Wo die „kleine Jungfrau“gegen Corona helfen soll
Mexikos Präsident hält die Pandemie für „gezähmt“und geht mit schlechtem Beispiel voran, was die Vorsichtsmaßnahmen anbelangt.
Es sind surreale Bilder, die man dieser Tage in Mexiko-Stadt sieht. Während Streifenwagen durch die Straßen fahren und die Menschen über Lautsprecher dazu auffordern, zu Hause zu bleiben, stürmt die Bevölkerung in die Parks und auf die Spielplätze, treffen sich ältere Damen ohne Mundschutz zum Plausch, kehren die Straßenhändler zurück und öffnen immer mehr Cafés und Restaurants. Mancherorts herrscht regelrechte Partystimmung. Gut 100 Tage nach der ersten registrierten Coronainfektion und noch vor dem Höhepunkt der Pandemie im Land tun die Mexikaner so, als sei wieder alles so wie vor der Pandemie.
Dabei infizieren sich im zweitgrößten Land Lateinamerikas derzeit so viele Menschen wie nie zuvor. Bis Ende der vergangenen Woche hatten sich über 200.000 Menschen mit dem neuartigen Virus angesteckt. 25.000 Mexikaner sind an Covid gestorben. Damit befindet sich das Land nicht nur in Amerika, sondern auch global unter den Hotspots, was den beängstigenden Anstieg von Infektionen betrifft.
Aber ausgerechnet Präsident Andrés Manuel López Obrador geht mit schlechtem Beispiel voran. Und die Bevölkerung, genervt selbst vom softesten aller denkbaren Lockdowns, folgt ihm. Der linksgerichtete Staatschef erklärte die Pandemie schon Ende Mai für „gezähmt“, reist seit Beginn des Monats wieder fröhlich durchs Land, weiht ohne Mundschutz seine Megaprojekte wie die Zugstrecke „Tren Maya“ein und fährt allmählich die Wirtschaft des Landes wieder hoch.
„Der Großteil der Bevölkerung denkt, dass das Schlimmste bereits überwunden ist“, warnt der Mediziner Francisco Moreno, Chef der Covid-Einheit am „Centro Médico ABC“, einem der größten Privathospitäler in MexikoStadt. „Und das liegt vor allem an dem Signal, das der Präsident aussendet.“
López Obrador sagt seiner Bevölkerung allen Ernstes, dass es reiche, „nicht zu lügen, nicht zu stehlen und nicht zu betrügen“. Das helfe, sich nicht mit dem Coronavirus zu infizieren. Also sind die meisten Mexikaner entweder zum großen Teil Lügner, Diebe und Betrüger oder es ist einfach eine gefährliche Lächerlichkeit, die der Präsident da verbreitet. Hilfsweise möge man sich auch Amulette umbinden und an die „Virgencita“glauben, die „kleine Jungfrau“. Dann bleibe man von der Krankheit verschont. Antonio Ortuño, ein auch im deutschen Sprachraum bekannter Schriftsteller und mit viel Ironie begabt, schrieb neulich in einer Kolumne, dass die Mexikaner zwei Dinge überhaupt nicht könnten. Das eine sei, ein Elfmeterschießen bei einer Fußball-WM zu gewinnen. Und das andere sei, „jede Art von Bürgerdisziplin“einzuhalten. Und Letzteres gelte ganz besonders für den Präsidenten als erstem Bürger im Staat.