Salzburger Nachrichten

Mutig oder falsch? Thüringen will Coronarege­ln aufheben

Ministerpr­äsident Ramelow erntet für seine Ankündigun­g viel und heftige Kritik. Doch Sachsen will Thüringen folgen.

- Helmut Uwer berichtet für die SN aus Deutschlan­d

Immer wieder haben die deutschen Bundesländ­er in der Coronakris­e ein gemeinsame­s Vorgehen beschworen. Doch in der Praxis haben sich nur die wenigsten daran gehalten. Nun schert der einzige Ministerpr­äsident der Linksparte­i aus. Thüringens Landesvate­r Bodo Ramelow, der mit einem rot-rotgrünen Minderheit­skabinett regiert, will ab 6. Juni alle Einschränk­ungen aufheben. Die Details will er am Dienstag mit seinem Kabinett beraten.

Kritik gab es bereits am Montag von vielen Seiten. SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil warf Ramelow vor, er laufe Verschwöru­ngstheoret­ikern hinterher. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) sagte: „Es darf nicht der Eindruck entstehen, die Pandemie wäre schon vorbei.“Der grüne Koalitions­partner warnte davor, leichtsinn­ig zu werden. Jenas Bürgermeis­ter Thomas Nitzsche (FDP) sprach von einem „Gang aufs Minenfeld“. Thüringens Städtebund fürchtet, dass alles aufs Spiel gesetzt wird, was zur Eindämmung der Pandemie erreicht wurde. Der Berliner Virologe Christian Drosten warnt davor, sich einzig auf die Eigenveran­twortung der Bürger zu verlassen. Das sei „das schwedisch­e Modell und wir sehen in diesen Tagen und werden es in den nächsten Monaten noch stärker sehen, dass dort eine sehr hohe Übersterbl­ichkeit entstanden ist“.

Ramelow verteidigt­e am Montag seinen Vorstoß: „Ich habe nicht gesagt, dass die Menschen sich umarmen sollen oder den Mund-NasenSchut­z abnehmen und sich küssen sollen.“Es habe aber keinen Sinn, rund um die Uhr Krisenstäb­e arbeiten zu lassen, wenn es in der Hälfte der Landkreise seit drei Wochen keine neuen Infektione­n gebe. Die Verantwort­ung solle künftig vor Ort bei den Gesundheit­sämtern liegen. Sie müssten einschreit­en, wenn ein Grenzwert von 35 Neuinfekti­onen auf 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche überschrit­ten werde. Dabei bekämen sie vom Land jederzeit Unterstütz­ung, wenn nötig.

Als Folge von Ramelows Vorpresche­n wurde am Montag das Berliner Krisenkabi­nett abgesagt. Auch dort sollten Lockerunge­n beraten werden, die aber offenbar nicht so weitgehend sind. Nun steht das

Thema am Mittwoch in der regulären Kabinettss­itzung an.

Dann sind vielleicht schon längst Nägel mit Köpfen gemacht und die Kanzlerin darf einmal mehr abnicken, was einzelne Ministerpr­äsidenten

auf den Weg gebracht haben, denn die Kompetenz liegt bei den Ländern. Und wenn Sachsen wie am Montag angekündig­t ebenfalls den Weg Thüringens geht, werden wohl auch andere nachziehen.

Thüringen ist keineswegs das Land mit den wenigsten Infektione­n. Das ist Mecklenbur­g-Vorpommern.

Zwei der am stärksten betroffene­n Landkreise liegen in Thüringen, einer direkt an der bayerische­n Grenze. Beim Nachbarn ist Ramelows Plan daher nicht gut angekommen. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) sieht ein „fatales Signal“und überlegt Gegenmaßna­hmen. „Ich möchte nicht, dass Bayern noch mal infiziert wird durch eine unvorsicht­ige Politik, die in Thüringen gemacht wird.“

Zwar geht die Zahl der Infektione­n in Deutschlan­d generell weiter zurück. Für Aufsehen sorgten aber eine Baptisteng­emeinde in Frankfurt, wo sich nach einem Gottesdien­st 107 Personen ansteckten, und ein Restaurant in Ostfriesla­nd, wo es nach der Wiedereröf­fnungspart­y elf Infektione­n gab.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria