Jüdisches Museum in Wien
Ein Stamperl Kümmellikör, den Eierkognak oder doch erst einmal einfach einen Sliwowitz? Das Sprudelwasser kommt in der Syphon-Flasche dazu. So könnte ein Abend begonnen haben. Zum Beispiel als im Oktober 1933 das „Fräulein von Wien“gewählt wurde. Oder als die Broadway Boys aufspielten, Dr. Harry Osten mit seinem Orchester ein Konzert gab oder René Dument, als Komet am Jazzhimmel, und Jonny Land, der Meistersaxofonist, angekündigt waren.
In den 1920er- und 1930er-Jahren war das Café Palmhof ein populärer Treffpunkt. Und das Leben des Cafetiers Otto Pollak steht exemplarisch für die jüdische Teilhabe am Wiener Gesellschaftsleben. Ihm und seiner Institution widmet das Jüdische Museum in der Dorotheergasse im Extrazimmer die Ausstellung „Wir bitten zum Tanz“.
Mariahilfer Straße 135, Rudolfsheim-Fünfhaus, 15. Wiener Gemeindebezirk. Vergnügen ist angesagt, um die vom Ersten Weltkrieg gebrochene Monarchie, die noch junge Republik mit Wienerlied, Operette und Walzer abzulenken. Besonders reizvoll klingt der Themenabend, wenn die Matrosenkapelle aufspielt und Bordspezialitäten laut Programmheft vor Seekrankheiten schützen.
„Schaut schon guat aus. Wahnsinn. Riesengroß muaß des g’wesen sein“, sagt eine Museumsbesucherin zur anderen. Geräumig und vor allem vielseitig war der Laden schon, doch: „Wer separiert sein will, besucht das gemütliche Papageienstüberl“, verkündet ein Werbeplakat. Die angesagtesten Architekten dekorierten die geschmackvolle Inneneinrichtung des Tanzcafès immer wieder um. Der kreative Otto Pollak selbst verwandelte einen Raum etwa einmal in eine „Pirateninsel“mit Palmen.
Das Café Palmhof war fortschrittlich, und es war immer etwas los. Vom Kaffeehaus tagsüber war der Übergang zum Nachtlokal ein fließender. Der Komponist Franz Lehár war genauso zu Gast wie der Schauspieler Hans Moser. Das bezeugt sein Gästebucheintrag im Jänner 1938. Vielleicht saß er an jenem Marmortischchen, von dem aus man den Rücken des Westbahnhofs sieht, wie eine Schwarz-Weiß-Fotografie zeigt.
Im selben Jahr, nur fünf Tage nach dem sogenannten „Anschluss“Österreichs ans nationalsozialistische Deutsche Reich im März, ist das Kaffeehaus „arisiert“worden. Die Nazis haben die Pollaks nach Theresienstadt deportiert. Otto Pollaks Kalendernotizen kann man als Hörspiel vernehmen. Sie handeln von Krankheit und Tod, aber auch von den Eisblumen am Fenster, dass Tochter Helga vier Zentimeter gewachsen sei, aber leider auch Gewicht verloren habe und vom letzten Fettvorrat, einer Dose aus Gaya in Tschechien, wo die Familienwurzeln liegen.
Die nun verlängerte Ausstellung erzählt verlorene jüdische Geschichte. Sie dokumentiert aber auch einen vergessenen Ort, einen kulturellen Treffpunkt, der Jazzclub, Konzertsaal und Kapelle genauso verband, wie er Kartenspieler, Kaffeehaussitzer und mondäne Abendgäste zusammenbrachte.
Und doch: Viele Besucher kommen derzeit wegen etwas anderem ins Jüdische Museum: „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ist eine der 157 japanischen Miniaturschnitzereien aus Holz und Elfenbein. Die sogenannten Netsuke liegen normalerweise in der Vitrine des Keramikkünstlers und Autors Edmund de Waal. Er ist ein Nachkomme der jüdischen Ringstraßen-Familie Ephrussi. Wie die Figuren zu ihm gelangten, schildert er in seinem 2011 erschienen erfolgreichen Roman „Der Hase mit den Bernsteinaugen“.
Renoir oder „Spargel“von Édouard Manet. Denn Charles Ephrussi war Kunstmäzen in Frankreich, wo er Marcel Proust zu dessen Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“inspirierte und in die DreyfusAffäre hineingezogen wurde. Über Dürers zeichnerisches Werk schrieb er eine umfangreiche Forschungsarbeit.
Interessant sind auch das Album mit Tuschezeichnungen von Joseph Maria Olbrich, die Skizzen der mondänen Villen und der Parochet genannte Toravorhang – zirka drei Mal fünf Meter groß, aufgehängt wie es im Stadttempel zu hohen Feiertagen üblich war. Der Hundesessel steht symbolisch für die bizarre Dekadenz: Béatrice Ephrussi, eine geborene Rothschild, veranstaltete für ihren
An zwei Standorten erzählt das Jüdische Museum in Wien von der reichen, faszinierenden, glücklichen wie tragischen Geschichte der jüdischen Gemeinde in Wien.
Am Judenplatz wird an die florierende, europaweit renommierte jüdische Gemeinde des Mittelalters erinnert. Die Sonderausstellung würdigt die HollywoodDiva Hedy Lamarr (bis 8. November).
In der Dorotheergasse sind die Dauerausstellung „Unsere Stadt! Jüdisches Wien bis heute“und Sonderschauen – derzeit „Die Ephrussis“(bis 4. Oktober) und „Der Wiener Cafetier Otto Pollak“(bis 18. September) zu sehen. lende Reise beginnt eigentlich schon in der russischen Hafenstadt Odessa. Sie führt durch den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Werdegang einer Familie, die ihre Spuren in ganz Europa und später auf der ganzen Welt hinterlassen hat. Die Welt der Ephrussis hingegen brach mit dem „Anschluss“zusammen. Die Nazis raubten das Vermögen, vertrieben die Familie aus Wien, und so versprengte es die einzelnen Akteure und Generationen in unterschiedliche Erdteile.
Die Geschichte ist also auch eine über das Exil und die Restitution. Von all dem Glanz blieben die Netsuke. In seinem Buch schreibt Edmund de Waal: „Wie Objekte weitergegeben werden, hat mit Geschichtenerzählen zu tun. Ich gebe dir etwas, weil ich dich liebe. Oder weil man es mir gegeben hat. Weil ich es an einem besonderen Orte gekauft habe. Weil du darauf achtgeben wirst. Weil es dein Leben komplizieren wird. Weil es jemand anderen neidisch machen wird. Vermächtnisse erzählen keine einfachen Geschichten. Woran erinnert man sich, was wird vergessen?“
Im Jüdischen Museum setzen sich dieser Tage besonders viele Einheimische mit diesen Fragen auseinander. Touristen bleiben aus, die Stimmung ist entspannt, die Mitarbeiter sind hochmotiviert. Der Wiener Pensionist, der zum ersten Mal da ist, freut sich, dass er vier Tage lang an beiden Standorten sein Ticket nutzen kann. Außer Samstag – dem Sabbat – ist täglich geöffnet.
Alle Ausstellungen sind verlängert. Der Hase ist eine langfristige Leihgabe und darf noch bleiben. Masel tov!