Vor Fehlern nicht gefeit
Politiker, die es mit Coronaregeln nicht ganz so genau nehmen: Schadet es ihnen? Und inwiefern befördert es den Schlendrian?
Politiker, die es mit Coronaregeln nicht so genau nehmen: Schadet es ihnen? Und warum hinter diesem Verhalten Kalkül stecken kann.
WIEN. Es war kurz nach Mitternacht, als eine Polizeistreife von Samstag auf Sonntag in einer kleinen Nebengasse der Wiener Kärntner Straße Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen mit seiner Frau antraf. Sie saßen noch im Schanigarten eines bereits zugesperrten Italieners und hatten sich beim ersten Restaurantbesuch nach den langen Coronawochen „verplaudert und leider die Zeit übersehen“, wie der Bundespräsident freimütig zugab und sich umgehend entschuldigte. Schließlich ist in Zeiten von Abstandsregeln und Lockerungsverordnungen bereits um 23 Uhr Sperrstunde.
Die Anzeige folgte auf dem Fuße und noch bevor sie bei der Magistratsdirektion Wien am Montag eingelangt war, fand sie schon am Sonntag ihren Weg in den Boulevard. Österreich hat nun also nach dem Bad in der Menge von Bundeskanzler Sebastian Kurz im Kleinwalsertal, wo man es mit Abstand halten und Maskenpflicht nicht allzu genau nahm, seinen nächsten kleinen „Coronaskandal“.
Ob die Missachtung der Sperrstunde rechtliche Folgen hat? Experten sind uneins. Die Palette reicht von nicht strafbar bis zu maximal 30.000 Euro Strafe für den Wirt bzw. bis zu 3600 Euro Strafe für den Gast. Vonseiten der Magistratsdirektion heißt es: „Die Anzeige wird geprüft.“Sollte dem Wirt Schaden erwachsen, werde er dafür geradestehen, hat Van der Bellen bereits betont. Seiner behördlichen
Verfolgung, die die FPÖ fordert, müsste übrigens erst die Bundesversammlung zustimmen.
Bleibt die Frage, inwiefern ein Fehler wie jener Van der Bellens oder jener von Sebastian Kurz im Kleinwalsertal – der Kanzler wurde von zahlreichen Einheimischen und Journalisten belagert – Politikern schadet? Oder, was in Zeiten der Coronakrise viel wesentlicher ist: Inwiefern befördert das den Schlendrian im Umgang mit den Maßnahmen, der sich ohnehin schon eingeschlichen hat?
„Schaden tut das den Politikern nicht“, ist Politikkenner Josef Kalina
überzeugt, einst SPÖ-Bundesgeschäftsführer und heute Chef eines Marktforschungsinstituts. „In der Regel trennen sich da die Meinungen: Wenn ich den Politiker mag, werde ich die Aufregung übertrieben finden, wenn nicht, dann nicht“, sagt er und spielt vor allem auf den ständigen Aufgeregtheitspegel in den sozialen Medien an. Im Fall des Bundespräsidenten findet er die ganze Angelegenheit ohnehin einen „Witz“. Er frage sich, „in welchem Land wir leben“. „Welche genialen Beamten zeigen den Bundespräsidenten an, statt ihm zu sagen: ,N’Abend Herr Bundespräsident, Sie ham sicher übersehen, wie spät es ist. Dürfen wir Sie zum Auto/nach Haus begleiten?‘“, tat er seinen Unmut via Twitter kund.
Bei Sebastian Kurz sehe er die Sache insofern anders, als Kurz seiner Gegnerschaft mit seinem Auftritt in Vorarlberg Argumente in die Hand gegeben habe nach dem Motto: „Wasser predigen und Wein trinken.“In Umfragen dürfte das aber seiner Meinung nach kaum Auswirkungen haben. Ganz im Gegensatz zu dem, was die Leute wirklich derzeit zunehmend spüren würden: dass es mit der Wirtschaft, mit dem Arbeitsplatz, bergab geht. Das sei viel bedrohlicher als verpatzte PRAuftritte, sagt Kalina.
Ähnlich sieht das Kommunikationsexpertin Heidi Glück, einst Sprecherin von ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel. „Natürlich müssen sich Politiker an die Bestimmungen halten, die sie auch dem Volk zumuten. Aber es gibt auch eine menschliche Dimension. Und so wie Kurz diese Zusammenrottung im Kleinwalsertal nicht beabsichtigt hat, wollte auch der Bundespräsident nicht provozieren. Das sind lässliche Sünden. Man sollte das nicht künstlich zu einem Skandal hochspielen“, sagt sie. Krisenzeiten polarisierten, aber sie sollten auch nicht zu Vernaderung führen, fügt sie hinzu. Danach rieche es im Fall von Van der Bellen aber doch ein bisschen, sagt sie. Dass besagte Fehltritte von Politikern Nachahmer finden könnten, glaubt sie dennoch nicht.
Das sieht Politikberater Thomas Hofer anders. Es gehe schließlich
„Nicht zu einem Skandal hochspielen.“
um die klassische Vorbildfunktion und da schade es, wenn jene, die die Regeln machten, sich nicht penibel daran halten würden. „Vor allem bei jenen Gruppen, die sich rigide dran halten müssen, beispielsweise die Wirte, wird schon ein gewisser Ärger da sein“, sagt Hofer. Damit konterkariere man die eigenen Vorgaben, es entstehe eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Doch auch wenn der Schlendrian befördert werde, müsse man „die Sache nicht ganz so hoch hängen“. Außerdem verkörpere gerade Van der Bellen – im Gegensatz zu Kurz – das Image des klassisch Österreichischen: dass Vorschrift nicht immer
Vorschrift sein müsse. Die Regierung hält sich naturgemäß mit Schelte zurück. Kanzler Kurz meinte, dass es allen gleich gehe – egal ob Bundespräsident oder nicht: Man freue sich, langsam zur Normalität zurückkehren zu können. Vizekanzler Werner Kogler schoss sich auf die FPÖ ein. Allein in der Steiermark habe es mehrere Vorfälle blauer Politiker gegeben, die auf „Coronapartys“gewesen seien, sagte er. Kogler stand übrigens auch schon als „Coronasünder“am Pranger: Kurz vor Inkrafttreten der Maskenpflicht wurde er beim Einkaufen ohne Schutzmaske gesichtet und sofort geknipst.