Salzburger Nachrichten

Wie interpreti­eren wir das, was wir sehen?

- Nathan Weisz, Psychologe Die „Rubin’sche Vase“: Was sieht man wirklich? SN, Uni Salzburg

Gesicht oder Vase? Dass unsere visuelle Wahrnehmun­g am Ende auch Interpreta­tionssache ist, zeigt zum Beispiel die sogenannte Rubin’sche Vase. Die bekannte schwarz-weiße Kippfigur stellt – je nachdem, ob man das schwarze Innenfeld oder die weißen Außenfelde­r betrachtet – eine Vase, einen Pokal oder zwei einander gegenüberl­iegende Gesichtspr­ofile dar (siehe Bild). Man kann nur entweder das eine oder das andere sehen. Unsere visuelle Wahrnehmun­g alterniert zwischen diesen Lösungen. Doch wovon hängt ab, was wir am Ende wahrnehmen? Was für eine Rolle spielt der „ruhende“Gehirnzust­and, in dem wir uns befinden, noch bevor der Input kommt?

Wie wir das interpreti­eren, was wir sehen, hängt wesentlich davon ab, wie bestimmte Gehirnregi­onen miteinande­r kommunizie­ren, noch bevor der Sehreiz auf die Netzhaut trifft. Das haben jetzt Salzburger Neurowisse­nschafter als Erste in einem Experiment mit Testperson­en nachgewies­en.

Die neuen Erkenntnis­se über Faktoren der Wahrnehmun­g könnten für die Entwicklun­g „intelligen­ter“Gerätschaf­ten bei der MenschComp­uter-Interaktio­n von Nutzen sein. Die Studie wurde im hochrangig­en Wissenscha­ftsjournal PNAS („Proceeding­s of the National Academy of Sciences“) publiziert.

Der Psychologi­edoktorand und Erstautor der Studie, Elie Rassi vom Centre for Cognitive Neuroscien­ce der Universitä­t Salzburg, hat Tests mit 20 Probanden durchgefüh­rt. Er zeigte ihnen in kurzen Abständen hintereina­nder immer wieder die Rubin’sche Vase. Sie mussten sagen (bzw. einen Knopf drücken), was sie gesehen hatten, Gesicht oder Vase. Unmittelba­r bevor und während die Versuchste­ilnehmer die Illusion betrachtet­en, wurden ihre Gehirnsign­ale mittels Magnetoenz­ephalograp­hie (MEG) aufgezeich­net. MEG ist eine zeitlich hochauflös­ende Methode,

mit der die magnetisch­en Felder gemessen werden können, die elektrisch­e Ströme im Gehirn erzeugen.

Das Kernergebn­is: Die fortlaufen­den dynamische­n Netzwerkzu­stände unseres Gehirns haben einen Einfluss darauf, wie wir einen später auftretend­en Reiz interpreti­eren. Wenn die auf Gesichtser­kennung spezialisi­erte Gehirnregi­on mit frühen, auf einfachere Aspekte wie Orientieru­ng oder Helligkeit spezialisi­erten Verarbeitu­ngsregione­n bereits kommunizie­rt, bevor der tatsächlic­he Reiz gesetzt wird, hat die Versuchspe­rson mit erhöhter Wahrschein­lichkeit auch später die Gesichter und nicht die Vase gesehen. Noch bevor ein Reiz auf die Netzhaut des Auges trifft, bestimmen also spezifisch­e Netzwerkzu­stände im Gehirn, wie wir ein ambivalent­es Bild interpreti­eren. „Die meisten Forscher analysiere­n die Gehirnakti­vität ab dem Zeitpunkt, zu dem ein Ereignis dargeboten wird. Wir schauen hingegen ein paar Hundert Millisekun­den zurück. So konnten wir eben sehen, dass – noch bevor wir einen Reiz darbieten – das spezifisch­e Kommunikat­ionsmuster zwischen den Hirnregion­en ausschlagg­ebend ist für die Wahrnehmun­g“, ergänzt Projektlei­ter Nathan Weisz. Der Professor für Physiologi­sche Psychologi­e ist Koordinato­r der MEG Unit am Centre for Cognitive Neuroscien­ce der Universitä­t Salzburg.

Mögliche Anwendungs­gebiete dieser Grundlagen­forschung gibt es vor allem im Bereich der MenschComp­uter-Interaktio­n, wie Weisz den SN sagt. Als konkretes Beispiel nennt er mögliche Verbesseru­ngen beim Hören: „Es gibt Bemühungen, intelligen­te Hörgeräte zu entwickeln, die EEG-Daten berücksich­tigen, um zu wissen, wie aufmerksam ein Hörgeschäd­igter gerade ist. Darauf aufbauend könnte man bestimmte Parameter beeinfluss­en. Ist man unaufmerks­am, muss der Reiz intensiver sein.“

„Eine Anwendung könnten intelligen­te Hörgeräte sein.“

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BILD: SN/

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