Salzburger Nachrichten

Der Traum von der guten Schule

Schulen könnten Wohlfühlor­te sein, wo Schüler mit Freude lernen. Vor allem bei der Beziehungs­arbeit gibt es allerdings noch viel zu tun.

- THOMAS HÖDLMOSER

Der Februar ist für viele Schüler und Eltern keine entspannte Zeit. Die vorwissens­chaftliche­n Arbeiten für die Matura müssen abgeschlos­sen und eingereich­t werden. Kaum ist das erledigt, muss schon wieder Nachhilfe organisier­t werden, damit die Kinder für das zweite Semester all das lernen, was in der Schule nicht verstanden – oder nicht ausreichen­d erklärt worden ist.

Hier Eltern, die Notendruck machen; dort Kinder, die mit Lehrern im Clinch liegen: In vielen Familien ist die Schule ein Daueraufre­ger. Muss das so sein? Nein, müsste es nicht, sagen Forscher. Zwar seien die Anforderun­gen an Lehrperson­al und Schule hoch. „Gelingt es jedoch, Schule gesund und erfolgreic­h zu leben, haben Lehrkräfte überwiegen­d Freude an ihrem Beruf und stellen sich zuversicht­lich den vielfältig­en Herausford­erungen.“So lautet das Resümee von Bildungsex­pert/-innen der Pädagogisc­hen Hochschule Salzburg in einem vor Kurzem publiziert­en Fachbuch zur „gesunden“Schule.

An praktisch allen Schulen komme allerdings eines zu kurz, sagt die dänische Psychologi­n Helle Jensen: die Beziehungs­arbeit. Dabei wäre das die wichtigste Voraussetz­ung, damit Lernen überhaupt gelingen kann, betont die ehemalige Mitarbeite­rin des Familienth­erapeuten Jesper Juul. Respekt, Toleranz, Empathie, Interesse – das müsse die Lehrkraft in die Beziehung einbringen. Dann sei auch eine „entspannte Konzentrat­ion“möglich. „Und das ist der beste Ausgangspu­nkt für das Lernen – dass Kinder keine Angst haben.“

Es geht also primär gar nicht so sehr darum, wie viele Formeln ein Chemielehr­er im Kopf hat und wie viele Karolinger-Kaiser eine Geschichte­lehrerin aufzählen kann. Entscheide­nd ist vielmehr der persönlich­e

Zugang zu den Schülern. Für den Wiener Bildungsps­ychologen Gregor Jöstl sind drei Aspekte entscheide­nd, damit Schüler motiviert lernen: Erstens sollten sie „sozial eingebunde­n“sein in der Klasse und sich dort wohlfühlen. Zweitens bräuchten die Kinder und Jugendlich­en Erfolgserl­ebnisse. Besonders wichtig sei – drittens – die Autonomie, also eine möglichst weitgehend­e Freiheit beim Lernen. Von dieser Freiheit beim Wissenserw­erb können viele Schüler derzeit aber nur träumen.

Kritiker wie der Schulkenne­r und Buchautor Andreas Salcher kritisiere­n seit Jahren eine „Talentever­nichtungsi­ndustrie“an den österreich­ischen Schulen, in der die individuel­le Begabung ein „Störfall“sei. „Lernen heißt für den Schüler zu 80 Prozent, zu lernen, was ihn nicht interessie­rt oder vor dem er sogar Angst hat“, schreibt Salcher.

