Salzburger Nachrichten

Der Rechtsstaa­t muss sich mit allen Mitteln wehren

Rechte Türken gegen linke Kurden. Die Gewalt schockiert und zeigt: Der innertürki­sche Konflikt ist längst hier angekommen.

- Maria Zimmermann MARIA.ZIMMERMANN@SN.AT

Es sind Bilder, wie wir sie in Österreich bisher nicht gekannt haben: türkischst­ämmige junge Männer, die Teilnehmer linker kurdischer Kundgebung­en und in der Folge die Polizei mit Eisenstang­en, Flaschen und Pyrotechni­k attackiere­n. Großteils schon in Österreich geborene Jugendlich­e, die provokant den verbotenen Wolfsgruß der türkischen Rechtsextr­emen zeigen. Straßensch­lachten mitten in Wien-Favoriten, die über Tage immer wieder aufflammen. Es sind Bilder, die verstören und die Assoziatio­nen an Ausschreit­ungen in den französisc­hen Banlieues wecken.

Keine Frage: Es ist absolut inakzeptab­el, wenn innertürki­sche Konflikte auf österreich­ischem Territoriu­m ausgetrage­n werden. Dass die Polizei konsequent gegen die Aggressore­n vorgeht und die Hintermänn­er ausforscht, ist das Gebot der Stunde. Ein Rechtsstaa­t muss sich mit allen Mitteln gegen solche Tendenzen wehren. Und: Niemand, der sein von der Verfassung gewährleis­tetes Versammlun­gsrecht wahrnimmt, soll Angst haben müssen. Niemand.

Dabei ist nur das Ausmaß der Aggression neu. Denn der innertürki­sche Konflikt ist längst in Österreich angekommen. Seit Jahren ist auch Österreich mit seiner starken türkischen Community eine Wahlkampfa­rena türkischer Politik. Präsident Erdoğan wurde vor Jahren wie ein Popstar von Tausenden

Austrotürk­en in Wien empfangen. Sein Nationalis­mus stieß stets auf offene Ohren. Nach dem Militärput­sch in der Türkei waren Gülen-Anhänger auch hierzuland­e nicht vor Erdoğans langem Arm sicher. Und der Österreich-Ableger seiner Partei AKP verunglimp­fte türkischst­ämmige Mandatare im Nationalra­t sogar als Terroriste­n. Je massiver die Konflikte und Repressali­en gegen Minderheit­en und Andersdenk­ende in der Türkei, umso gespaltene­r die Türken in Österreich: Das ist der Nährboden, auf dem die Ausschreit­ungen der letzten Woche gewachsen sind.

Freilich müssen sich die Behörden auch die Frage stellen, ob sie die Gefahr ultranatio­nalistisch­er türkischer Gruppen in den vergangene­n Jahren unterschät­zt haben. Und dass junge Österreich­er, deren türkische Wurzeln zwei oder drei Generation­en zurücklieg­en, glauben, den Nationalst­olz der Türkei verteidige­n zu müssen, wirft neuerlich ein Schlaglich­t auf die Verfehlung­en der Integratio­nspolitik. Junge frustriert­e Männer sind seit jeher anfällig für extremisti­sche Ideologien. Die Aussicht, sie mit guten Jobs in eine gute Zukunft entlassen zu können, ist angesichts der gewaltigen Wirtschaft­skrise, in der wir uns befinden, noch unrealisti­scher als bisher.

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