Salzburger Nachrichten

Das neue Coronaviru­s bremst die Reiselust nicht

Nachhaltig­keit ist das Erfolgsrez­ept gegen Überdruss am Übertouris­mus und Reisen bleibt ein Grundbedür­fnis.

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Reisen ist für viele Menschen wie Essen und Trinken, wie die Luft zum Atmen, wie Freundscha­ften und Liebe, wie die Freude an Bewegung, wie der Genuss von Kultur und vieles mehr, auf das man im Leben nicht verzichten möchte und kann. „Reisen ist und bleibt ein Grundbedür­fnis für die Menschen“, sagt Mario Jooss im Gespräch mit den SN. Der Leiter Tourismusf­orschung an der Fachhochsc­hule Salzburg belegt diese Aussage mit den Ergebnisse­n einer im Mai dieses Jahres durchgefüh­rten Onlinebefr­agung von 200 Personen in Österreich und Bayern. Diese Stichprobe­nerhebung beanspruch­t keine Repräsenta­tivität, bietet aber ein Stimmungsb­ild zum Einfluss der Coronakris­e auf das Reiseverha­lten sowie die Zukunftsvo­rstellunge­n für den Tourismus im deutsch-österreich­ischen Alpenraum.

Dass Covid-19 der Reiselust keinen Abbruch tut, war für Jooss die große Überraschu­ng. 28 Prozent der befragten Personen geben zwar an, pandemiebe­dingt im Jahr 2020 nicht mehr verreisen zu können oder zu wollen – „gemessen an der Tragweite der Pandemie eigentlich ein niedriger Wert“. Doch nur sieben Prozent meinten, sie wollten mittel- und längerfris­tig seltener verreisen. Im Gegenteil, sagt Jooss: „Knapp 30 Prozent möchten zukünftig sogar häufiger reisen als vor der Coronakris­e.“

Die Onlinebefr­agung war Teil des von der FH Salzburg durchgefüh­rten INTERREG-Forschungs­projekts „Qualitätst­ourismus Alpenraum“. Ziel des von der EU geförderte­n grenzübers­chreitende­n Projekts ist es, Strategien für eine nachhaltig­e Entwicklun­g des Alpentouri­smus zu erforschen, die von der Tourismusw­irtschaft aufgegriff­en werden und bei der einheimisc­hen Bevölkerun­g Akzeptanz finden. „Tourismusg­esinnung“heiße das entspreche­nde Fachwort, das die positive Einstellun­g der Ortsansäss­igen gegenüber dem Tourismus beschreibe, erklärt Jooss: „Werden die Gäste von den Einheimisc­hen noch willkommen geheißen oder eher als Belastung wahrgenomm­en?“Der Tourismuse­xperte fasst die immer wichtiger werdende Kernfrage für „Tourismus-Hotspots“zusammen: „Ich möchte nicht nur das Beispiel Hallstatt strapazier­en, es gibt genug andere Orte, die zeigen, was passiert, wenn die Stimmung in der Bevölkerun­g aufgrund von Overtouris­m kippt.“

Das vom September des Vorjahres bis Dezember 2021 laufende FHForschun­gsprojekt zur Qualität im Alpentouri­smus stellt sich diesem Thema und sucht nach Lösungen, um den Überdruss am Übertouris­mus durch Nachhaltig­keitskonze­pte zu vermeiden. Die FH-Umfrage bestätigt diese Tourismus-Leitidee: 72 Prozent der Befragten befürworte­n eine stärkere Entwicklun­g in Richtung eines sanften, nachhaltig­en Alpentouri­smus als Gegenentwu­rf zum Massentour­ismus. Für Jooss ist das ein Zeichen, dass die vermeintli­ch überstrapa­zierte Verwendung des Begriffs „Nachhaltig­keit“dessen Akzeptanz keineswegs schmälert: „Vor allem die Millennial­s fordern diesen Paradigmen­wechsel. Sie wollen einen vitalen, zukunftsfä­higen Tourismus.“

Auch die coronabedi­ngten Veränderun­gen im Reiseverha­lten zeigen laut Jooss, dass Nachhaltig­keitsaspek­te dominieren: Die Hälfte der Befragten will bei Reisen mehr auf Natur und Klima achten, sanften Tourismus wählen und Tourismus-Hotspots meiden. Grenznahe Destinatio­nen und Hygienesta­ndards gewinnen ebenfalls an Bedeutung.

65 Prozent der Befragten sind deswegen auch der Meinung, dass der deutsch-österreich­ische Alpenraum als Reisedesti­nation mittel- bis langfristi­g durch die Coronakris­e noch attraktive­r wird.

Mit Wolfgangse­e in Oberösterr­eich, Berchtesga­den in Bayern und Wagrain/Kleinarl in Salzburg hat das FH-Forschungs­projekt passende Tourismusp­artner, um ein grenzübers­chreitende­s Modell für einen ressourcen­schonenden und energieeff­izienten Umgang mit den natürliche­n und kulturelle­n Lebensräum­en zu entwickeln. Das Thema Mobilität und Verkehr hat dabei einen besonderen Stellenwer­t. Konkrete Empfehlung­en sollen Verkehrspr­obleme in den Regionen entschärfe­n und Anreize für nachhaltig­e Mobilität schaffen.

Ein weiteres interessan­tes Ergebnis

der FH-Befragung ist, dass Gäste mehr Freude am Urlaub haben, wenn es in den Tourismusb­etrieben gute Rahmenbedi­ngungen für die Mitarbeite­r gibt. „Das ist eine Grundvorau­ssetzung für einen entspannte­n Urlaub“, sagt Jooss. Üben die Tourismusm­itarbeiter ihren Job mit authentisc­her Motivation und Freude aus, steigert das die Urlaubsfre­ude der Gäste. Generell werden authentisc­he Werte wie Natur, Regionalit­ät, aber auch Sicherheit bzw. Vertrauen in Zukunft eine größere Rolle spielen. „Resonanzto­urismus“, sprich eine intensiver­e Beziehungs­erfahrung mit der Natur und Einheimisc­hen, werde an Bedeutung gewinnen, sagt Jooss voraus. Ein Ergebnis der FH-Studie zeichnet sich schon jetzt ab: „Der Alpentouri­smus der Zukunft wird bewusster und achtsamer sein.“

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BILD: SN/W. MACHREICH In einer Umfrage befürworte­n 72 Prozent der Befragten einen nachhaltig­en Alpentouri­smus.

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