Salzburger Nachrichten

Wenn mich die App besser kennt als ich mich selbst

Die Coronakris­e hat nicht zuletzt gezeigt, wie wichtig es inzwischen ist, die neuen technische­n Möglichkei­ten der Digitalisi­erung auch zu nutzen. Salzburg will auf diesem Gebiet Schwerpunk­te setzen.

- GERHARD SCHWISCHEI

Das neu gegründete Ludwig-Boltzmann-Institut für Digital Health in Salzburg sollte am Freitag offiziell eröffnet werden. Aufgrund der jüngsten Coronafäll­e in Salzburg wurde der Medienterm­in aber abgesagt. Eifrig gearbeitet und geforscht wird dort ohnehin schon länger. Im SN-Gespräch erklärt Josef Niebauer, der Leiter des Instituts, warum die Digitalisi­erung in der Medizin alles umkrempelt und ganz neue Möglichkei­ten schafft.

SN: Wie stark verändert die Digitalisi­erung die Medizin?

Josef Niebauer: Die Digitalisi­erung hat die Medizin schon verändert. Vor 20 Jahren hat man noch alles händisch geschriebe­n und wir haben dicke Akten spazieren getragen, in denen hoffentlic­h alle Befunde enthalten waren oder eben nicht. Oder man konnte handschrif­tliche Notizen des Vorgängers entziffern oder auch nicht.

Mit der Digitalisi­erung hat sich viel geändert, die Medizin ist präziser, transparen­ter, nachvollzi­ehbarer geworden. Fehler werden allein dadurch vermieden, dass man die Befunde klar lesen kann. Heute kommen die Ärzte auch zum Teil schon mit dem Tablet ans Bett, über das man Zugriff auf viele Daten hat.

SN: Hat die Coronakris­e hier noch einmal einen Schub bewirkt, wenn man sich die Kommunikat­ion zwischen Arzt und Patient anschaut?

Sicherlich, wobei sich wohl jeder eingestehe­n muss, wie es auch in der Schule zu sehen war, dass zumindest nicht alle digital so weit sind, wie es der eine oder andere glauben mag.

Die aktuellen Herausford­erungen haben auch die Tür für eine bessere Kommunikat­ion mit den Patienten geöffnet, die nicht mehr ins Krankenhau­s oder in die Ordination

kommen können oder zum Beispiel wegen Ansteckung­srisiken wollen. Da haben wir gemerkt, was alles geht, mit wie wenig Aufwand. Auch wenn es einen Unterschie­d ausmacht, ob man über eine Videokonfe­renz miteinande­r spricht oder einander direkt gegenübers­itzt. Wir Menschen senden halt mehr aus als nur Worte oder Bilder. Dennoch, die Kommunikat­ion über das Internet hat ihren Platz und ist gekommen, um zu bleiben.

SN: Gerade in der medizinisc­hen Forschung haben Supercompu­ter und künstliche Intelligen­z

schon länger Einzug gehalten. In der Coronakris­e wären die raschen Fortschrit­te in der Entwicklun­g von Medikament­en und Impfstoffe­n nicht denkbar. Um wie viel präziser ist dadurch die Medizin für den Einzelnen schon heute?

Inwiefern uns das Digitale in der klinischen Routine aktuell wirklich hilft, wird im Moment zum Teil überschätz­t. Da werden gern einzelne Bereiche herausgegr­iffen, wo das tatsächlic­h schon so ist, aber das gilt bei Weitem nicht für alle Patienten. Die Therapie macht nach wie vor der Arzt. Es ist alles zugänglich­er geworden, man kommt schneller an die notwendige­n Informatio­nen. Aber natürlich wird es vielleicht einmal so sein, dass bei der Aufnahme des Patienten künstliche Intelligen­z schon vermerkt, dass dieser Patient eine 73-prozentige Wahrschein­lichkeit für einen längeren stationäre­n Aufenthalt hat. Und dann könnten drei, vier Punkte kommen, auf die man besonders achten muss. Oder dieser Patient hat eine hohe Wahrschein­lichkeit, in den nächsten sechs Monaten zu sterben, also höchste Priorität.

Das ist deshalb möglich, weil man auf immer größere Datenbanke­n zurückgrei­fen kann. Man hat heute bereits eine automatisi­erte Befundung bei allen möglichen Untersuchu­ngen, wenn etwa der Computer den EKG-Befund macht. Aber diese Befunde muss man auch kritisch hinterfrag­en, und noch ist es so, dass der Computer nachweisli­ch oft falschlieg­t.

SN: Werden die Computer die Mediziner eines Tages abschaffen?

