Keine Panik vor neuer Welle Doch Umsicht ist geboten
Die zuletzt wieder zunehmenden Neuinfektionen machen die Behörden noch nicht nervös. Die entdeckten Cluster seien übersichtlich. In Salzburg mussten 63 Urlauber wieder abreisen.
In mehreren Großstädten weltweit werden Lockerungsmaßnahmen aus Angst vor einer zweiten Welle der Coronapandemie zurückgenommen. Das gilt ab Mittwoch für den Großraum Lissabon ebenso wie in Teilen der australischen Metropole Melbourne, wo für rund 300.000 der etwa fünf Millionen Einwohner Ausgangsbeschränkungen
erlassen wurden. Los Angeles wird kommendes Wochenende die Strände sperren, um Massenansammlungen zu vermeiden.
In Österreich stiegen die Infektionszahlen zuletzt wieder, doch die Behörden sprechen von einer recht stabilen Situation. Einige Cluster wie nach einem Rotarierabend in Salzburg oder Treffen einer Freikirche
in Oberösterreich seien sehr rasch entdeckt worden. Laut der Gesundheitsagentur AGES brachten in mehreren Bundesländern Rückkehrer vom Westbalkan nach Familientreffen Infektionen mit. Am wichtigsten sei, Grundregeln wie Abstandhalten und Handhygiene im Alltag einzuhalten. Eine Antikörperstudie in Weißenkirchen (NÖ) ergab, dass jeder achte Bewohner infiziert war – weit mehr als die 17 Fälle dort.
Im Pongau hatten die gezielten Tests im Tourismus ungeahnte Konsequenzen. Insgesamt wurden aus Vorsichtsgründen 63 Urlauber nach Hause geschickt, nachdem in zwei Hotels insgesamt drei Mitarbeiter positiv auf Corona getestet worden waren.
WIEN. In den vergangenen Tagen stieg die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus in Österreich wieder etwas an. Derzeit sind in Österreich 583 Personen an Covid-19 erkrankt, davon rund 250 in Wien. Dennoch lautet der Tenor bei den Gesundheitsbehörden, man könne noch nicht von einer zweiten Welle sprechen. Die sogenannte Reproduktionszahl, also wie viele Ansteckungen ein Infizierter bewirkt, stieg zuletzt wieder über 1, was auf eine Ausbreitung hinweist.
Im Gegensatz zu Deutschland, wo als Parameter einzig die Anzahl der Neuinfektionen herangezogen wird, beurteilt Österreich die Lage aufgrund mehrerer Kennzahlen: Neuinfizierte, Reproduktionszahl sowie Spitalskapazitäten. Betrachtet man die epidemiologische Gesamtsituation, so zeigt sich, dass das jüngste Infektionsgeschehen vor allem mit sogenannten Superspreader-Ereignissen zu tun hat. So war es zuletzt beim Rotariertreffen vor zwei Wochen in der Stadt Salzburg (rund 20 Infizierte), ganz ähnlich bei zwei Zusammenkünften einer christlichen Freikirche in Oberösterreich mit gemeinsamem Singen. Eine weitere Häufung von Covidfällen lasen die Experten der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) in Kärtnen, Niederösterreich, Oberösterreich und der Steiermark heraus. Hier hätten Rückkehrer von Familienfeiern auf dem Westbalkan die Infektionen mitgebracht. Die Personen hätten ihre Verwandten bei Taufen, Hochzeiten oder Begräbnissen getroffen und engen Kontakt gehabt.
AGES-Sprecher Roland Achatz sagte: „Es muss bis zum Herbst normal werden, dass wir den richtigen Umgang mit dem Coronavirus fix in unserem Gesundheitssystem etabliert haben.“Im besten Fall sei damit die Bevölkerung auch besser gegen andere Viren wie grippale Infekte besser geschützt. Darauf deuteten Daten seit Beginn der Coronamaßnahmen hin.
Vor einem Überschwappen von Entwicklungen auf Österreich, die auf eine zweite Welle an Covid-19Infektionen hindeuten, warnt hingegen der Komplexitätsforscher Stefan Thurner. Auch hierzulande gebe es erste Anzeichen dafür etwa im Raum Linz und Wien. Im von Wissenschaftern um den Leiter des Complexity Science Hub Vienna (CSH) entwickelten Ampelsystem sind dieser Tage wieder mehrere Bezirke von Grün auf Gelb umgesprungen. Das heißt, dass sich dort die Anzahl positiv getesteter Fälle pro 10.000 Einwohner im Vergleich der vergangenen 14 Tage merklich auf über eins erhöht hat. Das betrifft vor allem Linz, Wels und das Umland dieser Städte sowie St. Pölten und den Bezirk Neunkirchen (NÖ). Wien bleibt nach wie vor gelb. Für die Bundeshauptstadt lautet die aktuelle AGES-Beurteilung: Hier schwanke der Reproduktionsfaktor seit Anfang Mai um 1,0, das bedeute eine Ausbreitung der Epidemie auf niedrigem Niveau.
Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) spricht ebenfalls von einer „eigentlich recht stabilen Situation“. In den seit März wieder geöffneten Bereichen gebe es keine negative Entwicklung. „Meine Sorge würde dann steigen, wenn wir bei einzelnen Clusterbildungen nicht wüssten, woher sie kommen“, erklärte Anschober nach dem Ministerrat am Dienstag. Aus seinem Büro hieß es, dass die Lockerungen derzeit keine großen Auswirkungen hätten. Am Dienstag standen 43 Neuinfektionen 58 Neugenesenen gegenüber. Im Krankenhaus wurden 64 Coronakranke behandelt, um zehn Patienten weniger als am Tag davor. Sechs Menschen befanden sich auf Intensivstationen.
Sehr wohl kritisch sieht Minister Anschober, dass das Risikobewusstsein bei einem „überschaubar kleinen Teil der Bevölkerung“abgenommen habe. Er appellierte daher neuerlich, weiterhin Mindestabstand und Hygienebestimmungen einzuhalten: „Alle sehnen sich nach einem schönen Sommer – aber bitte mit Verantwortung.“
Am Mittwoch starten die flächendeckenden Tests bei Leiharbeitern unter anderem in der Fleischindustrie und bei Asylbewerbern. Bei diesen sogenannten Screenings will das Gesundheitsministerium vor allem Risikogruppen erreichen, die sich gewöhnlich scheuen, bei Verdacht einer CovidErkrankung die Gesundheitshotline 1450 zu kontaktieren. Die Testungen würden auf freiwilliger Basis durchgeführt, hieß es.
„Sommer mit Verantwortung verbringen.“