Der Iran wählte im Schatten des Virus
Die Angst vor dem Coronavirus und eine strikte Kandidatenauswahl dämpften die Wahlbeteiligung.
TEHERAN. Revolutionsführer Ali Khamenei klang wütend und enttäuscht: „Nicht die geringste Gelegenheit“hätten die Landesfeinde ausgelassen, um „die Leute zu entmutigen“. Dabei seien von der Propaganda sogar eine „Krankheit und ein Virus“instrumentalisiert worden, schimpfte der Ayatollah.
Westliche Diplomaten in Teheran interpretieren die Wutrede auch als Versuch, die niedrige Beteiligung bei den Parlamentswahlen am Freitag zu erklären. Nach Angaben des Innenministeriums haben nur 42,57 Prozent der über 58 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme
abgegeben. Das sind 20 Prozent weniger als noch vor vier Jahren. In Teheran sollen sogar nur 27 Prozent zu den Urnen gegangen sein.
Eine Überraschung ist die niedrigste Wahlbeteiligung in der Geschichte der Islamischen Republik nicht. Dass das im Iran sich ausbreitende Coronavirus mit acht Todesopfern zur massiven Verunsicherung der Bevölkerung beiträgt, steht außer Frage. Hauptgrund für die Apathie war jedoch die Disqualifikation von 7269 gemäßigten Kandidaten durch den Wächterrat. Damit wurde die Wahl zu einer internen Abstimmung zwischen Konservativen und Hardlinern. Die gewannen dann auch deutlich.
Selbst Staatspräsident Hassan Rohani hatte den Urnengang zunächst als Farce bezeichnet, dann aber doch zur Stimmabgabe aufgerufen. Seine Amtszeit endet im nächsten Jahr. Bis zu seiner Ablösung durch einen Hardliner werde ihm die „neue Parlamentsmehrheit das Leben zur Hölle machen“, sagt ein iranischer Journalist, der nicht namentlich genannt werden will.
Mit dem bevorstehenden Ende der Amtszeit Rohanis, so der Journalist weiter, gehe auch die Ära der Reformer im Iran zu Ende. Sie hatten nach der Unterzeichnung des Atomabkommen vor vier Jahren gewaltige Hoffnungen auf einen Aufschwung im Iran geweckt. In
Zukunft werde die Richtung im Iran nur noch von Erzkonservativen bestimmt, die sich allenfalls in ihrer Radikalität unterschieden. Das sei auch der Verdienst von US-Präsident Donald Trump, der mit der von ihm angeordneten Ermordung von General Qassem Soleimani zu Jahresbeginn den Hardlinern eine gewaltige Steilvorlage geliefert habe, sagt der iranische Journalist.
Mit „großem Vorsprung klarer Sieger der Wahlen“ist nach iranischen Medienberichten Mohammed Bagher Ghalibaf. Der frühere Polizeichef und ehemalige Bürgermeister von Teheran wird voraussichtlich neuer Parlamentspräsident werden.