Wie verstehen wir, was andere tun?
Können sich Menschenaffen in andere Lebewesen hineinversetzen oder nicht? Kinder haben diese Fähigkeit erst, wenn sie etwa vier Jahre alt sind. Welche Entwicklung verläuft beim Menschen anders als beim Affen? Darüber wird noch diskutiert.
Können sich Menschenaffen – ähnlich wie Menschen – in andere hineinversetzen, deren Emotionen erkennen und auf deren Absichten schließen? Und: Ab wann können dies Menschen und was befähigt sie dazu?
Über diese Fragen diskutierten an der Universität Salzburg kürzlich die Salzburger Psychologen Michael Huemer, Josef Perner und Beate Priewasser mit den amerikanischen Verhaltensforschern Michael Tomasello und Daniel Povinelli.
Zunächst zu den Primaten: Über das Ausmaß ihrer Fähigkeiten gibt es in der Wissenschaftswelt seit geraumer Zeit heftige Debatten. Die einen sagen, Menschenaffen könnten fast alles. Die anderen sind der gegenteiligen Ansicht.
Menschenaffen könnten sich nicht in andere hineinversetzen. Zu dem Schluss kommt der Biologe und Verhaltensforscher Daniel Povinelli von der University of Louisiana nach Dutzenden Experimenten mit Schimpansen. So hat er etwa gezeigt, dass aus der Tatsache, dass Menschenaffen sehr gut dem Blick von Menschen folgen – was als Indiz für Verstehen gilt –, nicht folgt, dass Menschenaffen begreifen, was Menschen bewegt. Sie verstünden nur oberflächliche Regelmäßigkeiten im Verhalten, sagt er.
Das stimme so nicht, kontert Michael Tomasello, der ursprünglich seinem Kollegen Daniel Povinelli zustimmte und Menschenaffen kein Verständnis von Bewusstsein zuschrieb. Nach seinem Wechsel von der Emory University in Georgia/USA nach Leipzig an das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie entwickelte er jedoch gemeinsam mit Brian Hare Futterneid-Experimente, die zu zeigen scheinen, dass Affen sehr wohl verstehen, was andere sehen, wissen oder wollen, und dass sie das geschickt ausnutzen.
Für Michael Tomasello stehen Schimpansen, Orang-Utans oder Gorillas bewusstseinsmäßig ungefähr auf der gleichen Stufe wie vierjährige Kinder: „So wie Kinder wissen Affen, was andere sehen, hören oder kennen. Und so wie Kinder bis zu einem Alter von ungefähr vier Jahren verstehen sie nicht, wenn andere etwas glauben, das den Fakten widerspricht. Affen verstehen das nie, Kinder erst, wenn sie älter sind“, sagte er laut einem Bericht der Universität.
Um an ihre Ziele zu kommen, müssten Schimpansen nicht verstehen, was andere sehen oder wissen.
Sie agierten nach oberflächlichen Verhaltensregeln: „Affen haben definitiv einen Verstand, sie sind sehr intelligent; die Frage ist aber, ob sie sich ihres Verstandes bewusst sind, und das können wir mit unseren derzeitigen Experimenten nicht herausfinden“, sagte David Povinelli.
Josef Perner ist Kognitionspsychologe
am Centre for Cognitive Neuroscience der Universität Salzburg. Zusammen mit seinem Team untersucht er seit Langem, wie Kinder die Alltagspsychologie erwerben. „Die Fragen, um die es hier geht, sind sehr interessant. Wenn man nachdenken kann, wie es einem anderen ergeht, kann man auch über sich selbst nachdenken. Das ist ein sehr wichtiger Baustein des Menschseins. Es ist spannend zu untersuchen, ob auch Tiere solche hochstehenden Fähigkeiten haben. Eine Frage ist, was befähigt uns dazu, dass wir es können“, sagt er im SN-Gespräch.
„Theory of Mind“nennen die Fachleute diesen wichtigen psychischen Entwicklungsschritt, der mit Gehirnentwicklungen einhergeht. Die Theory of Mind (ToM) erklärt die Fähigkeit eines Menschen, die Gedanken und auch Überzeugungen anderer Menschen logisch erschließen zu können.
Das entscheidende Experiment dazu haben Heinz Wimmer und Josef Perner 1983 publiziert. Der Test wird als „False-Belief-Aufgabe“bezeichnet. Kinder sind ab einem Alter von ungefähr vier Jahren imstande zu erkennen, wenn jemand etwas irrigerweise glaubt („False Belief“).
Ab da lernen sie die Überzeugungen einer Person in ihr Denken miteinzubeziehen. „Das Kind bekommt die Einsicht, dass der andere Mensch einen inneren Zustand hat, der die Welt anders darstellt, als sie ist. Affen verstehen nicht, dass der andere etwas anderes glaubt“, erklärt Josef Perner.
Die Frage, was den Menschen dazu befähigt, Einsicht in andere zu haben, ist auch für die Erforschung von frühkindlichen autistischen Störungen interessant. Manche Gehirnforscher sehen einen Zusammenhang zwischen fehlender oder verlangsamter Entwicklung von ToM und dem frühkindlichen Autismus.
Für diese autistischen Störungen ist vor allem ein Defizit im Bereich des sozialen Miteinanders und der gegenseitigen Verständigung typisch. „Viele Menschen, die das haben, sind hochintelligent, haben aber wenig Einsicht in andere Menschen. Die Idee war lang, dass dies das Kernproblem der autistischen Störungen ist und dass alles andere wie etwa Sozialprobleme daraus folgt. Mein Eindruck ist allerdings, dass Kinder mit einer autistischen Störung das Problem der mangelnden Einsicht haben, aber dass das nicht der Kern der Störung ist“, sagt Josef Perner. Die Frage, was eine autistische Störung auslöse, sei nach wie vor nicht geklärt. Es gebe weder Hinweise auf eine durchgehende genetische Veranlagung noch auf Veränderungen in bestimmten Hirnregionen.
Für Josef Perner liegt ein Schlüssel für das Menschsein im Verstehen, wie die Welt für andere ausschaut, um gemeinsame Zielvorstellungen zu entwickeln, Wissen auszutauschen und Gefühle anderer zu respektieren: „Damit konnten wir Kulturen aufbauen und technische Höchstleistungen vollbringen“, sagt er.