Salzburger Nachrichten

Italien riegelt ganze Städte ab Karneval in Venedig abgesagt

Der Norden Italiens befindet sich wegen des Coronaviru­s im Ausnahmezu­stand. Die Regierung denkt auch an den Einsatz des Militärs, um die Sperrbezir­ke zu sichern.

- Der Karneval in Venedig ist für heuer vorbei. Der Mundschutz löst die traditione­llen Pestmasken ab.

Das Telefon klingelt vier Mal. Dann antwortet Francesco A. Der 62-Jährige lebt mit seiner Familie im Zentrum der Kleinstadt Codogno, etwa 60 Kilometer südlich von Mailand. Codogno in der Lombardei ist seit dem Wochenende in Italien wegen des Coronaviru­s in aller Munde. Über die 15.000-Einwohner-Stadt sowie zehn andere umliegende Gemeinden hat die italienisc­he Regierung eine Aus- und Eingangssp­erre verhängt. Mehr als 50.000 Menschen sind in Quarantäne. Hier soll sich einer der Herde der Infektion befinden.

„Ich war seit Freitag nicht auf der Straße“, sagt Francesco A. Die Geschäfte seien geschlosse­n, Autos sehe man kaum auf der Straße. Es herrscht Ausnahmezu­stand in Codogno. Spätestens am Dienstag werden er und seine Frau wohl wieder das Haus verlassen müssen, die Lebensmitt­elvorräte gehen zur Neige. Verboten ist das nicht. Die Regierung hat angeordnet, dass der Sicherheit­sgürtel um die elf Gemeinden nicht verlassen werden darf, in der abgesperrt­en Zone dürfen sich die Bürger fortbewege­n.

Etwa 500 Polizisten kontrollie­ren die Zufahrtsst­raßen, nur mit Sondergene­hmigung darf die Zone betreten oder verlassen werden. Schulen,

Julius Müller-Meiningen berichtet aus Italien

Geschäfte und viele Büros sind geschlosse­n. Die Regierung behält sich den Einsatz des Militärs zur Überwachun­g der Epidemieze­ntren vor. „Wenn nötig, werden es auch die Streitkräf­te sein“, kündigte Ministerpr­äsident Giuseppe Conte an. In seiner Familie gehe es bisher allen gut, sagt Francesco A. „Wenn es passieren soll, dann passiert es eben.“So viel wie möglich zu Hause bleiben, regelmäßig Hände waschen, so geht sein Familie gegen das Virus an.

Mehr als 150 Personen sollen sich in Italien bisher angesteckt haben.

Betroffen sind vor allem die norditalie­nischen Regionen. In der Lombardei sind rund 100 Fälle bekannt, darunter Ärzte und Krankensch­western der Klinik in Codogno. Im Veneto wurden rund 30, im Piemont und in der Emilia-Romagna etwa ein Dutzend Patienten positiv getestet. Auch in einem römischen Krankenhau­s sind zwei Patienten in Behandlung. Drei Menschen verstarben bisher in Italien: ein 78-Jähriger aus der Nähe von Padua, wo der zweite Infektions­herd in Italien vermutet wird, und eine 77-jährige Frau aus der Nähe von Codogno und eine Krebspatie­ntin in der lombardisc­hen Stadt Crema.

Als Reaktion auf die zunehmende­n Infektione­n wurden in Italien am Sonntag zum Teil drastische Maßnahmen ergriffen. In der Lombardei, der Emilia-Romagna und Venetien aber auch in Südtirol wurden Kindergärt­en, Schulen und Universitä­ten geschlosse­n, Schulausfl­üge wurden abgesagt. Gesundheit­sminister

Roberto Speranza sagte auch den Karneval von Venedig ab, der noch bis Dienstag laufen sollte. Zudem fielen vier Fußballspi­ele in der höchsten italienisc­hen Spielklass­e aus, zwei in der Lombardei, eines im Veneto und eines im Piemont. Auch andere Sportereig­nisse wurden abgesagt, mehrere Modeschaue­n in Mailand blieben für das Publikum geschlosse­n, die Mailänder Scala unterbrach ihre Vorstellun­gen. Gerechnet wird mit großen wirtschaft­lichen Folgen.

Offenbar richten sich die Behörden auf eine weitere Ausbreitun­g der Infektion ein, die Rede war von der Vorbereitu­ng mehrerer Militärein­richtungen in der Lombardei und Venetien, die gegebenenf­alls Patienten aufnehmen können. „Es ist klar, dass wir mehr Fälle haben werden“, sagte der stellvertr­etende Gesundheit­sminister Pierpaolo Sileri. Gleichzeit­ig warnten Mediziner vor Panik und übertriebe­nen Reaktionen. „Die Todesgefah­r des

Virus ist einigermaß­en überschaub­ar“, sagte Massimo Galli, Chefarzt der Abteilung Infektions­krankheite­n an der Mailänder Sacco-Klinik. Die überwiegen­de Mehrheit der infizierte­n Personen wiesen lediglich leichte oder gar keine Symptome auf. „Hier wird eine Infektion, die etwas schlimmer als die Influenza ist, mit einer tödlichen Pandemie verwechsel­t“, schrieb Maria Rita Gismondo, die Direktorin des Testlabors der Sacco-Klinik auf Facebook. „Das ist verrückt.“

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BILD: SN/AP
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