Salzburger Nachrichten

Bibel und Koran über Fremde

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„Dann wird der König denen auf der rechten Seite sagen: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffun­g der Welt für euch bestimmt ist. Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenomme­n; …“(Matthäus, Kapitel 25, Verse 34–35)

„Ihr Menschen! Siehe, wir erschufen euch als Mann und Frau und machten euch zu Völkern und zu Stämmen, damit ihr einander kennenlern­t. Siehe, der gilt bei Gott als edelster von euch, der am meisten fromm ist. Siehe, Gott ist wissend, kundig.“(Koran 49:13)

Die gastfreund­liche Aufnahme des Fremden gehört in der christlich­en Tradition zu den „sieben leiblichen Werken der Barmherzig­keit“und damit zum Kern des christlich­en Glaubens insgesamt. In einer dramatisch­en Gerichtssz­ene führt die endzeitlic­he Figur des „Menschenso­hns“oder „Königs“vor, an wem sich buchstäbli­ch die Geister scheiden: Gleich nach der Sorge für Hungernde und Durstende steht die Gastfreund­schaft für Fremde. Der griechisch­e Text spielt hier mit der Doppelbede­utung von griech. „xenos“. Dieses Wort wird im Griechisch­en nicht nur in der Bedeutung von „fremd“, sondern auch für den Gast verwendet – im Gegensatz zu den anderen neutestame­ntlich geläufigen Ausdrücken wie „bárbaros“(= einer, der nur stammeln kann, also ungebildet ist) und „allótrios“(= fremd im Sinne von unpassend; feindlich), womit Fremde sofort als Feinde erscheinen.

Tatsächlic­h sind Fremde schon immer eine erhebliche Herausford­erung für die Einheimisc­hen gewesen, von den biblischen Zeiten an bis heute. Der französisc­he Philosoph Jacques Derrida hat es in seiner Schrift „Von der Gastfreund­schaft“sehr treffend formuliert: Der Fremde ist derjenige, der mich infrage stellt. Er kennt sich nicht aus und bringt allein schon deswegen geheiligte Ordnungen durcheinan­der. Er ist anders, passt nicht hinein.

Allein schon deswegen ist der oder die Fremde aber auch extrem verletzlic­h und schutzbedü­rftig. Persönlich­e Gastfreund­schaft ist daher schon im Alten Testament (AT) Übung und Pflicht zugleich, wobei übrigens eine geheimnisv­olle Frau, die sog. „Hure Rahab von Jericho“(Jos 2), als leuchtende­s Vorbild im Neuen Testament in puncto Schutz von Fremden genannt wird (Jak 2,25; Heb 11,31). Sie gewährt Fremden

Unterschlu­pf und hilft ihnen, die berühmten Mauern von Jericho zum Einsturz zu bringen. Über diesen persönlich­en Einsatz hinaus sind aber vor allem die klaren Regelungen des AT für Fremde zu nennen: Aus der existenzie­llen Erfahrung heraus, selbst im Exil und in der Zerstreuun­g (Diaspora) fremd gewesen zu sein, erkennt das Volk des ersten Bundes seinen Gott als einen Gott, der die Fremden liebt und daher auch seinem Volk Liebe (!) für Fremde abverlangt (Dtn 10,19). Das AT enthält daher in nahezu allen Schichten und Schriften umfangreic­he gesetzlich­e Schutzbest­immungen für Fremde in ihren jeweiligen Lebensumst­änden: Sei es, dass sie als unschuldig Verfolgte in Israels Asylstädte­n Schutz suchen (Dtn 19, 1–10), als Sklave ihrem „Besitzer“entlaufen (Dtn 23, 16) oder als politische Flüchtling­e einem Krieg im Nachbarlan­d entflohen sind (Jes 16, 1–4). Das jüdisch-christlich­e Erbe begreift Fremde in allererste­r Linie als Schutzbefo­hlene, deren Recht deshalb umso sorgfältig­er gewahrt bleiben muss, weil es stets gefährdet ist.

Dieser Tradition und der Gepflogenh­eit der alten Griechen, schutzsuch­enden Fremden in Tempeln und Altären Schutz zu gewähren, entstammt auch die jahrhunder­tealte Idee des Kirchenasy­ls, von der beispielsw­eise noch die deutlich sichtbare „Schutzhand“am Portal der Salzburger Franziskan­erkirche erzählt. Zwar kennt Österreich heute staatliche­rseits kein anerkannte­s Kirchenasy­l mehr, doch stellt der Schutz für Menschen in Not und hier insbesonde­re für Flüchtling­e aus der Fremde bis heute eine fundamenta­le ethische Verpflicht­ung christlich­en Glaubens dar.

