Alter Konflikt mit neuem Zündstoff
Türkische Auseinandersetzungen auf österreichischem Boden, wie zuletzt in Favoriten, will die Regierung nicht dulden. Um sie zu unterbinden, brauche es aber mehr als Verbote, meint der Politikwissenschafter Thomas Schmidinger.
WIEN. An mehreren Tagen hintereinander sind vergangene Woche türkische Gruppen in Wien aneinandergeraten. Wer hinter den Aggressoren steckt, die linke Demonstranten angegriffen haben, ist noch unklar. Jedenfalls hätten die Auseinandersetzungen eine neue Dimension erreicht, sagt Politikwissenschafter Thomas Schmidinger.
SN: Die Regierung will „den Einfluss der Türkei in Österreich unterbinden“. Das wurde schon in der Vergangenheit versucht, etwa mit dem Verbot, Imame direkt vom türkischen Staat zu entsenden. Hat das gewirkt? Das wird grundsätzlich eingehalten. Aber gegen den Einfluss des türkischen Regimes und der türkischen Medien war es offensichtlich kein effektives Mittel. Ich glaube auch nicht, dass die Imame in diesem Fall die zentralen Figuren waren. Bei besonderen Anlässen, wie zum Beginn des Afrin-Kriegs, haben sie eine Rolle gespielt. Meistens sind die Freitagspredigten aber Ermahnungen zum gottgefälligen Leben und nicht primär die Kanäle, über die Politik betrieben wird. Und die Leute, die in Moscheen gehen, sind nicht unbedingt die Jugendlichen, die in Favoriten geprügelt haben. Medien und Vereine spielen da eine viel wichtigere Rolle.
SN: Findet man die Hintermänner, die jetzt ausgeforscht werden sollen, in den Vereinen?
Das kann sein. Ich weiß aber nicht, ob sie identisch sind mit den Vereinsfunktionären – das würde ich nicht zu behaupten wagen.
SN: Wie unabhängig sind denn die türkischen Vereine hierzulande tatsächlich vom türkischen Staat? Vor allem der größte Moscheenverein ATIB?
Die ATIB ist weiter eng verbunden mit dem türkischen Amt für Religion. Aber ich glaube nicht, dass sie etwas mit den Unruhen in Favoriten zu tun hat.
SN: Wer hat damit zu tun?
Das muss der Verfassungsschutz herausfinden. Das kann von den Hintergrundstrukturen der Grauen Wölfe bis zu geheimdienstlichen Geschichten gehen. Was ich sagen kann: Zumindest am zweiten Tag hat das Ganze sehr organisiert gewirkt und nicht wie eine Ansammlung spontaner Jugendlicher.
SN: Was in der Berichterstattung über die Vorfälle in Favoriten kaum vorgekommen ist, war der ursprüngliche Anlass der Kurden-Demonstration.
Das waren im Wesentlichen die Angriffe der Türkei auf drei Frauen in Kobane. Wobei man sagen muss, dass das keine Kurden-Demos waren. Ich finde das nationalistische oder ethnische Framing problematisch. Das waren im Wesentlichen linke, antifaschistische Demonstranten, die von Rechten angegriffen worden sind. Da waren viele linke türkische Vereine dabei und die zwei Vereinslokale, die angegriffen worden sind, waren von linken türkischen Organisationen und nicht von kurdischen Organisationen.
SN: Es war nicht das erste Mal, dass innertürkische Konflikte in Österreich ausgetragen werden. Dann ist immer schnell von einer Parallelgesellschaft die Rede. Gibt es die?
Es hat schon öfter kleinere Auseinandersetzungen gegeben, aber so ein gezielter Angriff auf ein Haus mit Brandsätzen, das hat schon eine neue Dimension. Mit dem Begriff Parallelgesellschaft kann ich wenig anfangen. Zu wem sind die parallel? Was schon der Fall ist: Es gibt ein politisches Milieu, das sehr geschlossen ist. Aber das hat wenig mit der Migrationsfrage zu tun. Wir finden genau solche politischen Milieus im klassischen Deutschnationalismus oder in einem monarchistischen Milieu in Österreich. Da gibt es dann sehr geschlossene Weltbilder, die auch familiär tradiert werden. Der Mangel an einer Auseinandersetzung mit politischen und historischen Entwicklungen in den Herkunftsländern von Migranten in der Schule hat sicher dazu beigetragen, dass sich Narrative unwidersprochen in der nächsten Generation fortpflanzen. Der Genozid an den Armeniern, die Kurdenfrage – all das ist nicht Gegenstand des österreichischen Schulunterrichts.
SN: Also die politische Bildung verbessern, statt türkische Vereine zu durchleuchten?
Es ist kein Entweder-oder. Der Verfassungsschutz muss durchleuchten, wer hinter diesen Übergriffen steckt. Aber natürlich brauchen wir auch eine politische Bildung im Sinne einer universalen DemokratieErziehung,
die auch die Erfahrungen der Herkunftsländer miteinbezieht – und die nicht unbedingt nur an den Schulen stattfindet. Wir haben am ersten Abend der Demonstrationen einen Grauen Wolf in Bundesheeruniform gesehen. Das ist ja geradezu eine Einladung, auch beim Bundesheer einmal politische Bildung zu machen. Wo man die jungen Männer einmal noch alle unter einem Dach hat. Sozialpolitische Überlegungen gehören für mich genauso in ein Maßnahmenpaket wie die Repression. Aber die Repression wird es auch brauchen.
SN: Die Regierung plant eine Dokumentationsstelle für den politischen Islam. Was halten Sie von der Idee?
Was soll das gegen Rechtsextremismus nützen? Wir hatten es in Favoriten nicht mit dem politischen Islam zu tun, das war Rechtsextremismus. Da wäre es naheliegend, dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) mehr Geld zu geben, um sich das anzuschauen. Dann würde man einmal mehr wissen darüber. Das DÖW schaut sich ja sehr genau an, was es an deutschnationalem, klassischem Rechtsextremismus gibt. Aber die haben kein Geld, auch noch ein, zwei türkischsprachige Mitarbeiter anzustellen und diese Szene auch noch zu beobachten.
Zur Person: Thomas Schmidinger ist Politikwissenschafter und Sozial- und Kulturanthropologe an der Universität Wien und der Fachhochschule Vorarlberg. Er forscht unter anderem zur Kurdenfrage und dem politischen Islam in der Türkei.