Lässliche Sünden von Kurz und Van der Bellen
Der Kanzler und der Präsident haben Fehler gemacht. Das Beruhigende daran: Die Regeln gelten für alle gleich.
Erst der Kanzler, dann der Präsident. Nach dem verunglückten Auftritt von Sebastian Kurz im Kleinwalsertal, wo er von einer dicht gedrängten Menschenmenge ohne Mund-Nasen-Schutz abgefeiert wurde, hat jetzt auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen einen persönlichen Coronabauchfleck zu verbuchen. Der erste Mann im Staat wurde von der Polizei dabei ertappt, als er um 0.30 Uhr (Sperrstunde ist um 23 Uhr) im Gastgarten einer Wiener Pizzeria saß. Im Gegensatz zum Kanzler, der die Verantwortung bei anderen suchte („eine große Traube an Journalisten“habe sich gebildet), nahm der Präsident die Schuld auf sich. Er habe sich „verplaudert“.
Beide Rechtfertigungen sind Ausreden, die eigentlich gar nicht notwendig sind. Politiker glauben, immer sofort eine Erklärung für alles und jedes parat haben zu müssen, und sei sie noch so ideenlos. Warum kann man nicht einfach sagen: Die Herren haben einen Fehler gemacht. Es wird nicht mehr vorkommen. Und aus.
Man kann Kurz und Van der Bellen nicht in einen Topf mit Trump und Bolsonaro werfen. Wir haben es nicht mit Corona-Ignoranten wie in Weißrussland, England, Brasilien oder den USA zu tun.
Natürlich haben der Kanzler und der Präsident eine Vorbildfunktion. Die müssen sie erst recht in
Zeiten wahrnehmen, in denen den Bürgerinnen und Bürgern mehr abverlangt wird, als es die Verfassung erlaubt. Selbst lässliche Sünden geraten in solchen Situationen zu Steilvorlagen für Nachahmer. Veranstalter wie Wirte, die weiterhin auf die Einhaltung der allgemeinen Regeln bestehen, werden sich von ihren Gästen nun einiges anhören müssen.
Beruhigend in beiden Fällen ist, dass erstens auch führende Politiker Menschen sind und Fehler machen. Das verstärkt ihre Bodenhaftung. Und zweitens, dass bei uns das lateinische Sprichwort „quod licet Jovi, non licet bovi“(was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt) nicht gilt. Bei der Bewertung von Handlungen ist es vor allem maßgeblich, worum es geht, und nicht so sehr, um wen es geht.
Bei der Gelegenheit dürfen wir wieder einmal darüber nachdenken, welche Eigenschaften wir bei Politikern voraussetzen. Sie müssen gebildet, gescheit, menschlich, integer, authentisch, eloquent, bürgernah, selbstbewusst, erfahren, kooperativ, einfühlsam, optimistisch, kompetent, ehrlich und noch vieles andere sein. So, wie wir alle schon immer sein wollten, es aber leider nicht sind.