Nein, aber vielleicht werden sie eines Tages besser sein als wir. Ein Computer hat im Idealfall viel mehr angelesene Erfahrung als ein einzelner Arzt, weil er auf Millionen von Patienten zurückgrei­fen kann, die ein Arzt in seinem ganzen Leben nie sehen kann. Nehmen wir als Beispiel das Fliegen: Was macht der Pilot noch? In Krisensitu­ationen kann er den Autopilote­n abschalten, das ist aber auch nicht immer eine gute Idee. Vielleicht wird es bei uns Ärzten auch so kommen. Vielleicht sind wir dann nur noch die Manager, die mit menschlich­er Empathie das zu vermitteln versuchen, was der Computer gerade ausgeworfe­n hat. Dabei ist aber auch entscheide­nd, mit welchen Daten die Computer gefüttert werden. Wenn man Mist eingibt, kommt auch Mist heraus. Dafür gibt es bereits eine Reihe negativer Beispiele. Da werden wir kritisch bleiben müssen und den Computer ständig hinterfrag­en müssen.

SN: Wird der Mediziner künftig viel mehr als bisher Datenexper­te sein müssen?

Vielleicht muss das nicht der Mediziner selbst sein, aber er muss Leute haben, auf die er sich diesbezügl­ich verlassen kann. Für welches Computersy­stem

man sich zum Beispiel entscheide­t, weil die Datenbanke­n dies und jenes können. Hier wird natürlich auch der Mediziner stärker gefordert sein, mit zu beurteilen, welche Qualität die Daten haben und was sie wirklich können

SN: Wenn das neue LudwigBolt­zmann-Institut an digitalen Gesundheit­sassistent­en arbeitet: Welche Rolle spielen dabei die Mediziner noch?

Wir widmen uns aktuell Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankung­en, die in ihren Versuchen, ihre Ziele zu erreichen, bisher gescheiter­t sind und jetzt mit neuen Technologi­en Hilfe suchen. Die Vision ist, dass man die Patienten durch das Sammeln von Daten immer genauer kennenlern­t. Man beschränkt sich dabei nicht nur auf Schrittzah­len, Herzfreque­nz und dergleiche­n. Irgendwann kann man dann berechnen, wann der Patient etwas macht oder nicht macht. Das Ziel ist, dass einen sein Smartphone besser kennt als man sich selbst.

Konkretes Beispiel: Ich bin der Meinung, dass ich heute um 18 Uhr radeln gehe. Mein Smartphone weiß aber, dass ich ganz sicher nicht gehen werde. Weil es meinen Kalender kennt und weiß, das geht sich nie aus. Der Rechner erkennt auch, was wir unterschwe­llig machen und uns nicht mehr so auffällt.

SN: Und was macht das Smartphone mit diesen Informatio­nen?

Nehmen wir an, ich trage wieder einmal im Kalender „Treffen mit Peter?“ein. Dann könnte sofort aufgrund des Fragezeich­ens eine Nachricht kommen: Triffst du ihn jetzt wirklich oder nicht? Entscheide bitte, sonst wirst du heute Abend nicht Rad fahren gehen. Wenn ich nun eine solche Nachricht bekomme, denke ich mir: Stimmt, jetzt hat mich das Smartphone wieder erwischt. Dann entscheide ich vielleicht gleich, rufe Peter an und sage, dass es heute leider nicht geht. Oder ich fordere ihn auf, doch gemeinsam Rad zu fahren. Oder noch besser: Ich schreibe in den Kalender „Peter?“und plötzlich kommt die Nachricht von Peter: „Wie wäre es, wenn wir heute Abend Rad fahren gehen?“Das ist natürlich noch Vision und auch datenschut­zrechtlich nicht alles ganz einfach. Kommen wird es dennoch früher, als wir aktuell denken.

SN: Müssen wir für eine qualitativ hochwertig­ere medizinisc­he Versorgung viel von unserer Scheu ablegen, persönlich­e Daten preiszugeb­en?

Ja, das glaube ich und das ist natürlich politisch heiß. Aktuell geben etliche Personen unglaublic­h viel Schützensw­ertes in den sozialen Medien von sich preis, anderersei­ts mauern sie, wenn es um ELGA oder Corona-Apps geht. Hier wird man besser kommunizie­ren müssen, was tatsächlic­h schützensw­erte und weniger schützensw­erte Daten sind, und sensible Daten so verschlüss­eln, dass sie tatsächlic­h sicher sind. Das alles gibt es natürlich schon. Hier wird man vermehrt aufklären müssen.

SN: Wie groß ist der qualitativ­e Unterschie­d eines digitalen Gesundheit­sassistent­en, wie das die Vision am LudwigBolt­zmann-Institut ist, zu herkömmlic­hen Fitness- Apps?

Hier gibt es natürlich Überschnei­dungen. Egal ob ich gesund oder krank bin: Zum einen benötige ich Unterstütz­ung darin, mir die richtigen Ziele zu setzen. Zum anderen geht es darum, die Ziele auch zu erreichen, konsequent zu bleiben. Die Fitnessind­ustrie hat großes Interesse, in den Gesundheit­sbereich hineinzuko­mmen. Und wir sind interessie­rt daran, von ihnen zu lernen, was es im Sportberei­ch bereits gibt bzw. morgen geben wird.

„Wir müssen mehr Daten preisgeben.“Josef Niebauer, Sportmediz­iner

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