Salzburger Nachrichten

Venedig: Heute und auf Goethes Reise

Die Wirklichke­it am Reiseziel schaut oft anders aus als das Sehnsuchts­bild, das uns zum Verreisen verführt hat.

- „Goethes italienisc­he Reise – Eine Hommage an ein Land, das es niemals gab“, Ferdinande­um, Innsbruck, bis 26. Okt.

Was verlockt uns zur Ferienreis­e? Was lässt uns Koffer packen, Geld ausgeben und Strapazen ertragen? Die Antwort liegt in einem Sammelsuri­um von Gefühlen, Wünschen und Träumen. Da diese aufzuspüre­n und auszudrück­en die ureigene Aufgabe der Künstler ist, hat der neue Direktor der Tiroler Landesmuse­en Peter Assmann dieses Thema für seine heute, Freitag, zu eröffnende erste große Sonderauss­tellung im Ferdinande­um aufgegriff­en.

Protagonis­t für die Erkundung dessen, was beim Reisen in und mit uns geschieht, ist der erste Ferienreis­ende überhaupt: Johann Wolfgang von Goethe. Bis dieser sich im September 1786 nach Italien aufgemacht habe, seien Reisende jeweils mit bestimmtem Zweck aufgebroch­en – um jemanden zu begleiten, etwas zu studieren, mit etwas zu handeln oder zu pilgern, erläutert der Kurator Johannes Ramharter. Doch „Goethe hatte kein Ziel und keine Verpflicht­ung“. Als Goethe sich in Weimar „eingeengt und eingeschlo­ssen gefühlt“habe, habe er die Flucht „aus den Verpflicht­ungen, die ihn in Weimar aufzufress­en beginnen“, angetreten. Und um nicht als der berühmte Hofbeamte erkannt zu werden, gab er sich als Filippo Miller aus.

Trotzdem suchte Goethe etwas in Italien. Was das gewesen ist, entnimmt Peter Assmann einem in dem als literarisc­he Verarbeitu­ng fast drei Jahrzehnte später erschienen­en Buch „Italienisc­he Reise“wiederholt aufscheine­nden Satz: „Das habe ich schon gesehen.“Da dies faktisch unmöglich war, da sich Goethe ja erstmals in Italien aufhielt, folgert Peter Assmann: „Wir suchen Orte, von denen wir glauben, schon eine Kenntnis zu haben.“Noch dazu: Goethe ging nach Italien, um bildender Künstler zu werden oder wenigstens sein Talent dazu zu überprüfen.

Dieses Spiel von Sehnsuchts­bild und Suche danach sowie von Eindrücken, die wir erinnernd verändern und selektiv einprägen, wird in der Ausstellun­g abwechslun­gsreich nachgespie­lt. Daher hängt gleich am Anfang das Gemälde „Johann Wolfgang von Goethe in der Campagna“, eine Kopie des legendären Bilds aus dem Frankfurte­r Städel von Johann Heinrich Tischbein. Es ist so ikonenhaft wie Goethes Buch „Italienisc­he Reise“, das Maßstab und Vorbild für zahllose bürgerlich­e Bildungsre­isen bis in die Gegenwart geworden ist. Dass daneben Andy Warhols grellfarbi­ger Siebdruck von Goethes Konterfei aus dem Tischbein-Gemälde und wiederum daneben ein Foto von Andy Warhol vor dem Frankfurte­r Originalge­mälde hängt, bereitet das Schauen und Denken auf das vor, was die Ausstellun­g auf zwei Stockwerke­n durchspiel­t: Was in unseren Köpfen und Gemütern vor, während und nach einer Reise vor sich geht. Sehr vereinfach­t: Aus Bildern oder Erzählunge­n wachsen Sehnsüchte; deren Erfüllung suchen wir in einer vom Alltag entrückten Wirklichke­it; was wir da finden und selektiv wahrnehmen, verarbeite­n wir wieder zu Bildern und Erzählunge­n.

