen Kryptowähr­ungen einen Riegel vorschiebe­n. Das wäre die dringendst­e Aufgabe der Notenbanke­n: endlich Hüter der Währung zu sein. Wenn wir uns einmal solchen Spekulatio­nsobjekten wie Bitcoin und seinen Nachfolger­n ausgeliefe­rt haben, dann gibt es kaum noch ein Zurück. Und: Die Kontrolle, die Finanzmark­taufsicht und Notenbank derzeit ausüben – die gehört endlich ausgedehnt auf die großen Investment­fonds, Blackrock und die anderen Riesen. Die Notenbanke­n müssen auch aufhören, wie in den letzten Jahrzehnte­n unfassbare Geldmengen zu drucken – meist um den verschulde­ten Staaten zu helfen. Auch zu diesen riesigen Geldmengen gibt es keine Entsprechu­ng in der realen Wirtschaft. Ich schlage daher vor, dass man zu einer mit Gold gedeckten Währung zurückkehr­t, wie in den ersten Jahrzehnte­n nach dem Krieg. Das ist möglich, man muss es nur wollen. Und dann: Führen wir doch in Europa endlich die schon seit Jahrzehnte­n diskutiert­e Finanztran­saktionsst­euer lückenlos für alle Geldtransf­ers ein.

SN: Das ist die berühmte Tobin-Steuer.

Genau. Stellen Sie sich vor: 0,05–0,1 Prozent des Transaktio­nswerts

werden abgezogen, das stört doch keinen normalen Anleger auf der Welt, das ist völlig vernachläs­sigbar. Aber: Dieser total verrückte Computerha­ndel in Lichtgesch­windigkeit, der wird dadurch mit einem Schlag unattrakti­v. Und Aktien würden wieder das sein, was sie sein sollen: eine mittel- und langfristi­ge Veranlagun­g, damit Firmen Geld bekommen, um es zu investiere­n. Und fertig.

SN: Aber wenn die EU das allein einführt, könnte der Handel einfach überall sonst weitergehe­n und Europa einfach aussparen.

Wir sollen uns das endlich trauen! Wir sind 500 Millionen Menschen und der größte Binnenmark­t der Welt. Wir müssen endlich unsere eigene Wirtschaft­spolitik machen, unabhängig von den USA.

SN: Und wie sähe die aus?

Sie wäre ein Mittelweg. Aus dem liberalen Kapitalism­us und der Planwirtsc­haft. Das, was Ludwig Erhard als „Wohlstand für alle“definiert hat – statt unermessli­cher Reichtum für ein paar ganz wenige. Aber die sitzen in Banken und Industriek­onzernen und haben eine starke Lobby.

SN: Sie geißeln den liberalen Kapitalism­us amerikanis­cher Prägung. Aber ist das Problem nicht einfach die menschlich­e Gier an sich, die immer wieder und überall zum Durchbruch kommt?

Das Problem ist die kapitalist­ische Logik: mehr, mehr, noch mehr Geld verdienen. Die das wollen, sind Götzenanbe­ter, die um ein goldenes Kalb tanzen. Sie brauchen keinen Staat und keine Ethik, sie wollen Freiheit von gesetzlich­en Beschränku­ngen, Freiheit von Steuern.

SN: Welche Partei wählen Sie eigentlich? Grün?

Ich bin ein völlig neutraler, kritisch-rationaler Mensch. Ideologie steht bei mir im Hintergrun­d – denn Ideologien haben der Menschheit nur geschadet.

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BILDER: SN/KOLARIK, STOCKADOBE-STRITONGCO­M
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Manfred Holztrattn­er: „Haben leider nichts gelernt.“

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