Nina Hoss geigt in einem Spiel um Macht
Eine Violinlehrerin unter Druck: In „Das Vorspiel“überschreitet Nina Hoss als komplizierte Künstlerin Grenzen.
WIEN. Eine Geigerin, die ihre eigene musikalische Entwicklung hintanstellt, um mit Unterricht Geld zu verdienen: Das ist die ganz normale Laufbahn vieler begabter Musikerinnen und Musiker. Die Arbeit in einem Ensemble, gar als Solistin, ist nur wenigen vorbehalten, die ein Instrument beginnen. So eine spielt Nina Hoss in „Das Vorspiel“(ab Freitag im Kino), unter der Regie von Ina Weisse.
Anna ist verheiratet, Mutter eines begabten Sohnes, sie unterrichtet an einem Musikgymnasium, hat eine Affäre mit einem Kollegen und ist, was in Personenbeschreibungen gerne als „kompliziert“verkürzt wird: offenbar traumatisiert, von verschiedenen Lebensmittelunverträglichkeiten geplagt, sensibel, von einem vordergründig eselsgeduldigen Ehemann umsorgt, aber hart zu sich und ihren Schülern, wenn es um die Musik geht.
Gegen den Willen des Kollegiums boxt Anna die Aufnahme eines Schülers durch, macht ihren beruflichen Erfolg also von seinem musikalischen Talent abhängig. Und dann bringt sie ihn mit ihrem eigenen von der Pubertät geplagten Sohn in Konkurrenz, während sie selbst in einem Quintett zu spielen beginnt: so viele Fronten, an denen das Scheitern vorprogrammiert ist.
Die Filme, in denen Musikunterricht als Machtinstrument missbraucht wird, in dem traumatisierte Lehrerinnen ihren Schülern psychische oder physische Gewalt antun oder sich antun lassen, fast immer aufgrund eigener schrecklicher
Elternerfahrungen, sind beunruhigend häufig.
Am berühmtesten ist dabei Michael Hanekes Verfilmung des Elfriede-Jelinek-Buchs „Die Klavierspielerin“aus dem Jahr 2001. Da wird das Leben in einer destruktiven Mutter-Tochter-Beziehung einer Klavierlehrerin überschattet von ihrer obsessiven Beziehung zu einem Schüler. Ein jüngeres und sehr gelungenes Beispiel ist der erst im Frühling gelaufene Film „Lara“, in dem Corinna Harfouch daran scheitert, mit ihrem begabten Pianistensohn (Tom Schilling) eine liebevolle Beziehung aufzubauen. Und nun ist da eben „Das Vorspiel“, in dem Nina Hoss eine Geigenlehrerin spielt, die ihrem Sohn ebenso wie einem gleichaltrigen anderen Buben eine strenge Meisterin ist, und in ihrem Ehrgeiz übersieht, was für den Heranwachsenden doch viel wichtiger wäre – bis zur Katastrophe.
Hoss ist völlig logisch in der Rolle der Anna, eigentlich ein Wunder, dass sie nicht längst so eine Frau zu spielen bekommen hat. Als Lieblingsschauspielerin von Regisseur Christian Petzold ist sie Darstellerin vieler intellektueller Frauenfiguren und komplexer Charaktere, ob in „Yella“(2007), in „Barbara“(2012), in ihrer Schlankheit eine Intensität ausstrahlend, eine uneitle, unhinterfragbare Hinwendung zum Geistigen. Für ihre Darstellung hat sie beim Filmfestival in San Sebastián die Goldene Muschel als beste Schauspielerin erhalten. „Eine intensive Erfahrung“nannte sie die Arbeit für „Das Vorspiel“, und es ist nachvollziehbar, dass eine solche
Rolle nicht einfach nach Drehschluss ablegbar ist, zu vielfältig sind die potenziell schmerzlichen Anknüpfungspunkte.
Doch warum ist diese Figur der Musiklehrerin eine so wiederkehrend belastete und zugleich faszinierende? Das ist die eigentlich spannende Frage, die dieser Film aufwirft: Ist sie im Kino und in der Literatur eine Chiffre für die Übermutter, eine Übererziehungsrolle, in der die Widersprüche einer Mutter-Kind-Beziehung sich besonders deutlich untersuchen lassen, weil da einerseits die Disziplin, andererseits die Freude am Ausdruck und die Sensibilität in einem Kind oder einem Heranwachsenden zu wecken ist? Ist das für so viele Menschen ein Traum, ähnlich jenem der Mathematikmatura oder der Fahrschulprüfung, nur in einer elitären Spielart, also für sensible Gemüter auch noch mit der immanenten
Schuld des
„Das Vorspiel“provoziert alle diese Fragen und lässt die ungesunde Konstellation auf besonders schlimme Weise eskalieren. Auch wenn Anna streckenweise fast satirisch überspitzt dem Typus „komplizierte Frau“entspricht, ist das doch klug und sensibel erzählt – und zugleich durch und durch unangenehm: ein Film wie eine Klavierstunde voller Vorwürfe, weil zu wenig geübt wurde, weil das Talent ebenso wie das Geld der Eltern vergeudet werde. Ähnlichkeiten mit real Erlebtem sind sicherlich rein zufällig und ganz und gar erfunden.
Film:
Privilegs
überfrachtet?