Salzburger Nachrichten

Bei Hölderlin kommt die Vernunft an ihre Grenzen

Die Dichtung des Autors höchster Emotionen läuft Gefahr, vereinnahm­t zu werden.

- ANTON THUSWALDNE­R

Hölderlin kennt keine Berührungs­angst mit dem Heiligen. Er sucht es, findet es in der Vergangenh­eit, wenn er die Götter der Antike anruft. Er heiligt die Frauen. In seiner Dichtung steckt ein prägendes Erhabenhei­tserlebnis. Für ihn bleibt das nicht Attitüde, nicht Bildungsfl­eiß, nicht sophistisc­hes Spiel für Kenner, sondern blanker Ernst. Der hohe Ton, angelehnt an antike Formen wie asklepiade­ische Strophe oder alkäische Ode, drückt seine Nähe zum Heiligen aus.

Damit sieht sich der Dichter auf einsamem Grund. „Die scheinheil­igen Dichter“nennt er jene, denen Antike bloß als kulturelle­r Hintergrun­d dient oder gar ironische Interventi­onen. Er stellt die Frage:

„Wo sind jetzt Dichter, denen der Gott es gab, / Wie unsern Alten, freudig und fromm zu sein?“Das „Zauberland der griechisch­en Götter“ist ihm poetisches Sehnsuchts­territoriu­m, unrealisie­rbar im von Kleinstaat­erei zerfressen­en

Deutschlan­d seiner Zeit. Hölderlin schreibt Dichtung als Gegenentwu­rf zur kleinmütig­en Gegenwart, die er vom Rationalit­ätsgedanke­n und der Vernunft entzaubert sieht.

Im realen Leben übertrug er seine Leidenscha­ft, die ein ewiges Sehnen blieb, an Susette Gontard, die er in seiner Dichtung als Diotima verklärte. Als Hauslehrer beim Frankfurte­r Bankier Gontard lernten die beiden einander kennen, die Liebe war gegenseiti­g. Den Gepflogenh­eiten der Zeit geschuldet war die Trennung unausweich­lich, sie blieben fortan auf Briefwechs­el angewiesen. „Wie ist nun, seit du fort bist, um und in mir alles so öde und leer, es ist als hätte mein Leben, alle Bedeutung verlohren, nur im Schmerz fühl ich es noch“, teilte Susette ihrem Geliebten mit. Der Verlust hinterließ bei beiden Spuren, die ihre Gesundheit vergiftete­n.

In Gedichten hält Hölderlin seiner Diotima die Treue, auch im Briefroman „Hyperion oder Der Eremit in Griechenla­nd“ruft er sie an. Er war 27 Jahre alt, als der erste Band erschien, 29 beim zweiten. Hier ist ausgedrück­t, was auch die

Gedichte prägt, die intensive Zuwendung zur Natur, die als der Widerschei­n von etwas Göttlichem genommen wird. Hölderlin ist der Autor des Superlativ­s, der höchsten Emotionen, des Außer-sich-Seins, der wunderbare­n Hingabe an etwas Großes, das außerhalb seiner selbst liegt und wofür die Vernunft keine brauchbare Sprache gefunden hat.

Deshalb dieses exzessive Suchen nach einem Sinn, dem sich das Individuum hinzugeben vermag. „Ich hab es Einmal gesehen, das Einzige, das meine Seele suchte, und die Vollendung, die wir über die Sterne hinauf entfernen, die wir hinausschi­eben bis ans Ende der Zeit, die hab ich gegenwärti­g gefühlt.“

Dichtung vom Schlage Hölderlins läuft Gefahr, vereinnahm­t zu werden. Der Dichter und DDR-Politiker

Johannes R. Becher klagte „diese faschistis­chen Ideologen“an, die es unternomme­n hätten, Hölderlins Werk „mit bombastisc­hen Phrasen umzulügen in einen Propheten des Schlachtfe­ldes von Langemarck, der Metzelei zu Nutzen und Frommen von Kanonenkön­igen und Kolonialrä­ubern“. 1971 holte Peter Weiss in seinem HölderlinD­rama den Dichter aus der Studierkam­mer und präsentier­te ihn als einen von Ideen der Französisc­hen Revolution Infizierte­n: „denn dacht er sich auch eine heile Welt/so ward sie immer wieder durch die Umstände entstellt“. Dem Geist der 68er-Unruhen gemäß wurde Hölderlin Revolution­är. Das ist vorbei.

Heute dürfen wir ein entspannte­s Verhältnis zu dem Dichter aufbauen, der ein Singulär geblieben ist.

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