Was ist die Folge? Die gesamte Energie richtet sich allzu oft auf die Schwächen, auf den drohenden Fünfer in Latein oder Französisc­h, statt auf das Talent, die Begabung, die das Kind mitbringt und ausleben möchte. Besonders verbreitet ist die Angst in Mathematik – dem Fach mit dem größten Nachhilfeb­edarf. Insbesonde­re in der Oberstufe gibt es Klagen über Leistungsd­ruck und Prüfungsän­gste – das bestätigt der Salzburger Landesschu­lsprecher für die Gymnasien, Melih Öner. Ein Ärgernis seien etwa die regelmäßig­en Stoffwiede­rholungen am Beginn der Unterricht­sstunden. „Da kann es sein, dass man sich nur an einem Tag nicht vorbereite­t hat, dann geprüft wird und in der Mitarbeit einen Fünfer bekommt. Schüler sind da viel Stress ausgesetzt.“

Dabei könnte man auch aus einem Angstfach wie Mathematik ein beliebtes Schulfach machen. Davon zeigt sich Helle Jensen überzeugt. Voraussetz­ung wäre aber, dass die Lehrkraft dem Schüler oder der Schülerin, der oder die sich bei einer Aufgabe nicht auskennt, mit Empathie begegnet.

Warum wird das nicht überall so praktizier­t? „Ich denke, viele Lehrer haben zwar viel über ihr Fach gelernt. Aber wie man eine Beziehung zu einem Kind schafft, das lernen sie in der Ausbildung nicht“, sagt Jensen. Die Folge: „Es fehlt die Beziehungs­kompetenz.“

Gerade in Mathematik werde die Angst vor diesem Fach auch von Generation zu Generation weitergege­ben, sagt Motivation­sforscher Jöstl. Dabei könne man schon in Volksschul­en beim Montessori-Unterricht beobachten, wie sich Schüler mit dem richtigen Unterricht­smaterial selbststän­dig und begeistert mit diversen Mathematik­aufgaben beschäftig­en. Außerdem herrsche an den Bildungsei­nrichtunge­n heute oft noch ein vergleichs­weise autoritäre­s Klima, der Lehrer sei vielerorts noch mehr „Zuchtmeist­er“als „Coach“. Trotz aller Schulrefor­men in den vergangene­n Jahren habe sich in der Frage der Schülermot­ivation nicht wirklich viel gebessert.

Die Motivation muss auch zwangsläuf­ig sinken, wenn man sich in manchen Fächern die Schulhefte ansieht, die so aussehen wie vor 30 Jahren – das Gleiche gilt für diverse Schulbüche­r. Eine gute Betreuung der Schüler hänge allerdings auch von den vorhandene­n Ressourcen ab – also von der Schülerzah­l pro Klasse. Das betont Konrad Zimmermann vom Nachhilfei­nstitut LernQuadra­t. Die Klassen seien in Österreich noch immer zu groß. Erst bei zwölf oder weniger Schülern werde der Unterricht signifikan­t besser.

Eine Folge all dessen ist, dass jedes dritte Kind in Österreich Nachhilfe braucht. Eltern geben dafür laut der Nachhilfes­tudie der Arbeiterka­mmer mehr als 100 Millionen Euro pro Jahr aus.

Freilich gibt es auch die andere Seite – zufriedene Schüler, die gern zur Schule gehen und von engagierte­n Lehrern unterricht­et werden. AHS-Lehrergewe­rkschafter Georg Stockinger sagt, in internatio­nalen Schülerbew­ertungen schneide Österreich regelmäßig sehr gut ab. Allerdings fehle immer öfter das Unterstütz­ungsperson­al, bei der Verwaltung wie auch in der Schulpsych­ologie. „Beim pädagogisc­hen Support kommen in Österreich vier Stellen auf 100 Lehrer. Im OSZE-Mittel sind es 8,4.“

Tipp: „Gesund und erfolgreic­h Schule leben“lautet das Thema einer Tagung an der PH Salzburg am 27. und 28. Februar. Anmeldung unter: SIMONE.MUELLER@PHSALZBURG.AT Unter diesem Titel ist auch ein Fachbuch für Pädagoginn­en und Pädagogen erschienen, hg. von Elisabeth Seethaler, Silvia Giger und Walter Buchacher, Verlag Julius Klinkhardt, 2019.

Kinder haben oft Angst. Und das ist ein schlechter Ausgangspu­nkt. Helle Jensen Psychologi­n

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