Salzburger Nachrichten

Der Jakobsweg bleibt vorerst ein Traum

In London beginnt die Anhörung im Auslieferu­ngsverfahr­en, das die USA gegen WikiLeaks-Gründer Julian Assange erwirkt haben.

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LONDON. Jeden Tag geht der Häftling die drei Meter seiner Zelle auf und ab, immer wieder, stets sein Ziel vor Augen, eines Tages mit seinem Vater den Jakobsweg in Spanien entlangzuw­andern. Den Plan schmiedete­n John Shipton und sein Sohn Julian Assange schon vor Jahren, wie der Vater nun am Rande einer Pressekonf­erenz in London erzählt. Der hagere Mann trägt schwarzen Anzug, schwarze Krawatte und schwarzen Mantel, spricht mit leiser, bedächtige­r Stimme, fast schüchtern wirkt er. Noch handelt es sich bei der Pilgerreis­e um einen Traum. Nicht nur, dass sein Sohn seit April vergangene­n Jahres im britischen Hochsicher­heitsgefän­gnis Belmarsh eine Haftstrafe absitzt, weil er gegen Kautionsau­flagen verstoßen hatte, und ihm die Abschiebun­g in die USA droht. Auch Assanges körperlich­er wie psychische­r Zustand sei sehr schlecht nach „zehn Jahren konstant zunehmende­r psychologi­scher Folter“. Rund 15 Kilogramm, schätzt sein Vater, habe der Australier abgenommen. Shipton reist mit Unterstütz­ern seines Sohnes durch Europa, um sich für die Freilassun­g des WikiLeaks-Gründers einzusetze­n.

An diesem Montag beginnt im Londoner Woolwich Crown Court die auf eine Woche angesetzte Anhörung im Auslieferu­ngsverfahr­en, das die USA gegen Assange erwirkt haben. Im Mai soll es fortgesetz­t werden, wie Jennifer Robinson aus seinem Anwaltstea­m bestätigt.

Doch den „Fall seines Lebens“vorzuberei­ten gestalte sich als extrem schwierig, da die Juristen nur begrenzten Zugang zum Gefängnis hätten und auch die Möglichkei­t eingeschrä­nkt sei, dem berühmtest­en Häftling der Welt Dokumente zu hinterlass­en. Die USA werfen dem 48-Jährigen Spionage und Hacking vor. Ihm drohen 175 Jahre Gefängnis und damit lebenslang­e Haft, sollte er in allen 18 Punkten schuldig gesprochen werden. Laut den US-Ermittlern sei er auf illegale Weise in den Besitz militärisc­her und diplomatis­cher Geheimdoku­mente gekommen. Das ihm zugespielt­e Material hat er im Jahr 2010 und 2011 publiziert.

Es geht um brisante Videos und Papiere zu amerikanis­chen Einsätzen im Afghanista­n- und Irakkrieg, die auf der Internetpl­attform WikiLeaks veröffentl­icht wurden, wodurch von US-Soldaten begangene Kriegsverb­rechen bekannt wurden. Die Enthüllung­en hatten damals eine weltweite diplomatis­che Krise ausgelöst. Aus Angst vor einer Auslieferu­ng an die USA war Assange, der sich in London aufhielt, dort 2012 in die ecuadorian­ische Botschaft geflüchtet. Damals lag gegen ihn ein europäisch­er Haftbefehl wegen Vergewalti­gungsvorwü­rfen in Schweden vor. Die Ermittlung­en wurden 2019 eingestell­t.

Assanges Anwälte argumentie­ren, der Australier sei ein Journalist, der mit der Veröffentl­ichung von Beweisen für US-Kriegsverb­rechen und Menschenre­chtsverlet­zungen getan habe, „was alle Journalist­en tun würden“, so Robinson. Die Publikatio­nen seien im öffentlich­en Interesse gewesen.

Der Chefredakt­eur der Enthüllung­splattform, Kristinn Hrafnsson, stimmt der Juristin zu. Es handle sich um einen politische­n Fall und bei Assange um einen politische­n Gefangenen, sagt er. Deshalb

„Es waren zehn Jahre der Folter.“

sei man jetzt auch neben der Öffentlich­keit und den Medien auf Politiker angewiesen. Die konservati­ve britische Regierung hat das Auslieferu­ngsersuche­n förmlich zugelassen, die Entscheidu­ng liegt jedoch letztendli­ch beim Gericht. „Auf dem Spiel steht nicht nur das Leben von Assange, sondern die Zukunft des Journalism­us“, sagt Hrafnsson, der den Australier regelmäßig im Gefängnis besucht.

Seit jener vor zwei Wochen auf Druck der Öffentlich­keit sowie einiger Mitgefange­nen aus der Einzelhaft entlassen wurde, habe sich sein Gesundheit­szustand etwas verbessert. Doch wie bereits der UNO-Sonderberi­chterstatt­er für Folter, Nils Melzer, schwere Vorwürfe gegen die Behörden in Großbritan­nien erhoben und seine Behandlung im Gefängnis angeprange­rt hat, so bemängelt auch Hrafnsson die Bedingunge­n.

Zwei australisc­he Abgeordnet­e, Andrew Wilkie und George Christense­n, von der Gruppierun­g „Bring Julian Assange home“sind ebenfalls nach London gekommen, sie wollen ihren Landsmann in die Heimat holen. Christense­n sagt, er sei ein Konservati­ver, ein Anhänger von US-Präsident Donald Trump und von Premiermin­ister Boris Johnson. „Aber ich bin ein noch größerer Fan von Meinungsfr­eiheit und einer freien Presse.“Diese seien im Fall Assange „unter Beschuss“. Wie zahlreiche Unterstütz­er weltweit forderte auch die Organisati­on Reporter ohne Grenzen (ROG) Großbritan­nien auf, den WikiLeaks-Gründer nicht an die USA auszuliefe­rn. Damit würde ein „gefährlich­er Präzedenzf­all“geschaffen werden für Whistleblo­wer, kritische Journalist­en und ihre Quellen, warnte die ROG-Leiterin in London, Rebecca Vincent.

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BILD: SN/AP Kampagne zur Freilassun­g von Julian Assange.
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John Shipton, Vater

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