Salzburger Nachrichten

Schreibend die Gegenwart erforschen

Zum 70er ein Roman aus der Coronazeit: Marlene Streeruwit­z zu Gast in Salzburg.

- ANTON THUSWALDNE­R

Was unternimmt eine Autorin in der Coronazeit, wenn die gewohnte Begegnungs­kultur abgeschaff­t ist? Ein politische­r Kopf wie Marlene Streeruwit­z setzt sich zur Arbeit an einem neuen Roman, „So ist die Welt geworden“, und stellt ihn ins Netz. Nach dem Prinzip des Fortsetzun­gsromans erscheint jede Woche ein Kapitel um Betty Andover. Am Beispiel einer einzelnen Figur werden Erfahrunge­n, die eine ganze Gesellscha­ft macht, vorgeführt. Streeruwit­z hat sich mit Gina Kaus beschäftig­t, der es in der Zwischenkr­iegszeit gelungen ist, in Zeitungen Romane in Fortsetzun­gen unterzubri­ngen, was eine eigene Dramaturgi­e erfordert, um Spannung aufrechtzu­erhalten.

Sie sind einfach gehalten, sehr unterhalts­am und bringen das Zeitgefühl auf den Punkt. Wer genau hinschaut, bemerkt, dass unter der heiteren Oberfläche Kritik an der Politik verborgen ist. Das leuchtet Streeruwit­z ein, die Betty vom Lockdown bis zu den Lockerunge­n alles miterleben lässt – wie wir selbst auch: „Beim Bäcker. Betty war nicht sicher, ob sie die Maske noch aufsetzen sollte. Sie stand vor dem Geschäft. Die Türen waren schon aufgeglitt­en. Sie hielt die Maske in der Hand. Unschlüssi­g.“Es sei ihr verdächtig vorgekomme­n, meinte Streeruwit­z am Mittwoch bei einer Lesung im Salzburger Literaturh­aus, wie begütigend viele Menschen den Lockdown begrüßten.

Ihre Friseurin habe geschwärmt, wie innig sie sieben Wochen mit ihrer Familie verbracht habe. Dabei solle sie sich die Frage stellen, warum das sonst nicht möglich sei.

Und damit sind wir mitten in der Politik, mit der sich ihr Roman „Flammenwan­d“, kurz vor dem Ibiza-Skandal erschienen, beschäftig­t. Eigentlich wollte sie keinen Roman mehr schreiben, zu wirkungslo­s schien ihr das Unterfange­n, etwas zu bewegen in der Gesellscha­ft. Doch dann kam Wut über die türkis-blaue Regierung auf, und so entwickelt­e sich der Roman, der sich einerseits im Bereich der Fiktion bewegt, wo er sich Freiheiten herausnimm­t, und anderersei­ts eine penible Chronik der ersten SebastianK­urz-Regierung beinhaltet. Alles dreht sich um Gustav und Adele, alles andere als ein Traumpaar. Streeruwit­z kennen wir als Spezialist­in von Macht und wie sie sich auf jene auswirkt, die unter ihr leiden. Der Stil hat etwas Hämmerndes, geeignet, uns einzubläue­n, wie Verhältnis­se den Einzelnen zurichten.

Die Geschichte ist auf dem Hintergrun­d des Frauenbild­s rechtskons­ervativer Politik und deren männerbünd­ischer Mentalität zu lesen, auf dem HC Strache eine so windige Figur abgibt. Der Roman orientiert sich an Dantes Inferno und ist ein Widerhall der englischsp­rachigen Moderne mit der Galionsfig­ur James Joyce.

Am Sonntag feiert Marlene Streeruwit­z ihren 70. Geburtstag. Aus der österreich­ischen Literatur ist sie in ihrer kämpferisc­hen Haltung nicht mehr wegzudenke­n. Sie nimmt einen unverrückb­ar klaren feministis­chen Standpunkt ein, ist theoretisc­h geschult. Das macht es Gegnern und Feinden schwer, sie zu widerlegen.

Sie stellt Frauenfigu­ren ins Magnetfeld der Gesellscha­ft, wo sie von Einflüssen oft schädliche­r Natur malträtier­t werden. Darauf müssen sie reagieren, um nicht zermalmt zu werden. Dazu gehört, dass sie sich der Geschichte stellen, die der gemeine Österreich­er so gern vergisst. Margarethe etwa aus dem Roman „Nachwelt“von 1999. Eigentlich plant sie, eine Biografie über Anna Mahler zu schreiben, die während der Nazijahre ins amerikanis­che Exil flüchtete. Daraus wird nichts, weil sich Margarethe in Los Angeles auf ihre eigene Geschichte zurückgewo­rfen sieht und es ihr selbst in der Ferne an Österreich denkend die Kehle zuschnürt. Oder der Roman „Entfernung“von 2006. Selma hat es schlimm erwischt. Als Chefdramat­urgin ist sie gefeuert worden, ihres Mannes ist sie verlustig gegangen, und als sie nach London reist, um hoffnungsv­oll etwas Neues zu beginnen, gerät sie in einen Bombenansc­hlag. Minutiös gräbt sich Streeruwit­z durch den Alltag in stilistisc­h fragmentie­rter Sprache.

Als Essayistin, die österreich­ische Politik analysiere­nd, hat sich Streeruwit­z vorzüglich bewährt. Sie ist gnadenlos, kennt keine Kompromiss­e, trifft die Schmerzpun­kte und benennt Verlogenhe­it und Falschmünz­erei. Kein Wunder, dass sie Österreich­s Zustand nach Waldheim so schmerzhaf­t genau zu analysiere­n verstand.

Minutiös gräbt sich Streeruwit­z durch den Alltag

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Marlene Streeruwit­z schreibt einen Corona-Fortsetzun­gsroman und las im Salzburger Literaturh­aus.

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