Der Traum von der guten Schule
Schulen könnten Wohlfühlorte sein, wo Schüler mit Freude lernen. Vor allem bei der Beziehungsarbeit gibt es allerdings noch viel zu tun.
Der Februar ist für viele Schüler und Eltern keine entspannte Zeit. Die vorwissenschaftlichen Arbeiten für die Matura müssen abgeschlossen und eingereicht werden. Kaum ist das erledigt, muss schon wieder Nachhilfe organisiert werden, damit die Kinder für das zweite Semester all das lernen, was in der Schule nicht verstanden – oder nicht ausreichend erklärt worden ist.
Hier Eltern, die Notendruck machen; dort Kinder, die mit Lehrern im Clinch liegen: In vielen Familien ist die Schule ein Daueraufreger. Muss das so sein? Nein, müsste es nicht, sagen Forscher. Zwar seien die Anforderungen an Lehrpersonal und Schule hoch. „Gelingt es jedoch, Schule gesund und erfolgreich zu leben, haben Lehrkräfte überwiegend Freude an ihrem Beruf und stellen sich zuversichtlich den vielfältigen Herausforderungen.“So lautet das Resümee von Bildungsexpert/-innen der Pädagogischen Hochschule Salzburg in einem vor Kurzem publizierten Fachbuch zur „gesunden“Schule.
An praktisch allen Schulen komme allerdings eines zu kurz, sagt die dänische Psychologin Helle Jensen: die Beziehungsarbeit. Dabei wäre das die wichtigste Voraussetzung, damit Lernen überhaupt gelingen kann, betont die ehemalige Mitarbeiterin des Familientherapeuten Jesper Juul. Respekt, Toleranz, Empathie, Interesse – das müsse die Lehrkraft in die Beziehung einbringen. Dann sei auch eine „entspannte Konzentration“möglich. „Und das ist der beste Ausgangspunkt für das Lernen – dass Kinder keine Angst haben.“
Es geht also primär gar nicht so sehr darum, wie viele Formeln ein Chemielehrer im Kopf hat und wie viele Karolinger-Kaiser eine Geschichtelehrerin aufzählen kann. Entscheidend ist vielmehr der persönliche
Zugang zu den Schülern. Für den Wiener Bildungspsychologen Gregor Jöstl sind drei Aspekte entscheidend, damit Schüler motiviert lernen: Erstens sollten sie „sozial eingebunden“sein in der Klasse und sich dort wohlfühlen. Zweitens bräuchten die Kinder und Jugendlichen Erfolgserlebnisse. Besonders wichtig sei – drittens – die Autonomie, also eine möglichst weitgehende Freiheit beim Lernen. Von dieser Freiheit beim Wissenserwerb können viele Schüler derzeit aber nur träumen.
Kritiker wie der Schulkenner und Buchautor Andreas Salcher kritisieren seit Jahren eine „Talentevernichtungsindustrie“an den österreichischen Schulen, in der die individuelle Begabung ein „Störfall“sei. „Lernen heißt für den Schüler zu 80 Prozent, zu lernen, was ihn nicht interessiert oder vor dem er sogar Angst hat“, schreibt Salcher.
Was ist die Folge? Die gesamte Energie richtet sich allzu oft auf die Schwächen, auf den drohenden Fünfer in Latein oder Französisch, statt auf das Talent, die Begabung, die das Kind mitbringt und ausleben möchte. Besonders verbreitet ist die Angst in Mathematik – dem Fach mit dem größten Nachhilfebedarf. Insbesondere in der Oberstufe gibt es Klagen über Leistungsdruck und Prüfungsängste – das bestätigt der Salzburger Landesschulsprecher für die Gymnasien, Melih Öner. Ein Ärgernis seien etwa die regelmäßigen Stoffwiederholungen am Beginn der Unterrichtsstunden. „Da kann es sein, dass man sich nur an einem Tag nicht vorbereitet hat, dann geprüft wird und in der Mitarbeit einen Fünfer bekommt. Schüler sind da viel Stress ausgesetzt.“
Dabei könnte man auch aus einem Angstfach wie Mathematik ein beliebtes Schulfach machen. Davon zeigt sich Helle Jensen überzeugt. Voraussetzung wäre aber, dass die Lehrkraft dem Schüler oder der Schülerin, der oder die sich bei einer Aufgabe nicht auskennt, mit Empathie begegnet.
Warum wird das nicht überall so praktiziert? „Ich denke, viele Lehrer haben zwar viel über ihr Fach gelernt. Aber wie man eine Beziehung zu einem Kind schafft, das lernen sie in der Ausbildung nicht“, sagt Jensen. Die Folge: „Es fehlt die Beziehungskompetenz.“
Gerade in Mathematik werde die Angst vor diesem Fach auch von Generation zu Generation weitergegeben, sagt Motivationsforscher Jöstl. Dabei könne man schon in Volksschulen beim Montessori-Unterricht beobachten, wie sich Schüler mit dem richtigen Unterrichtsmaterial selbstständig und begeistert mit diversen Mathematikaufgaben beschäftigen. Außerdem herrsche an den Bildungseinrichtungen heute oft noch ein vergleichsweise autoritäres Klima, der Lehrer sei vielerorts noch mehr „Zuchtmeister“als „Coach“. Trotz aller Schulreformen in den vergangenen Jahren habe sich in der Frage der Schülermotivation nicht wirklich viel gebessert.
Die Motivation muss auch zwangsläufig sinken, wenn man sich in manchen Fächern die Schulhefte ansieht, die so aussehen wie vor 30 Jahren – das Gleiche gilt für diverse Schulbücher. Eine gute Betreuung der Schüler hänge allerdings auch von den vorhandenen Ressourcen ab – also von der Schülerzahl pro Klasse. Das betont Konrad Zimmermann vom Nachhilfeinstitut LernQuadrat. Die Klassen seien in Österreich noch immer zu groß. Erst bei zwölf oder weniger Schülern werde der Unterricht signifikant besser.
Eine Folge all dessen ist, dass jedes dritte Kind in Österreich Nachhilfe braucht. Eltern geben dafür laut der Nachhilfestudie der Arbeiterkammer mehr als 100 Millionen Euro pro Jahr aus.
Freilich gibt es auch die andere Seite – zufriedene Schüler, die gern zur Schule gehen und von engagierten Lehrern unterrichtet werden. AHS-Lehrergewerkschafter Georg Stockinger sagt, in internationalen Schülerbewertungen schneide Österreich regelmäßig sehr gut ab. Allerdings fehle immer öfter das Unterstützungspersonal, bei der Verwaltung wie auch in der Schulpsychologie. „Beim pädagogischen Support kommen in Österreich vier Stellen auf 100 Lehrer. Im OSZE-Mittel sind es 8,4.“
Tipp: „Gesund und erfolgreich Schule leben“lautet das Thema einer Tagung an der PH Salzburg am 27. und 28. Februar. Anmeldung unter: SIMONE.MUELLER@PHSALZBURG.AT Unter diesem Titel ist auch ein Fachbuch für Pädagoginnen und Pädagogen erschienen, hg. von Elisabeth Seethaler, Silvia Giger und Walter Buchacher, Verlag Julius Klinkhardt, 2019.
Kinder haben oft Angst. Und das ist ein schlechter Ausgangspunkt. Helle Jensen Psychologin