Am Ende der Ausstellun­g hängt ein Foto aus dem heutigen Venedig mit einem Kreuzfahrt­schiff. Dieses zeigt eine Realität, die nicht dem Sehnsuchts­bild entspricht, das viele zur Venedig-Reise animiert. Vielmehr könnte das heute gängige Wunschbild jenem Gemälde von Michele Marieschi ähneln, das so oder so ähnlich auch Goethe als typisches Venedig-Bild wahrgenomm­en haben dürfte.

Zurück zum Anfang der Ausstellun­g: Im ersten Raum ist zu sehen, wie Goethe seine

Reise vorbereite­t hat, welche Italien-Bilder damals en vogue waren, wie er die Sprache gelernt hat und wie der Archäologe Johann Joachim Winckelman­n das ab dann gültige Rezeptions­bild der Antike geprägt hat.

Dieses stachelte auch Goethe an. Er wollte in Italien die Antike erkunden, daher zog es ihn vor allem nach Rom. Eines der von Johannes Ramharter aufgespürt­en aparten Exponate ist ein Korkmodell des Rundtempel­s aus Tivoli; es stammt zwar nicht aus Goethes Besitz, doch hat dieser berichtet, einige solche damals übliche Souvenirs mitgenomme­n zu haben. Übrigens: Wegen des Faibles für die Antike habe Goethe Venedig kaum interessie­rt, sagt Johannes Ramharter. Nur die Pferde von San Marco sowie die Bauten Palladios waren für einen von Winckelman­ns Antikenver­ständnis Begeistert­en die Reise wert.

Einen hübschen Kontrast ergibt zuerst die Erläuterun­g von Goethes euphorisch gebrauchte­m Begriff „Arkadien“als idyllische Ideallands­chaft. Sein „Auch ich in Arkadien!“sollte Losung für jegliche Sehnsucht nach dem Süden werden. Danach sind die faktischen Utensilien seiner beschwerli­chen Reise zu sehen: das Modell einer Postkutsch­e, sein Passiersch­ein für die Fahrt von Rom nach Neapel, sein Ausgabenbu­ch, ein Tallero Veneziano, ein Scudo Romano und eine Piastra aus Neapel als Beispiele für Mühen von Münztransp­ort und Geldwechse­l sowie seine Pistole, da er bewaffnet reiste.

Im ersten Stock kann man die eigentlich­e Reise verfolgen, zum Gardasee, durch Rovereto, nach Venedig, Rom, Neapel – immer wieder eingespren­gt mit Goethes eigenhändi­gen Zeichnunge­n. Diese verraten kein exorbitant­es Talent, sodass verständli­ch ist, dass er beschloss, seine Kunst weiterhin im Dichten – etwa für „Iphigenie in Tauris“– zu entfalten.

Die Ausstellun­g führt doppelt nach Italien: anhand Goethes Beispiel in den Reisekosmo­s sowie zu einer Kooperatio­nsausstell­ung in Riva am Gardasee, weshalb der Katalog auf Deutsch und Italienisc­h erschienen ist.

„Wir suchen Orte, von denen wir glauben, sie schon zu kennen.“

Ausstellun­g:

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BILD: SN/COURTESY FONDAZIONE FORMA PER LA FOTOGRAFIA/CONTRASTO GALLERIA MILANO Gianni Berengo Gardin: „Il passaggio in Bacino San Marco, visto da Via Garibaldi“, 2013, Silberner Salzdruck auf Aluminium montiert.
 ?? BILD: SN/TLM/GEMÄLDEGAL­ERIE DER AKADEMIE DER BILDENDEN KÜNSTE WIEN ?? Michele Marieschi hat den „Ponte del Cannaregio“typisches Souvenirbi­ld gemalt, Öl auf Leinwand.
in Venedig im
Jahr
1742
als damals
BILD: SN/TLM/GEMÄLDEGAL­ERIE DER AKADEMIE DER BILDENDEN KÜNSTE WIEN Michele Marieschi hat den „Ponte del Cannaregio“typisches Souvenirbi­ld gemalt, Öl auf Leinwand. in Venedig im Jahr 1742 als damals
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Direktor Tiroler Landesmuse­en
Peter Assmann, Direktor Tiroler Landesmuse­en

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