Salzburger Nachrichten

Ischgl: Fast jeder Zweite war infiziert

Erste umfassende Antikörper­studie zeigt: 85 Prozent bemerkten nichts.

- SN, APA, dpa

Im Winterspor­tort Ischgl war ein großer Teil der Bevölkerun­g mit dem Coronaviru­s infiziert. Nach Angaben der Medizinisc­hen Universitä­t Innsbruck haben 42,4 Prozent der in einer umfassende­n Studie untersucht­en Bürger Antikörper auf das Coronaviru­s entwickelt. Das sei der weltweit höchste bisher publiziert­e Wert, sagte die Direktorin des Instituts für Virologie, Dorothee von Laer, am Donnerstag in Innsbruck. Antikörper im Blut gelten als Nachweis für eine durchgemac­hte Infektion. Der Wert für das Grödnertal war 27 Prozent, in Genf zehn Prozent.

Ischgl mit seinen Après-SkiBars gilt als Brennpunkt für die Ausbreitun­g des Coronaviru­s in Österreich und Teilen Europas. Laut österreich­ischen Behörden waren zeitweise 40 Prozent aller Fälle im Inland auf Ischgl zurückzufü­hren. Auch viele Touristen steckten sich dort an.

Auffällig sei, dass von den positiv auf Antikörper getesteten Personen zuvor nur 15 Prozent die Diagnose erhalten hätten, infiziert zu sein, sagte von Laer. „85 Prozent derjenigen, die die Infektion durchgemac­ht haben, haben das unbemerkt durchgemac­ht.“Trotz des hohen Antikörper­werts sei auch in Ischgl keine Herdenimmu­nität erreicht. Entscheide­nd für den Rückgang der Fälle seien die Quarantäne und die soziale Distanz gewesen.

Von diesen 85 Prozent habe etwa die Hälfte zwar schon Symptome gehabt, aber vielfach derart milde, dass die Infektion etwa als Schnupfen abgetan worden war. Man müsse davon ausgehen, dass „zumindest ab der zweiten Februarhäl­fte das Virus schon in Ischgl kursierte“, sagte von Laer.

Rund 80 Prozent der Ischgler Bevölkerun­g nahmen an der Studie teil. 1473 Probanden, darunter 214 Kinder, waren von 21. bis 27. April untersucht worden. Durch ein dreistufig­es Verfahren liege die Spezifität der Tests bei 100 Prozent. „Es gibt also keine falsch positiven Ergebnisse“, sagte die Studienlei­terin.

Auffällig war, dass Kinder (unter 18 Jahren, Anm.) weitaus weniger häufig betroffen waren. Von ihnen wiesen nur etwa 27 Prozent Antikörper auf. Dies könne entweder daran liegen, dass Kinder weniger Kontakt zu Infizierte­n hatten, oder dass das kindliche Immunsyste­m anders auf das Virus reagiere, erklärte Epidemiolo­ge Peter Willeit.

Wolfgang Fleischhac­ker, Rektor der Med-Uni Innsbruck, sprach von einer „Leuchtturm­studie“. Zum ersten Mal sei eine stark betroffene Gemeinde fast gänzlich überprüft worden. Weitere Studien in Ischgl würden überlegt. So könne man in einer zweiten Studie mit den gleichen Teilnehmer­n erforschen, wie lange Antikörper im Blut der Betroffene­n bleiben.

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