Priester wollten keine Engel sein
Seit dem 4. Jahrhundert forderten viele Kirchenobere die sexuelle Enthaltsamkeit von Priestern, um – wie es auch in antiken Religionen üblich war – deren kultische Reinheit zu gewährleisten. Doch das ließ sich in der Praxis keineswegs so einfach durchsetzen, wie der Kirchenhistoriker Arnold Angenendt beschreibt, ein keusches Leben sagte nicht jedermann zu. Bischof Gregor von Tours (538–594) berichtete von Bischof Brictius von Tours (gest. 444): Eine Nonne, „zu der die Diener des Bischofs seine Kleider zum Waschen zu bringen pflegten, wurde plötzlich schwanger und gebar. Da erhob sich voll Unwillen alles Volk zu Tours und maß die Schuld dem Bischof bei; einstimmig beschlossen sie, ihn zu steinigen.“Bischof Brictius konnte sich durch Flucht retten.
Auch der Chronist Lampert von Hersfeld (gest. nach 1081) dokumentierte in seinen Annalen den heftigen Widerstand der Priester gegen den Zölibat, auf den der Mainzer Erzbischof Siegfried I. (gest. 1084) im Jahr 1075 auf Synoden in Erfurt und Mainz pochte: „Gegen diese Anordnung erhob sich sogleich ein Sturm der Entrüstung in der gesamten Klerikerschaft; sie erklärten laut, der Mann sei ein vollendeter Ketzer und seine Lehre sei irrsinnig […]; er wolle die Menschen durch seine rigorose Forderung zwingen, wie die Engel zu leben […]; wenn er weiter an seiner Verordnung festhalte, wollten sie lieber das Priesteramt aufgeben als die Ehe; dann könne er zusehen, wenn er die Menschen für unrein halte, woher er die Engel nehmen wolle, um in der Kirche Gottes die Gemeinden zu leiten.“