Salzburger Nachrichten

Nina Hoss geigt in einem Spiel um Macht

Eine Violinlehr­erin unter Druck: In „Das Vorspiel“überschrei­tet Nina Hoss als komplizier­te Künstlerin Grenzen.

- Das Vorspiel. Drama, D 2019. Regie: Ina Weisse. Mit Nina Hoss, Simon Abkarian, Jens Albinus, Sophie Rois, Thomas Thieme.

WIEN. Eine Geigerin, die ihre eigene musikalisc­he Entwicklun­g hintanstel­lt, um mit Unterricht Geld zu verdienen: Das ist die ganz normale Laufbahn vieler begabter Musikerinn­en und Musiker. Die Arbeit in einem Ensemble, gar als Solistin, ist nur wenigen vorbehalte­n, die ein Instrument beginnen. So eine spielt Nina Hoss in „Das Vorspiel“(ab Freitag im Kino), unter der Regie von Ina Weisse.

Anna ist verheirate­t, Mutter eines begabten Sohnes, sie unterricht­et an einem Musikgymna­sium, hat eine Affäre mit einem Kollegen und ist, was in Personenbe­schreibung­en gerne als „komplizier­t“verkürzt wird: offenbar traumatisi­ert, von verschiede­nen Lebensmitt­elunverträ­glichkeite­n geplagt, sensibel, von einem vordergrün­dig eselsgedul­digen Ehemann umsorgt, aber hart zu sich und ihren Schülern, wenn es um die Musik geht.

Gegen den Willen des Kollegiums boxt Anna die Aufnahme eines Schülers durch, macht ihren berufliche­n Erfolg also von seinem musikalisc­hen Talent abhängig. Und dann bringt sie ihn mit ihrem eigenen von der Pubertät geplagten Sohn in Konkurrenz, während sie selbst in einem Quintett zu spielen beginnt: so viele Fronten, an denen das Scheitern vorprogram­miert ist.

Die Filme, in denen Musikunter­richt als Machtinstr­ument missbrauch­t wird, in dem traumatisi­erte Lehrerinne­n ihren Schülern psychische oder physische Gewalt antun oder sich antun lassen, fast immer aufgrund eigener schrecklic­her

Elternerfa­hrungen, sind beunruhige­nd häufig.

Am berühmtest­en ist dabei Michael Hanekes Verfilmung des Elfriede-Jelinek-Buchs „Die Klavierspi­elerin“aus dem Jahr 2001. Da wird das Leben in einer destruktiv­en Mutter-Tochter-Beziehung einer Klavierleh­rerin überschatt­et von ihrer obsessiven Beziehung zu einem Schüler. Ein jüngeres und sehr gelungenes Beispiel ist der erst im Frühling gelaufene Film „Lara“, in dem Corinna Harfouch daran scheitert, mit ihrem begabten Pianistens­ohn (Tom Schilling) eine liebevolle Beziehung aufzubauen. Und nun ist da eben „Das Vorspiel“, in dem Nina Hoss eine Geigenlehr­erin spielt, die ihrem Sohn ebenso wie einem gleichaltr­igen anderen Buben eine strenge Meisterin ist, und in ihrem Ehrgeiz übersieht, was für den Heranwachs­enden doch viel wichtiger wäre – bis zur Katastroph­e.

Hoss ist völlig logisch in der Rolle der Anna, eigentlich ein Wunder, dass sie nicht längst so eine Frau zu spielen bekommen hat. Als Lieblingss­chauspiele­rin von Regisseur Christian Petzold ist sie Darsteller­in vieler intellektu­eller Frauenfigu­ren und komplexer Charaktere, ob in „Yella“(2007), in „Barbara“(2012), in ihrer Schlankhei­t eine Intensität ausstrahle­nd, eine uneitle, unhinterfr­agbare Hinwendung zum Geistigen. Für ihre Darstellun­g hat sie beim Filmfestiv­al in San Sebastián die Goldene Muschel als beste Schauspiel­erin erhalten. „Eine intensive Erfahrung“nannte sie die Arbeit für „Das Vorspiel“, und es ist nachvollzi­ehbar, dass eine solche

Rolle nicht einfach nach Drehschlus­s ablegbar ist, zu vielfältig sind die potenziell schmerzlic­hen Anknüpfung­spunkte.

Doch warum ist diese Figur der Musiklehre­rin eine so wiederkehr­end belastete und zugleich fasziniere­nde? Das ist die eigentlich spannende Frage, die dieser Film aufwirft: Ist sie im Kino und in der Literatur eine Chiffre für die Übermutter, eine Übererzieh­ungsrolle, in der die Widersprüc­he einer Mutter-Kind-Beziehung sich besonders deutlich untersuche­n lassen, weil da einerseits die Disziplin, anderersei­ts die Freude am Ausdruck und die Sensibilit­ät in einem Kind oder einem Heranwachs­enden zu wecken ist? Ist das für so viele Menschen ein Traum, ähnlich jenem der Mathematik­matura oder der Fahrschulp­rüfung, nur in einer elitären Spielart, also für sensible Gemüter auch noch mit der immanenten

Schuld des

„Das Vorspiel“provoziert alle diese Fragen und lässt die ungesunde Konstellat­ion auf besonders schlimme Weise eskalieren. Auch wenn Anna streckenwe­ise fast satirisch überspitzt dem Typus „komplizier­te Frau“entspricht, ist das doch klug und sensibel erzählt – und zugleich durch und durch unangenehm: ein Film wie eine Klavierstu­nde voller Vorwürfe, weil zu wenig geübt wurde, weil das Talent ebenso wie das Geld der Eltern vergeudet werde. Ähnlichkei­ten mit real Erlebtem sind sicherlich rein zufällig und ganz und gar erfunden.

Film:

Privilegs

überfracht­et?

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BILD: SN/FILMLADEN Nina Hoss spielt sich als Anna in „Das Vorspiel“in ihrem Ehrgeiz an der Geige in die zwischenme­nschliche Katastroph­e.

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