Tagebuch aus der Corona-Taskforce
Wie Public-Health-Experte Martin Sprenger die Krise erlebte und was ihn wütend machte.
WIEN. Auf welcher Datenbasis werden Entscheidungen zur Eindämmung des Coronavirus getroffen? Welchen Beratern folgen die Politiker? Und wie werden Maßnahmen kommuniziert? Der Bundesregierung wurde vielfach mangelnde Transparenz vorgeworfen. Einer der Kritiker: Martin Sprenger. Der Arzt und Public-Health-Experte hatte während des Shutdowns vier Wochen lang selbst der Taskforce im Gesundheitsministerium angehört, schied Anfang April aber nach Auffassungsunterschieden aus. In seinem Buch „Das Corona-Rätsel. Tagebuch einer Pandemie“, das am Dienstag erscheint, zeichnet er ein umfassendes, sehr persönliches Bild der Krise.
Chronologisch gibt Sprenger darin seine
Eindrücke der Ereignisse von Anfang Februar bis Mitte Mai wieder. Private Notizen, E-Mails, Stellungnahmen und Interviews dokumentieren schonungslos die Sicht des Experten zum jeweiligen Zeitpunkt. Dabei werden weder eigene Fehleinschätzungen noch seine immer wütendere Kritik an möglichen Versäumnissen der Entscheidungsträger ausgespart. Das Tagebuch zeigt, wie Sprenger mit seinen Forderungen nach besserem Schutz der Risikogruppen, gezielter Datenerfassung und verstärkter Beachtung der Kollateralschäden der Coronamaßnahmen zusehends weniger Gehör in der Taskforce findet.
Die Chronologie der Pandemie ist daher auch eine der schrittweisen Entfremdung zwischen Sprenger und der Regierung ab Mitte März. Seine Begeisterung über das gelungene Timing des Lockdowns („Sachpolitik pur“) wich nur zwei
Wochen später dem Schock ob der „Eskalation der Angst“. Er habe seinen Ohren nicht getraut, als die Regierung am 30. März die Maßnahmen verschärfte und damit die Dosis erhöhte, als der Patient Österreich bereits über den Berg gewesen sei, schreibt Sprenger. Eine Abrechnung solle das Buch aber nicht sein, versichert der Autor. Doch nicht nur mit Bundeskanzler Sebastian Kurz geht er darin hart ins Gericht.