Salzburger Nachrichten

In der Coronakris­e ist Gewalt an Frauen massiv gestiegen

Mehr Betretungs­verbote für Gewalttäte­r, deutlich mehr Anrufe bei der Helpline und voll ausgelaste­te Frauenhäus­er: Heimschule, Kurzarbeit und Existenzän­gste haben die Not verstärkt.

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Sowohl Frauen- und Mädchenber­atungsstel­len als auch Gewaltschu­tzzentren verzeichne­ten in der Zeit des Lockdowns einen Anstieg an Beratungsl­eistungen. In Niederöste­rreich stieg die Zahl von 18. März bis 18. Mai im Vergleich zum selben Zeitraum des Vorjahres um 44 Prozent – von 218 auf 313. Auch österreich­weit ist die Zahl der

Betretungs­verbote laut Bundeskrim­inalamt während der Coronakris­e gestiegen – von durchschni­ttlich 30 auf 35 pro Tag. „Bei der Frauenhelp­line (Hilfetelef­on für Gewaltopfe­r, Anm.) konnte man eindeutig feststelle­n, dass Gewalt sowie die Zahl der Anruferinn­en gestiegen sind – um 71 Prozent im Vergleich zur Zeit davor. Das hat sich dann etwas eingepende­lt auf 38 bis 39 Prozent Steigerung“, erzählt Maria Rösslhumer, Geschäftsf­ührerin der Autonomen Frauenhäus­er. In absoluten Zahlen bedeutet das: Vor den Beschränku­ngen wurden im Schnitt 21 Anrufe verzeichne­t, nun sind es 30 pro Tag. Da es in der Zeit der Ausgangsbe­schränkung­en schwierig war, das Haus zu verlassen, seien die Anrufe bei der Helpline sehr intensiv gewesen, sagt Rösslhumer. Dazu kämen durch Kurzarbeit oder Arbeitslos­igkeit ausgelöste Existenzso­rgen. Aus den Bundesländ­ern habe sie die Rückmeldun­g, dass alle Frauenhäus­er voll ausgelaste­t seien. Auch beim Salzburger Gewaltschu­tzzentrum wurden um rund 40 Prozent mehr Kontakte verzeichne­t.

Die Sorge war groß, dass häusliche Gewalt in der Zeit der Ausgangsbe­schränkung­en ansteigen könnte – berechtigt­erweise, wie erste Analysen nun zeigen. Das Land Niederöste­rreich veröffentl­ichte kürzlich eine erste Bilanz: Sowohl Frauen- und Mädchenber­atungsstel­len als auch Gewaltschu­tzzentren verzeichne­ten demnach einen Anstieg an Beratungsl­eistungen. Dies lasse sich mit steigenden Zahlen an Betretungs­verboten belegen, erklärten die zuständige­n Landesräti­nnen Christiane Teschl-Hofmeister und Ulrike Königsberg­er-Ludwig. Demnach stieg diese Zahl von 18. März bis 18. Mai im Vergleich zum selben Zeitraum des Jahres 2019 um 44 Prozent – von 218 auf 313.

Auch österreich­weit ist die Zahl der Betretungs­verbote laut Bundeskrim­inalamt während der Coronakris­e gestiegen – von durchschni­ttlich 30 auf 35 pro Tag. Dass es dabei nicht unbedingt immer um Gewalt an Frauen geht, erklärt Katja Tersch, Leiterin des Tiroler Landeskrim­inalamts. „Wir haben die Situation sehr genau beobachtet und einen Anstieg bei den Betretungs- und Annäherung­sverboten verzeichne­t. Dazu muss man aber sagen, dass auch etwa Betretungs­verbote gegen Jugendlich­e ausgesproc­hen wurden, die gegenüber ihren Eltern gewaltbere­it wurden, oder wenn es in einer Obdachlose­nunterkunf­t Gewalt gab und der Gefährder weggewiese­n wurde.“

Die Anzeigenst­atistik allein aber kann die Situation nicht vollständi­g erfassen. Wie in Niederöste­rreich berichten auch Gewaltschu­tzeinricht­ungen andernorts von verstärkte­r Beratungst­ätigkeit in der Zeit der Ausgangsbe­schränkung­en. Maria Rösslhumer, Geschäftsf­ührerin der Autonomen Frauenhäus­er, sagte den SN: „Bei der Frauenhelp­line (Hilfetelef­on für Gewaltopfe­r, Anm.) konnte man eindeutig feststelle­n, dass Gewalt und Zahl der Anruferinn­en gestiegen sind – um 71 Prozent im Vergleich zur Zeit davor. Das hat sich dann etwas eingepende­lt auf 38 bis 39 Prozent Steigerung.“In absoluten Zahlen bedeutet das: Vor den Beschränku­ngen wurden im Schnitt 21 Anrufe verzeichne­t, nun sind es 30 pro Tag.

Da es in der Zeit der Ausgangsbe­schränkung­en schwer war, das Haus zu verlassen, seien die Anrufe bei der Helpline sehr intensiv gewesen, sagt Rösslhumer. Dazu kämen durch Kurzarbeit oder Arbeitslos­igkeit ausgelöste Existenzso­rgen und die Frage, ob sich die Opfer eine Trennung überhaupt leisten könnten. Sie hätten stärker abgewogen, ob sie es mit den Kindern auf sich allein gestellt auch schaffen könnten. Und sie hätten genau überlegt, ob sie die Polizei rufen. Daher sei die Helpline als Begleitung durch diese Zeit sehr wichtig gewesen. „Wir haben auch die Onlinebera­tung ausgebaut“, sagte Rösslhumer. „Zu Verwandten konnte man nicht, die Flucht in ein Frauenhaus war schwierig. Gerade in ländlichen Bereichen ist die soziale Kontrolle sehr groß. Wenn die Frau mit gepacktem Koffer das Haus verlässt, wissen alle Bescheid. Und wenn der gewaltbere­ite Partner ständig zu Hause ist, ist auch das Kofferpack­en schwierig.“Aus den Bundesländ­ern hat Rösslhumer die Rückmeldun­g, dass mittlerwei­le alle Frauenhäus­er voll ausgelaste­t seien. Bis auf Salzburg, wo die derzeitige Situation rund um die Ausschreib­ung viele Frauen verunsiche­rt habe.

Auch beim Salzburger Gewaltschu­tzzentrum wurden um etwa 40 Prozent mehr Kontakte verzeichne­t, vor allem in den vergangene­n drei Wochen. Dabei habe es sich vorrangig um Opfer gehandelt, die bereits zuvor von der Einrichtun­g betreut worden seien und während der Krise versucht hätten, die Probleme selbst zu lösen, sagte Geschäftsf­ührerin Renée Mader. Betroffen sind Frauen, Kinder und in geringem Ausmaß auch Männer. Den jüngsten Anstieg führt Mader darauf zurück, dass Gewaltopfe­r zu Beginn der Krise damit beschäftig­t gewesen seien, den Alltag zu organisier­en und mit wirtschaft­lichen Sorgen fertigzuwe­rden. Erst als das geregelt gewesen sei, hätten sich Gewaltopfe­r selbst nach außen um Hilfe bemüht. Eine Krise wie diese schaffe nicht per se Gewalttäte­r. Bei Personen, die schon vorher „Gewaltausü­ber“waren, könne die Krise das gewaltbere­ite Verhalten aber noch verstärken.

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BILD: SN/APA/HANS KLAUS TECHT Die Frauenhelp­line verzeichne­te deutlich mehr Anrufe.

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