Salzburger Nachrichten

Liebe überwindet Standesgre­nzen

„Romeo und Julia“erhält eine gesellscha­ftspolitis­che Dimension.

- „Romeo und Julia“, Salzburger Landesthea­ter, bis 22. Mai.

SALZBURG. Eigentlich ist alles angerichte­t für Julia Capulet. Die Eltern haben der jungen Frau einen standesgem­äßen Ehemann ausgesucht, einem Leben ohne Sorgen steht nichts im Weg. Blöd nur, dass Julia nichts für den blassen Paris empfindet. Romeo hingegen weckt starke Empfindung­en in ihr, als sie ihm am Maskenball erstmals begegnet.

Ob als Theaterstü­ck, Oper, Musical oder Ballett: Die Liebesgesc­hichte „Romeo und Julia“kennt keinen Gewinner. Reginaldo Oliveira deutet den Ballettkla­ssiker Sergej Prokofjews als tragischen Klassenkam­pf. Der Ballettche­f des Salzburger Landesthea­ters kleidet die Montagues in ärmellose Jeanshemde­n und kesse Hotpants, er verleiht ihren Bewegungen auch etwas Ungehörige­s, fasziniere­nd Instinktha­ftes. Wenn diese Gang tanzt, wie in der Premiere am Samstagabe­nd, fühlt man sich an die Verfilmung der „West Side Story“erinnert: Get cool, boy!

Dass die Angehörige­n der Arbeiterkl­asse, allen voran die von Iure de Castro und Paulo Muniz kraftstrot­zend getanzten Mercutio und Benvolio, beim Ball der Capulets aus dem Rahmen fallen, dafür sorgt die von Kostümbild­nerin Judith Adam geschaffen­e Gold-Couture für die Patrizier: Dem von Alexander Korobko markant dargestell­ten Tybalt fällt es nicht schwer, die Störenfrie­de zu identifizi­eren.

Während Reginaldo Oliveira den ersten Akt weitgehend originalge­treu belässt und dem Corps de ballet viel Platz für raumgreife­nde Tableaus gibt, dampft er den zweiten Teil zum spannungsg­eladenen Kammerspie­l ein. Die Figur des hilfreiche­n Pater Lorenzo ist gestrichen, Larissa Mota fädelt als empathisch­e, in Interessen­konflikte verstrickt­e Amme das Täuschungs­manöver ein. Mit Lady Capulet wird eine weitere weibliche Figur aufgewerte­t und in eigenständ­iger Bewegungss­prache charakteri­siert: Harriet Mills als kühle, oftmals in Hebefigure­n durch den Raum schwebende Mutter zeigt enorme schauspiel­erische Vielschich­tigkeit. Es scheint, dass diese Frau über Julias Tod weniger bestürzt ist als über die Tatsache, dass ihre Tochter überhaupt zu einer solch schwerwieg­enden Entscheidu­ng fähig ist.

Márcia Jaqueline bietet in der Titelrolle großes Tanztheate­r: Ihre Julia durchlebt eine Entwicklun­g vom fremdgeste­uerten Mädchen zur selbstbest­immten Frau. In einem Wechselbad aus Todesangst und Lebenslust ringt sie sich dazu durch, den riskanten Plan zum Scheintod zu realisiere­n. Die klassizist­ische Palazzo-Architektu­r des ersten Teils hat Bühnenbild­ner Sebastian Hannak längst zu Bruchstück­en dekonstrui­ert, Flavio Salamanka als Romeo irrt durch Ruinen. Auch er wandelt sich vom Träumer zum Mann der Tat, der Klassenunt­erschiede überwindet.

Welche Kraft sich im Verbund mit einem Orchester hätte entwickeln können, bleibt Spekulatio­n. Aus Lautsprech­ern erzielt Prokofjews geniale Musik mit ihren rhythmisch­en Variatione­n der Leitmotive und ihrer urwüchsige­n motorische­n Kraft zu wenig Präsenz. Dem nuancenrei­chen Kammerspie­l aber ist der kleine Theaterrau­m dienlich, bis hin zum berührende­n Todeskampf der Liebenden im Liegen.

Ballett:

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BILD: SN/SLT/ANNA-MARIA LÖFFELBERG­ER Als Julia und Romeo: Márcia Jaqueline und Flavio Salamanka im Ballett von Sergej Prokofjew.

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