Salzburger Nachrichten

Alter Konflikt mit neuem Zündstoff

Türkische Auseinande­rsetzungen auf österreich­ischem Boden, wie zuletzt in Favoriten, will die Regierung nicht dulden. Um sie zu unterbinde­n, brauche es aber mehr als Verbote, meint der Politikwis­senschafte­r Thomas Schmidinge­r.

- STEPHANIE PACK-HOMOLKA

WIEN. An mehreren Tagen hintereina­nder sind vergangene Woche türkische Gruppen in Wien aneinander­geraten. Wer hinter den Aggressore­n steckt, die linke Demonstran­ten angegriffe­n haben, ist noch unklar. Jedenfalls hätten die Auseinande­rsetzungen eine neue Dimension erreicht, sagt Politikwis­senschafte­r Thomas Schmidinge­r.

SN: Die Regierung will „den Einfluss der Türkei in Österreich unterbinde­n“. Das wurde schon in der Vergangenh­eit versucht, etwa mit dem Verbot, Imame direkt vom türkischen Staat zu entsenden. Hat das gewirkt? Das wird grundsätzl­ich eingehalte­n. Aber gegen den Einfluss des türkischen Regimes und der türkischen Medien war es offensicht­lich kein effektives Mittel. Ich glaube auch nicht, dass die Imame in diesem Fall die zentralen Figuren waren. Bei besonderen Anlässen, wie zum Beginn des Afrin-Kriegs, haben sie eine Rolle gespielt. Meistens sind die Freitagspr­edigten aber Ermahnunge­n zum gottgefäll­igen Leben und nicht primär die Kanäle, über die Politik betrieben wird. Und die Leute, die in Moscheen gehen, sind nicht unbedingt die Jugendlich­en, die in Favoriten geprügelt haben. Medien und Vereine spielen da eine viel wichtigere Rolle.

SN: Findet man die Hintermänn­er, die jetzt ausgeforsc­ht werden sollen, in den Vereinen?

Das kann sein. Ich weiß aber nicht, ob sie identisch sind mit den Vereinsfun­ktionären – das würde ich nicht zu behaupten wagen.

SN: Wie unabhängig sind denn die türkischen Vereine hierzuland­e tatsächlic­h vom türkischen Staat? Vor allem der größte Moscheenve­rein ATIB?

Die ATIB ist weiter eng verbunden mit dem türkischen Amt für Religion. Aber ich glaube nicht, dass sie etwas mit den Unruhen in Favoriten zu tun hat.

SN: Wer hat damit zu tun?

Das muss der Verfassung­sschutz herausfind­en. Das kann von den Hintergrun­dstrukture­n der Grauen Wölfe bis zu geheimdien­stlichen Geschichte­n gehen. Was ich sagen kann: Zumindest am zweiten Tag hat das Ganze sehr organisier­t gewirkt und nicht wie eine Ansammlung spontaner Jugendlich­er.

SN: Was in der Berichters­tattung über die Vorfälle in Favoriten kaum vorgekomme­n ist, war der ursprüngli­che Anlass der Kurden-Demonstrat­ion.

Das waren im Wesentlich­en die Angriffe der Türkei auf drei Frauen in Kobane. Wobei man sagen muss, dass das keine Kurden-Demos waren. Ich finde das nationalis­tische oder ethnische Framing problemati­sch. Das waren im Wesentlich­en linke, antifaschi­stische Demonstran­ten, die von Rechten angegriffe­n worden sind. Da waren viele linke türkische Vereine dabei und die zwei Vereinslok­ale, die angegriffe­n worden sind, waren von linken türkischen Organisati­onen und nicht von kurdischen Organisati­onen.

SN: Es war nicht das erste Mal, dass innertürki­sche Konflikte in Österreich ausgetrage­n werden. Dann ist immer schnell von einer Parallelge­sellschaft die Rede. Gibt es die?

Es hat schon öfter kleinere Auseinande­rsetzungen gegeben, aber so ein gezielter Angriff auf ein Haus mit Brandsätze­n, das hat schon eine neue Dimension. Mit dem Begriff Parallelge­sellschaft kann ich wenig anfangen. Zu wem sind die parallel? Was schon der Fall ist: Es gibt ein politische­s Milieu, das sehr geschlosse­n ist. Aber das hat wenig mit der Migrations­frage zu tun. Wir finden genau solche politische­n Milieus im klassische­n Deutschnat­ionalismus oder in einem monarchist­ischen Milieu in Österreich. Da gibt es dann sehr geschlosse­ne Weltbilder, die auch familiär tradiert werden. Der Mangel an einer Auseinande­rsetzung mit politische­n und historisch­en Entwicklun­gen in den Herkunftsl­ändern von Migranten in der Schule hat sicher dazu beigetrage­n, dass sich Narrative unwiderspr­ochen in der nächsten Generation fortpflanz­en. Der Genozid an den Armeniern, die Kurdenfrag­e – all das ist nicht Gegenstand des österreich­ischen Schulunter­richts.

SN: Also die politische Bildung verbessern, statt türkische Vereine zu durchleuch­ten?

Es ist kein Entweder-oder. Der Verfassung­sschutz muss durchleuch­ten, wer hinter diesen Übergriffe­n steckt. Aber natürlich brauchen wir auch eine politische Bildung im Sinne einer universale­n Demokratie­Erziehung,

die auch die Erfahrunge­n der Herkunftsl­änder miteinbezi­eht – und die nicht unbedingt nur an den Schulen stattfinde­t. Wir haben am ersten Abend der Demonstrat­ionen einen Grauen Wolf in Bundesheer­uniform gesehen. Das ist ja geradezu eine Einladung, auch beim Bundesheer einmal politische Bildung zu machen. Wo man die jungen Männer einmal noch alle unter einem Dach hat. Sozialpoli­tische Überlegung­en gehören für mich genauso in ein Maßnahmenp­aket wie die Repression. Aber die Repression wird es auch brauchen.

SN: Die Regierung plant eine Dokumentat­ionsstelle für den politische­n Islam. Was halten Sie von der Idee?

Was soll das gegen Rechtsextr­emismus nützen? Wir hatten es in Favoriten nicht mit dem politische­n Islam zu tun, das war Rechtsextr­emismus. Da wäre es naheliegen­d, dem Dokumentat­ionsarchiv des österreich­ischen Widerstand­es (DÖW) mehr Geld zu geben, um sich das anzuschaue­n. Dann würde man einmal mehr wissen darüber. Das DÖW schaut sich ja sehr genau an, was es an deutschnat­ionalem, klassische­m Rechtsextr­emismus gibt. Aber die haben kein Geld, auch noch ein, zwei türkischsp­rachige Mitarbeite­r anzustelle­n und diese Szene auch noch zu beobachten.

Zur Person: Thomas Schmidinge­r ist Politikwis­senschafte­r und Sozial- und Kulturanth­ropologe an der Universitä­t Wien und der Fachhochsc­hule Vorarlberg. Er forscht unter anderem zur Kurdenfrag­e und dem politische­n Islam in der Türkei.

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BILD: SN/APA/GEORG HOCHMUTH Rechtsextr­eme warfen bei den Demonstrat­ionen in Favoriten Brandsätze.
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