Heimat bist du großer Sänger und Wurstfabrikanten
Ein neues Buch widmet sich österreichischen Tenören der Nachkriegszeit – darunter ein Metzger aus Hallein.
SALZBURG. Ein Opernsänger, der mit Wurst im Gepäck Kontakte mit dem Who’s who aus Musik und Theater pflegt? Diese Figur könnte einem der Volksstücke Ödön von Horváths entsprungen sein. Doch den Salamifabrikanten Hubert Grabner, der abends am Salzburger Landestheater oder in Stuttgart auf der Bühne stand und um vier Uhr früh wieder die Mitarbeiter befehligte, gab es wirklich. „Gegen übermäßige Müdigkeit hatte er einen speziellen Salami-Stupfer dabei, den er sich in den Oberschenkel pikste, wenn er drohte einzuschlafen“, heißt es im Buch „Magische Töne“über den Metzger aus Hallein, dessen Stimme Tobi Reiser gleichermaßen begeisterte wie Herbert von Karajan.
Gregor Hauser, ein in Salzburg lebender Lehrer, widmet zwei Generationen österreichischer Operngeschichte ein opulentes, detailreiches Kompendium. Meistersänger und Metzgermeister Hubert Grabner findet sich in einer Reihe mit Staatsopernstars wie Waldemar Kmentt aus dem legendären Wiener Mozart-Ensemble oder Adolf Dallapozza. Die Nachkriegszeit verlängert Hauser bis zu heute aktiven
Sängern wie dem Salzburger Landestheater-Kammersänger Franz Supper oder Bayreuths künftigem Siegfried Andreas Schager.
Neben vielen bekannten Namen entreißt Hauser auch manche den Nachgeborenen nicht mehr geläufige Stimme der Vergessenheit. Der Tiroler Sebastian Feiersinger etwa machte im Ausland beachtliche Karriere, wovon in der Heimat kaum Notiz genommen wurde: Der Heldentenor begeisterte unter anderem 1959 an der New Yorker Met als Stolzing in den „Meistersingern“. Bildete für Feiersinger Nürnberg zwei Jahrzehnte lang die künstlerische Heimat, so startete der Niederösterreicher Hans Beirer seine Karriere in Berlin – und zwar in bester Tradition des „Hauptmanns von Köpenick“. Im Zweiten Weltkrieg chauffierte er einen General, gab sich wenig später in einem Telefonat mit dem Intendanten der Deutschen Oper als ebendieser aus und empfahl einen jungen Tenor: sich selbst. Von Hans
Beirer ist auch der legendäre Satz aus seinem Engagement in Linz erhalten: „Ich war dort der erste Tenor. Es gab keinen zweiten.“
Die (Nach-)Kriegsjahre bieten nicht nur eine Fülle an Anekdoten, sondern auch außergewöhnliche Biografien. Karl Terkal etwa hat sich seine Gesangsstunden als Haustischler der Wiener Musikakademie buchstäblich erarbeitet. Fehlenden Fleiß kann man dem Puccini-Spezialisten aus Rudolfsheim-Fünfhaus nicht vorwerfen: Terkal lernte binnen zwei Jahren an der Grazer Oper 31 neue Partien.
Gregor Hausers Kompendium liest sich angenehm flüssig und „menschelt“. Zuweilen erhält die Begeisterung des Opernliebhabers seltsam patriotische Schlagseite. Dass in Bayreuth österreichische Tenöre zu wenige Hauptpartien gesungen hätten, wie der Autor bemängelt, liegt wohl weniger an Vorbehalten am Grünen Hügel gegenüber den Nachbarn. Oper ist eine grenzenlose Kunstform, jeder Sänger
muss sich der Konkurrenz aus aller Welt stellen. Auch die Salzburger Festspiele versagten so manchem Austrotenor der Nachkriegszeit ein schillerndes „Heimspiel“. Das dürfte auf die Internationalisierung unter Herbert von Karajan ab 1957 zurückzuführen sein: Italienische Opern wurden nunmehr in der Originalsprache aufgeführt – mit vornehmlich italienischen Sängern.
Nicht alle Tenöre konnten sich mit der polyglotten Opernwelt anfreunden. Karl Terkal soll in einer Aufführung der „Madama Butterfly“an der – ebenfalls von Karajan internationalisierten – Wiener Staatsoper unbewusst ins Deutsche gekippt sein. Es fiel niemandem auf.
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