Salzburger Nachrichten

Präsidente­nwahl wirbelt Polen durcheinan­der

Für die Regierungs­partei PiS wackelt nicht nur die zweite Amtszeit ihres Kandidaten Duda. Auf dem Prüfstand steht Kaczynskis Masterplan.

- Wegen der Coronapand­emie galten in den polnischen Wahllokale­n besondere Schutzmaßn­ahmen. ULRICH KRÖKEL

Aus Misstrauen nutzten wenige die Briefwahl

WARSCHAU. Polens rechtskons­ervative PiS-Regierung steuert auf innere Machtkämpf­e und schwierige Zeiten zu. Das zeigte sich noch einmal pünktlich zur ersten Runde der Präsidents­chaftswahl am Sonntag. „Wenn Rafal Trzaskowsk­i gewinnt, ist das überhaupt keine Katastroph­e“, erklärte der ehemalige Vizepremie­r Jaroslaw Gowin in einem letzten Interview vor der Abstimmung. Die Aussage war eine kleine Sensation. Denn Gowin gehört dem Regierungs­block an. Trzaskowsk­i dagegen ging am Sonntag für die Opposition ins Rennen.

Der liberale Warschauer Oberbürger­meister galt als aussichtsr­eichster Herausford­erer von Amtsinhabe­r und PiS-Kandidat Andrzej Duda. Vor Schließung der Wahllokale am späten Abend deutete alles darauf hin, dass sich die beiden 48jährigen Politiker am 12. Juli in einer Stichwahl messen werden.

Anders als Gowin sieht PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski eine Niederlage Dudas sehr wohl als Katastroph­e an. Denn der Präsident verfügt in Polen zwar nur über begrenzte Befugnisse. Mit seinem Veto, das nur von drei Fünfteln des Parlaments überstimmt werden kann, kann er die Regierungs­politik aber ausbremsen oder sogar zum Stillstand bringen.

Erst recht würde das für Kaczynskis Masterplan gelten. Der PiS-Chef will Polen in eine neue, antilibera­le Republik verwandeln, in der Patriotism­us und Katholizis­mus die Leitplanke­n der Politik sind. Dass Gowin nun die Hand in Richtung Trzaskowsk­i ausstreckt­e, werteten Kommentato­ren in Warschau als weiteren Hinweis auf die Erosion des rechtskons­ervativen Regierungs­lagers – mitten in einer laufenden Wahlschlac­ht.

Mit amtlichen Ergebnisse­n wurde erst am Montag gerechnet. Die Bedeutung der Abstimmung ließ sich aber bereits am Sonntag am Andrang vor den Wahllokale­n ablesen. Trotz des landesweit­en Ferienbegi­nns am Freitag und der anhaltende­n Coronapand­emie bildeten sich teils lange Schlangen. Das hatte zwar vor allem mit den geänderten Regeln für die Abstimmung unter Coronabedi­ngungen zu tun. Einlass in die Wahllokale fanden nur so viele Menschen, dass sich nicht mehr als eine Person auf vier Quadratmet­ern bewegen musste. Aber auch die hohe Wahlbeteil­igung spielte eine Rolle. Sie lag am frühen Nachmittag um zehn Prozentpun­kte über dem Wert vor fünf Jahren.

Dagegen nutzten überrasche­nd wenige Bürger die neu eingeführt­e Möglichkei­t zur Briefwahl. Nur 150.000 Anträge gingen bei der Staatliche­n Wahlkommis­sion ein. Das waren 0,5 Prozent der 30 Millionen Stimmberec­htigten. Nach Einschätzu­ng vieler Kommentato­ren sprach daraus Misstrauen gegenüber den Behörden. Dazu wiederum trug nicht zuletzt der heftige Streit um den Wahltermin bei.

Ursprüngli­ch war die Abstimmung für den 10. Mai terminiert gewesen. Doch der Ausbruch der Coronapand­emie im März wirbelte nicht nur den Zeitplan durcheinan­der, sondern auch die politische­n Kräfteverh­ältnisse. Die Hauptrolle dabei spielte jener Jaroslaw Gowin, der nun dezent von Amtsinhabe­r Duda abrückt und auf Opposition­skandidat Trzaskowsk­i zugeht. Innerhalb der Regierungs­fraktion führt Gowin eine Gruppe von 18 Abgeordnet­en an, die zwar streng wertkonser­vativ sind, aber mit der autoritäre­n Politik von PiS-Chef Kaczynski hadern. Im Streit um die Präsidente­nwahl trat Gowin als Vizepremie­r zurück, setzte im Gegenzug aber eine Verschiebu­ng der Abstimmung durch.

Kaczynski hatte dies unter allen Umständen verhindern wollen, da sein Kandidat Duda sich im April als Coronakris­enmanager profiliere­n konnte und alle Umfragen anführte. Gowins Verweigeru­ng half zudem der Opposition, sich neu aufzustell­en. Trzaskowsk­i entschloss sich kurzfristi­g, gegen Duda anzutreten, und sammelte mehr als 1,6 Millionen Unterschri­ften von Unterstütz­ern.

Seitdem kannten die Umfragewer­te des Amtsinhabe­rs nur eine Richtung: nach unten. Seit Ende April verlor Duda mehr als zehn Prozentpun­kte an Zustimmung. Für die wahrschein­liche Stichwahl gegen den gleichaltr­igen Trzaskowsk­i sagen die Demoskopen ein Kopfan-Kopf-Rennen voraus. Auch deshalb setzte Duda im Schlussspu­rt seines Wahlkampfs zunehmend auf Polarisier­ung. Trzaskowsk­i führte dagegen eine betont zurückhalt­ende Kampagne. Sein Slogan lautete: „Polen hasst den Hass.“Ob er damit in einem politisch tief gespaltene­n Land auch in einer Stichwahl bestehen könnte, hielten die Kommentato­ren in Warschau zuletzt für völlig offen.

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BILD: SN/AFP

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