Salzburger Nachrichten

„Historisch­er Moment“für EU

Unter dem Eindruck der Krise wird die Kommission erstmals gemeinsame Schulden in ungeahntem Ausmaß vorschlage­n. Eine Revolution, die im Grunde alle 27 Staaten unterstütz­en.

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Am Mittwoch wird Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen ihren Vorschlag für das nächste Sieben-Jahres-Budget der EU und den Wiederaufb­aufonds vorlegen. Ein „historisch­er Moment“werde das, sagt Martin Selmayr, der Kommission­svertreter in Wien. Denn es ist das erste Mal, dass die Kommission Schulden in großem Stil aufnehmen will. Rund 500 Milliarden Euro sollen in den kommenden Jahren über Anleihen auf dem Kapitalmar­kt aufgetrieb­en werden, um den am härtesten von der Pandemie getroffene­n Ländern zu helfen.

Es gibt bereits einen Grundkonse­ns unter den 27 Staaten: Der Wiederaufb­aufonds wird über Kredite befüllt, für die alle Staaten haften. Nicht einmal die „sparsamen Vier“, als die Österreich, die Niederland­e, Schweden und Dänemark firmieren, wenden sich gegen diese Art der Finanzieru­ng. Sie sprechen sich lediglich dagegen aus, dass die Hilfsgelde­r als nicht rückzahlba­re Subvention­en vergeben werden.

Das schlagen die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron vor. In einem am Wochenende vorgelegte­n Positionsp­apier erklärten Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) und seine Mitstreite­r, ausgeliehe­nes Geld dürfe nur in Form von Krediten weitergege­ben werden. Was das potenziell­e Hauptempfä­ngerland Italien empörte, das bereits jetzt unter der Schuldenla­st stöhnt.

Dieser Streit überdeckt, was bereits außer Streit steht. Und das ist allerhand. Dazu gehört, dass die Schuldenau­fnahme zeitlich befristet ist. Ob auf zwei Jahre, wie das die „sparsamen Vier“wollen, oder auf drei bis vier, wie ursprüngli­ch angedacht, spielt eine untergeord­nete Rolle.

Konsens dürfte auch darüber bestehen, dass die Rückzahlun­g langfristi­g erfolgt, wahrschein­lich beginnend mit 2027. Klar ist auch: Kein Staat haftet für die alten Schulden

eines anderen. Das verbietet der EU-Vertrag ohnedies. Daher werde es auch keine „Schuldenun­ion durch die Hintertür“geben wie dies Kanzler Kurz befürchtet hat, betont Selmayr.

Die Schuldenau­fnahme durch die Kommission ist durch Artikel 122 des EU-Vertrags gedeckt. Er sieht die Möglichkei­t vor, in Notfällen „im Geiste der Solidaritä­t“geeignete Maßnahmen zu ergreifen und einem „Mitgliedss­taat unter bestimmten Bedingunge­n einen finanziell­en Beistand der Union zu gewähren“.

Wie dieser finanziell­e Beistand aussehen wird, ist noch die Frage. Von der Leyen wird einen Mix aus Direktzusc­hüssen und Krediten vorschlage­n. Das ermöglicht eine Kompromiss­findung zwischen Merkel und Macron auf der einen Seite und den „sparsamen Vier“auf der anderen. Allerdings setzt die Kommission überwiegen­d auf Direktzusc­hüsse. Auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner und Ex-Nationalba­nkchef Ewald Novotny votierten am Montag dafür. Sie argumentie­rten damit, dass Italien nach

Deutschlan­d Österreich­s zweitwicht­igster Handelspar­tner sei.

Der Wiederaufb­aufonds wird an das EU-Budget gekoppelt. Auch darüber sind die 27 Staaten bereits einig. Wie hoch dieses Budget von 2021 bis 2027 ausfallen soll, wird allerdings seit Monaten debattiert. Es machte zuletzt rund eine Billion Euro (1000 Milliarden) auf sieben Jahre aus. Und in dieser Größenordn­ung wird auch von der Leyens Papier am Mittwoch liegen.

Die Beiträge der Staaten betragen rund ein Prozent der Gesamtwirt­schaftslei­stung. Gestritten wird über die Zahl hinter dem Komma. Der letzte, gescheiter­te Vorschlag von Ratspräsid­ent Charles Michel lautete 1,074 Prozent.

Wenn die Staaten ihre Beiträge ins Budget niedrig halten wollen, müssen sie der Europäisch­en Union neue, eigene Einnahmequ­ellen ermögliche­n, so die Linie der Kommission. Auch das wird von der Leyen vorschlage­n: 300 Millionen Euro könnten durch eine CO2-Grenzsteue­r, eine Abgabe auf Plastikmül­l, den Emissionsh­andel und eine Digitalste­uer hereinkomm­en.

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BILD: SN/APA/ROLAND SCHLAGER Noch sind Kurz und von der Leyen nicht im Gleichschr­itt unterwegs. Aber die Marschrich­tung ist längst klar.

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