Der Rechtsstaat muss sich mit allen Mitteln wehren
Rechte Türken gegen linke Kurden. Die Gewalt schockiert und zeigt: Der innertürkische Konflikt ist längst hier angekommen.
Es sind Bilder, wie wir sie in Österreich bisher nicht gekannt haben: türkischstämmige junge Männer, die Teilnehmer linker kurdischer Kundgebungen und in der Folge die Polizei mit Eisenstangen, Flaschen und Pyrotechnik attackieren. Großteils schon in Österreich geborene Jugendliche, die provokant den verbotenen Wolfsgruß der türkischen Rechtsextremen zeigen. Straßenschlachten mitten in Wien-Favoriten, die über Tage immer wieder aufflammen. Es sind Bilder, die verstören und die Assoziationen an Ausschreitungen in den französischen Banlieues wecken.
Keine Frage: Es ist absolut inakzeptabel, wenn innertürkische Konflikte auf österreichischem Territorium ausgetragen werden. Dass die Polizei konsequent gegen die Aggressoren vorgeht und die Hintermänner ausforscht, ist das Gebot der Stunde. Ein Rechtsstaat muss sich mit allen Mitteln gegen solche Tendenzen wehren. Und: Niemand, der sein von der Verfassung gewährleistetes Versammlungsrecht wahrnimmt, soll Angst haben müssen. Niemand.
Dabei ist nur das Ausmaß der Aggression neu. Denn der innertürkische Konflikt ist längst in Österreich angekommen. Seit Jahren ist auch Österreich mit seiner starken türkischen Community eine Wahlkampfarena türkischer Politik. Präsident Erdoğan wurde vor Jahren wie ein Popstar von Tausenden
Austrotürken in Wien empfangen. Sein Nationalismus stieß stets auf offene Ohren. Nach dem Militärputsch in der Türkei waren Gülen-Anhänger auch hierzulande nicht vor Erdoğans langem Arm sicher. Und der Österreich-Ableger seiner Partei AKP verunglimpfte türkischstämmige Mandatare im Nationalrat sogar als Terroristen. Je massiver die Konflikte und Repressalien gegen Minderheiten und Andersdenkende in der Türkei, umso gespaltener die Türken in Österreich: Das ist der Nährboden, auf dem die Ausschreitungen der letzten Woche gewachsen sind.
Freilich müssen sich die Behörden auch die Frage stellen, ob sie die Gefahr ultranationalistischer türkischer Gruppen in den vergangenen Jahren unterschätzt haben. Und dass junge Österreicher, deren türkische Wurzeln zwei oder drei Generationen zurückliegen, glauben, den Nationalstolz der Türkei verteidigen zu müssen, wirft neuerlich ein Schlaglicht auf die Verfehlungen der Integrationspolitik. Junge frustrierte Männer sind seit jeher anfällig für extremistische Ideologien. Die Aussicht, sie mit guten Jobs in eine gute Zukunft entlassen zu können, ist angesichts der gewaltigen Wirtschaftskrise, in der wir uns befinden, noch unrealistischer als bisher.