Musiker wagen sich ins Digitale
Ein Musikverlag und ein Orchester trauen sich über eine Schwelle, die bisher als unbezwingbar gegolten hat.
HEDWIG KAINBERGER
WIEN.
Die Universal Edition hat eine Schallmauer in der Digitalisierung durchbrochen. Der traditionsreiche Wiener Musikverlag ist drei Monate nach dem offiziellen Start von „UE now“– so heißt der Vertrieb digitaler Noten – noch alleiniger Vorreiter. Beim Umschauen auf Websites anderer Verlage klassischer Musik – wie Schott, Breitkopf & Härtel, Bärenreiter und Boosey & Haweks – sieht man bestätigt, was Astrid Koblanck, Mitglied im Vorstand der Universal Edition (UE), sagt: „Wir sind die Ersten, die diese digitale Lösung anbieten.“Andere Musikverlage arbeiteten daran, „aber im Moment sind wir die Einzigen“.
Ein Musikverlag wie die Universal Edition hat zwei Flanken: Zum einen verkauft oder verleiht er Noten – seien es Sonaten für Klavierschüler, Liedertexte für Singfreudige oder Partituren, Stimmen und Klavierauszüge für Opern und Orchesterwerke. Zum anderen kümmert er sich um Aufführungen urheberrechtlich geschützter Werke. So vertritt die UE Kompositionen von Pierre Boulez, Friedrich Cerha, Wolfgang Rihm und Arvo Pärt. Kurzum: Sie stellt Noten und Lizenzen gegen Entgelt zur Verfügung.
Während Zeitungs- und Buchverlage längst ihre Angebote ebenso auf Papier wie digital formatieren, waren die klassischen Musikverlage lange Zeit wie gelähmt. Wer auch nur ein PDF von Noten wollte, musste dieses selbst einscannen oder bei einer Gratisseite herunterladen – beides oft jenseits der Grenze zu Raubkopie. In Konzerten sieht man einzelne Musiker, wie die Pianisten Igor Levit und Kit Armstrong, oder einmal ein Streichquartett von Tablets spielen. Und es hat einzelne
Initiativen von Herstellern gegeben, doch keinen Durchbruch.
Dieser sei für die Universal Edition mit der Einführung des iPadPro möglich geworden, schildert Astrid Koblanck. Vor allem mit der großen Version mit der 12,9-ZollDiagonale, die es seit November 2018 gibt, sind Noten ähnlich lesbar wie von Papier. Und diese Geräte trägt man einfach wie Notenhefte.
Zudem fand die Universal Edition einen auf Musik spezialisierten Vertriebspartner – Astrid Koblanck nennt ihn „unseren digitalen Postboten“. Das Team der französischen Firma Newzik hat jene App entwickelt, über die nun Noten aus „UE now“vertrieben werden.
Ein Kauf digitaler Noten über die Website der Universal Edition wird derzeit also über die Newzik-App abgewickelt. Allerdings wäre dies ebenso über andere Apps möglich, beteuert Astrid Koblanck. „Wir müssen da nur die Schnittstellen programmieren.“Übrigens: Derzeit funktioniert „UE now“nur für Apple-Geräte, demnächst soll es auch eine Browser-Version geben.
Abgesehen von blitzschneller Bereitstellung haben die Noten aus „UE now“zwei Vorteile im Vergleich zu Papier. Erstens: „Das Problem des Umblätterns ist erledigt“, sagt Astrid Koblanck. Wer will, kann mit Hintupfen per Finger umblättern. Viele Musiker nutzen ein über Bluetooth verbundenes Pedal.
Beim Lucerne Festival habe sie beobachtet, wie junge Musiker ein 50-minütiges Kammermusikstück Wolfgang Rihms gespielt hätten, erzählt Astrid Koblanck. Bei dem „sehr komplexen Werk“, wo jeder „fast nonstop durchspielen musste“, sei bisher das Umblättern nicht einfach gewesen. Mit iPads und Pedalen „hat es tadellos funktioniert“.
Die zweite Neuerung sind Schichten, im Fachjargon Layers.
Dank Layer-Technologie lässt sich den Noten anderes hinzulegen. Da könnte man sich etwa ein Foto vorstellen, das einen Fingersatz zeigt. Die derzeit vor allem für Orchester wichtige Ergänzung sind händische Eintragungen per Stift. Über iPads lassen sich diese – wie in digitalen Sportgruppen – bei Bedarf auf iPads von Kollegen übertragen. So kann ein Dirigent oder ein Stimmführer Details für alle Musiker oder eine Instrumentengruppe einzeichnen.
Weil das auch für Klavierauszüge möglich ist, hat sich im Testbetrieb in der Wiener Staatsoper etwas ergeben, womit Astrid Koblanck, wie sie den SN gesteht, nicht gerechnet habe: Nicht das Staatsopernorchester, sondern das Bühnenteam sei auf die Layer-Technologie angesprungen. Mussten bisher neue Details mühsam und oft über Nacht in viele Klavierauszüge übertragen werden, so gibt es nun für Regisseure, Inspizienten, Beleuchter, Souffleure wie Bühnenarbeiter zeitgleiche und idente Information.
Das weitum mutigste Orchester sind die Niederösterreichischen
Tonkünstler. Sie haben – in Kooperation mit Newzik – als erstes Orchester Österreichs ein Konzert im Musikverein komplett mit iPads gespielt. Nach diesem Testspiel im Herbst 2019 beginnt ab April 2020 der digitale Alltag: Ab da würden alle Konzerte nur noch digital vorbereitet, sagt Orchestermanager Samo Lampichler. Für Auftritte könne jeder Musiker wählen, von Papier oder vom iPad zu spielen.
Die UE ist für so etwas vorbereitet: Sie stellt Orchestern das Leihmaterial in jeglicher Mischung von Print und digital zur Verfügung.
Und in Salzburg? Im Mozarteumorchester gebe es einige junge Musiker, die zu Hause mit iPads übten, wurde den SN mitgeteilt. Doch im Orchesteralltag würden noch keine digitalen Noten verwendet.
Bei den Salzburger Festspielen seien die Erfahrungen der Wiener Staatsoper bekannt, sagt der Technische Direktor Andreas Zechner. Doch seien iPads auf und hinter der Bühne für einen Repertoirebetrieb vorteilhafter als für Festspiele mit wechselndem Sommerpersonal.