Eruptionen der Sonne treffen die Erde
Diese Aktivität kann Kommunikationssysteme lahmlegen. Ein Schweizer Forscher arbeitet an einem Frühwarnsystem.
Wenn Weltraumforscher von Flares sprechen, dann meinen sie die gewaltigen Eruptionen auf der Sonne, bei denen Millionen oder gar Milliarden Tonnen heißes Plasma in den Weltraum geschleudert werden. Solche Explosionen setzten unglaubliche Mengen Energie frei, wie beim gleichzeitigen Zünden von einer Milliarde Wasserstoffbomben. Das ist genug Energie, um unsere Technikinfrastruktur trotz der 150 Millionen Kilometer Abstand zwischen Sonne und Erde kräftig durcheinanderzubringen. So geschehen im März 1989, als die kanadische Provinz Quebec vollständig lahmgelegt wurde. Ein elektromagnetischer Sonnensturm hatte Stromtransformatoren zerstört, Millionen Menschen waren einen halben Tag lang ohne Elektrizität. Der wirtschaftliche Schaden dieses Blackouts betrug Hunderte Millionen Dollar. Zweites Beispiel: Im November 2015 sendete die Sonne so starke Radiowellen zur Erde, dass Schwedens Luftraum gesperrt wurde, weil die Radarsysteme nicht mehr funktionierten. Kein Flugzeug durfte mehr fliegen. Auch bei Forschungssatelliten verursachten Flares in der Vergangenheit häufiger Störungen. Kommerzielle Satelliten, über die ja immerhin unsere ganze Kommunikation läuft, kann es genauso treffen. André Csillaghy, Leiter des Instituts für Datenwissenschaften der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW, will dafür sorgen, dass Flares
keinen Schaden mehr anrichten. Der Schweizer Informatiker baut im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts Flarecast einen Vorhersagedienst auf. Der Begriff Weltraumwettervorhersage wäre etwas zu weit gefasst, denn die elektromagnetischen Sonnenstürme sind nur ein Teil des Weltraumwetters. Was Flares auf der Erde anrichten, vergleicht Csillaghy mit einem Mega-Kurzschluss: „Stellen wir uns eine Stromleitung vor, die über eine sehr lange Distanz läuft. Nun kommt ein Sonnensturm aus dem Weltall heran und tritt mit allem auf der Erde, was elektromagnetisch ist, in eine Wechselwirkung. Das kann den Stromfluss in der Leitung gehörig stören. Und sogar dazu führen, dass der Strom in die falsche Richtung fließt. Er wurde in die Leitung geschickt – und plötzlich kommt er wieder zurück.“
Flarecast bündelt das Know-how von neun Instituten aus Irland, Großbritannien, Griechenland, Frankreich, Italien und der Schweiz. Das Einzigartige daran: Hier sind neue Machine-Learning-Methoden im Einsatz. Bei diesem Teilgebiet der künstlichen Intelligenz geht es darum, dass Maschinen bestimmte Muster in Daten erkennen, um so Lösungen für ein Problem zu finden. Die Vorhersage teilt sich bei Flarecast in zwei Phasen. In Phase eins werden aus Sonnenbildern so viele Merkmale wie möglich extrahiert, also herausgefischt. Diese Bilder heißen Magnetogramme, weil sie die Stärke des Magnetfelds auf der Sonnenoberfläche messen. Im
Moment lassen sich etwa 75 Merkmale extrahieren. Diese dienen dann als Datenfutter für die Machine-Learning-Algorithmen in Phase zwei. „Wir haben viele verschiedene Algorithmen verglichen, um zu sehen, welche am besten funktionieren“, sagt Csillaghy. Ein Typ Algorithmus lernt etwa aus historischen Daten. Er erkennt, welche Ereignisse auf der Sonne in der Vergangenheit tatsächlich zu Eruptionen führten und welche nicht. Das nennt man überwachtes Lernen. Dann gibt es noch unüberwachte Lernmethoden. Hier suchen die Algorithmen in den Daten nach Mustern und Gemeinsamkeiten, ohne zu wissen, ob die Daten eine Eruption anzeigen. Die Forscher sprechen hier von Clustering. Dieses permanente Training mit Datensätzen führt mit der Zeit zu immer genaueren Vorhersagen. Ein Algorithmus, der besonders gut funktioniert, hört auf den schönen Namen Random Forest, Zufallswald.
Die Flare-Vorhersagen eines größeren Projekts, sind Teil des Programms
Space Situational Awareness der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Das heißt so viel wie „Weltraumsituationsbewusstsein“. Das bedeutet, Überwachungssysteme beobachten alles, was im Weltall passiert, das aktuelle Weltraumwetter genauso wie das Verhalten erdnaher Asteroiden. Csillaghy glaubt, dass die FlarecastDaten
da sehr nützlich sein werden: „In bestimmten Situationen können Unternehmen damit Entscheidungen auf wissenschaftlicher Grundlage treffen.“Ist in ein paar Stunden ein heftiger Flare vorhergesagt, geht eine Warnung an Satellitenbetreiber heraus. „Die können ihre Satelliten dann besonders genau überwachen – oder sie setzen sie gleich in den Schlafmodus.“
Auch Flughäfen und Airlines wissen früh genug, dass es technische Störungen geben könnte.
Stromausfälle wie der in Quebec 1989 ließen sich mit Flarecast genauso verhindern. Wobei natürlich immer entscheidend ist, wie viel Zeit für Gegenmaßnahmen bleibt. Und da haben die Flare-Forscher noch viel Arbeit vor sich. Ihr Ziel ist es, den Vorhersagezeitraum von momentan wenigen Stunden auf zwölf bis 24 Stunden auszuweiten. Schwierig sind vor allem die Vorhersagen kleinerer Eruptionen. Es brauche dafür mehr Messdaten, so Csillaghy. Sein Hoffnungsträger ist zum Glück schon unterwegs. Anfang Februar machte sich die Raumsonde Solar Orbiter auf den langen Weg zur Sonne, um den ultraheißen Stern ab Mitte 2020 aus angemessener Distanz, in diesem Fall etwas mehr als 40 Millionen Kilometer, zu erforschen. Csillaghy: „Wir müssen näher an die Sonne heran, um besser zu verstehen, was da wirklich abläuft. Von der Erde aus sehen wir einfach zu wenig.“
„Nach einer Warnung könnten Satelliten besser überwacht werden.“