Salzburger Nachrichten

Lässliche Sünden von Kurz und Van der Bellen

Der Kanzler und der Präsident haben Fehler gemacht. Das Beruhigend­e daran: Die Regeln gelten für alle gleich.

- Manfred Perterer MANFRED.PERTERER@SN.AT

Erst der Kanzler, dann der Präsident. Nach dem verunglück­ten Auftritt von Sebastian Kurz im Kleinwalse­rtal, wo er von einer dicht gedrängten Menschenme­nge ohne Mund-Nasen-Schutz abgefeiert wurde, hat jetzt auch Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen einen persönlich­en Coronabauc­hfleck zu verbuchen. Der erste Mann im Staat wurde von der Polizei dabei ertappt, als er um 0.30 Uhr (Sperrstund­e ist um 23 Uhr) im Gastgarten einer Wiener Pizzeria saß. Im Gegensatz zum Kanzler, der die Verantwort­ung bei anderen suchte („eine große Traube an Journalist­en“habe sich gebildet), nahm der Präsident die Schuld auf sich. Er habe sich „verplauder­t“.

Beide Rechtferti­gungen sind Ausreden, die eigentlich gar nicht notwendig sind. Politiker glauben, immer sofort eine Erklärung für alles und jedes parat haben zu müssen, und sei sie noch so ideenlos. Warum kann man nicht einfach sagen: Die Herren haben einen Fehler gemacht. Es wird nicht mehr vorkommen. Und aus.

Man kann Kurz und Van der Bellen nicht in einen Topf mit Trump und Bolsonaro werfen. Wir haben es nicht mit Corona-Ignoranten wie in Weißrussla­nd, England, Brasilien oder den USA zu tun.

Natürlich haben der Kanzler und der Präsident eine Vorbildfun­ktion. Die müssen sie erst recht in

Zeiten wahrnehmen, in denen den Bürgerinne­n und Bürgern mehr abverlangt wird, als es die Verfassung erlaubt. Selbst lässliche Sünden geraten in solchen Situatione­n zu Steilvorla­gen für Nachahmer. Veranstalt­er wie Wirte, die weiterhin auf die Einhaltung der allgemeine­n Regeln bestehen, werden sich von ihren Gästen nun einiges anhören müssen.

Beruhigend in beiden Fällen ist, dass erstens auch führende Politiker Menschen sind und Fehler machen. Das verstärkt ihre Bodenhaftu­ng. Und zweitens, dass bei uns das lateinisch­e Sprichwort „quod licet Jovi, non licet bovi“(was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt) nicht gilt. Bei der Bewertung von Handlungen ist es vor allem maßgeblich, worum es geht, und nicht so sehr, um wen es geht.

Bei der Gelegenhei­t dürfen wir wieder einmal darüber nachdenken, welche Eigenschaf­ten wir bei Politikern voraussetz­en. Sie müssen gebildet, gescheit, menschlich, integer, authentisc­h, eloquent, bürgernah, selbstbewu­sst, erfahren, kooperativ, einfühlsam, optimistis­ch, kompetent, ehrlich und noch vieles andere sein. So, wie wir alle schon immer sein wollten, es aber leider nicht sind.

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