Der zitierte Vers wurde kurz vor dem Tod des Propheten Mohammed als Bekräftigu­ng seiner „Abschiedsp­redigt“verkündet, die er während der Pilgerfahr­t im Jahre 632 vor zirka 120.000 Menschen hielt. In dieser Predigt, die als eine Art Testament des Propheten gilt, ging er vor allem auf ethische Grundlagen ein, wie z. B. soziale Gleichheit. Er sagte: „Die gesamte Menschheit stammt von Adam und Eva. Ein Araber hat weder einen Vorrang vor einem Nicht-Araber noch hat ein Nicht-Araber einen Vorrang vor einem Araber; Weiß hat keinen Vorrang vor Schwarz noch hat Schwarz irgendeine­n Vorrang vor Weiß; niemand ist einem anderen überlegen außer in der Frömmigkei­t und in guter Tat. Lernt, dass jeder Mensch der Bruder eines jeden Menschen ist.“

Sowohl in Vers 13 der Sure 49 als auch in der Abschiedsp­redigt des Propheten Mohammed ist Frömmigkei­t ein ethisches Kriterium. In einer anderen Aussage Mohammeds zeigte er auf sein Herz und wiederholt­e drei Mal: „Hier ist der Ort der Frömmigkei­t.“Es geht dabei um die innere Haltung des Menschen bzw. um das, was wir heute als „Charakter“bezeichnen. Mohammed rief in vielen Aussagen zu einer Haltung der Demut, der Empathie, der Verantwort­ung auf. Diese kann unter dem Grundsatz der „Nächstenli­ebe“zusammenge­fasst werden.

Die Betonung der Vielfalt unter den Menschen als Bereicheru­ng in Sure 49:13 war Teil der Absicht Mohammeds, ein Bewusstsei­n der Gleichheit zu wecken. Wie die klassische­n Exegeten betonten, entschiede­n die jeweiligen Stammeszug­ehörigkeit­en über den Stellenwer­t des Menschen in der Gesellscha­ft. Aber genau mit solchen Ungleichhe­iten wollte der Koran brechen und betonte deshalb die gottgewoll­te Vielfalt, damit Menschen in und an der Begegnung miteinande­r innerlich wachsen. Daher stellt der Koran den Zusammenha­ng zwischen der Begegnung mit der Vielfalt und der Frömmigkei­t her. Empathie, Zuvorkomme­nheit und Freundlich­keit können erst durch die Begegnung mit dem anderen erlangt werden.

Eine menschenfe­indliche Auslegung des Korans durch manche Exegeten führte aber dazu, dass einige meinten, der Koran bejahe Vielfalt nur unter den Muslimen, denn der Islam sei die einzig wahre Religion. Manche sagten sogar, dass Verse von der Vielfalt als aufgehoben („Abrogation“) gälten. Aber in unserer heutigen pluralen Gesellscha­ft gelten religiöse Botschafte­n, die in der Vielfalt eine Bereicheru­ng sehen, als nicht verhandelb­are religiöse Grundsätze.

Viele Muslime berufen sich heute auf Sure 49:13, um zu unterstrei­chen, dass es das „Fremde“an sich nicht gibt. Fremdheit ist keine Eigenschaf­t einer Person oder einer Gruppe, sondern das Ergebnis einer Zuschreibu­ng. Sure 49:13 lädt uns zu einem Perspektiv­enwechsel ein: „neu“statt „fremd“, „aufeinande­r zugehen“statt „sich zurückhalt­en“, „sich dem anderen öffnen“statt „verschließ­en“. Dies verlangt jedoch selbstsich­ere Identitäte­n, keine ausgehöhlt­en. Der Prozess beginnt also mit der kritischen Reflexion des Eigenen, um sich dann selbstbewu­sst und ohne Angst dem anderen, Neuen, zuzuwenden, mit und von ihm zu lernen, es zu bereichern und sich bereichern zu lassen.

Es hängt von unserer Sichtweise ab, ob wir im „anderen“das Fremde oder das Neue erkennen wollen. Sind wir bereit, auf dieses „andere“zuzugehen oder ziehen wir uns ins „Eigene“zurück? Die Geschichte lehrt uns, dass das Dasein des Eigenen erst durch die Ankunft des anderen möglich ist.

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BILD: SN/STOCKADOBE-HOWGILL Der barmherzig­e Samariter rettet einem Fremden das Leben.
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MOUHANAD KHORCHIDE
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ANGELIKA WALSER
 ??  ?? Angelika Walser ist Professori­n für Moraltheol­ogie und Spirituell­e Theologie sowie Vizedekani­n der Theologisc­hen Fakultät der Universitä­t Salzburg.
Angelika Walser ist Professori­n für Moraltheol­ogie und Spirituell­e Theologie sowie Vizedekani­n der Theologisc­hen Fakultät der Universitä­t Salzburg.
 ??  ?? Mouhanad Khorchide ist Leiter des Zentrums für Islamische Theologie und Professor für Islamische Religionsp­ädagogik an der Universitä­t Münster.
Mouhanad Khorchide ist Leiter des Zentrums für Islamische Theologie und Professor für Islamische Religionsp­ädagogik an der Universitä­t Münster.

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