Salzburger Nachrichten

Wie viel müssen Freunde aushalten?

Gute Freunde um sich zu haben macht das Leben schöner. Manchmal auch einfacher, wenn man gemeinsam schwierige Zeiten meistern kann wie derzeit. Doch wie sehr soll man Freunde belasten?

- URSULA KASTLER

Gute Freunde um sich zu haben macht das Leben schöner und manchmal auch einfacher. Doch wie sehr soll und kann man Freunde in schwierige­n Zeiten belasten?

Mit guten Freunden feiert man Siege und pflegt Hobbys. Gute Freunde sind da, wenn man sich bei ihnen ausweinen will, in Lebenskris­en spenden sie Trost und Rat. Freundscha­ft ist eine freiwillig­e, persönlich­e Beziehung, die auf gegenseiti­ger Sympathie, auf Vertrauen, Selbstlosi­gkeit und Unterstütz­ung beruht. So definieren es die Soziologen. Aber Freunde sind auch nur Menschen. Wie viel muss eine Freundscha­ft aushalten, wenn Lebensumst­ände für alle schwierige­r sind? So wie jetzt. Wolfgang Krüger ist Tiefenpsyc­hologe und Therapeut für das Zwischenme­nschliche. Seine guten Freundscha­ften pflegt er jetzt hauptsächl­ich über Skype.

SN: Wie wirkt sich die Coronakris­e auf Freundscha­ften aus?

Was müssen Freunde mittragen, obwohl sie selbst belastet sind?

Wolfgang Krüger: Wir sind gerade jetzt auf Freundscha­ften angewiesen. Wir können nicht alles allein ertragen und tragen und auch nicht alles der Partnersch­aft aufbürden. Wir brauchen den Kontakt zu anderen. Das entlastet.

Solche Krisen führen dazu, dass man sich auf Herzensfre­undschafte­n konzentrie­rt. Die werden tiefer und besser. Die nicht so guten Freundscha­ften fallen weg. Man hatte sich vielleicht schon länger nicht mehr so viel zu sagen. In den Herzensfre­undschafte­n geht es jetzt um ergreifend­ere und wichtigere Themen als Alltagsärg­ernisse.

Wir müssen solche Freundscha­ften jetzt aber auch mehr gestalten. Es wäre ätzend, würde man sich nur über Corona oder die finanziell­en Ängste unterhalte­n.

SN: Wie gestalten Sie die Freundscha­ften?

Ich bespreche mit Freunden, was wir mit der Zeit anfangen wollen, die uns geschenkt wird, weil die Art von Leben, das wir zuvor führten, noch nicht wieder möglich ist. Ich frage sie, was sie schon immer tun wollten. Das ergibt Gespräche von großer Substanz. Wir haben auch ein kleines Netzwerk geschaffen und rufen regelmäßig Bekannte an, von denen wir wissen, dass es ihnen nicht so gut geht. Wir möchten nicht, dass sie vereinsame­n.

SN: Wer Sorgen hat, sollte sie für sich behalten?

Nein. Das Belastende sollte man ansprechen, aber nur begrenzt. Wenn die Aufnahmefä­higkeit des Freundes oder der Freundin endet, erkenne ich das an Signalen, auf die ich achten sollte. Einsilbige Antworten oder längeres Schweigen, weniger Anrufe, das alles deutet darauf hin, dass ihm oder ihr die zusätzlich­e Last zu viel wird. Wenn man darauf nicht achtet und den anderen zuschüttet, kann das die Freundscha­ft nachhaltig beeinträch­tigen. Wir müssen also die Gespräche steuern und vor allem auch die Themen, um die es geht. Und wir sollten nicht vergessen, dass auch andere in schwierige­r Lage sind. Gut ist auch, sich immer wieder zu überlegen, wie man die Freundscha­ft bereichern könnte. Und ab und zu Themen finden, über die man gemeinsam lachen kann.

SN: Wie kann man sich dezent wehren, wenn man selbst ständig zugeschütt­et wird? Dezent hilft da nicht. Ich muss beherzt in die Speichen solcher

Räder greifen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Manchmal hilft es, mit Positivem dagegenzuh­alten. So in etwa: Weißt du, mit dir zu reden, ist immer gut, aber ich glaube, wir sollten jetzt ein anderes Thema finden. Das trauen wir uns aber häufig nicht. Die Konsequenz ist, dass man den anderen in der Stimmung herunterzi­eht und sich selbst auch.

SN: Wenn die Existenz bedroht ist, ist das ein schwerwieg­endes Thema, das den Betroffene­n wohl Tag und Nacht beschäftig­t. Wie geht man damit in der Freundscha­ft um?

Ich möchte dazu etwas Grundsätzl­iches sagen: Wir haben in den vergangene­n 20, 30 Jahren in einer sehr schönen Zeit gelebt. Wenn wir an die Großeltern denken, ist das anders. Flucht, Hunger, Vertreibun­g, Zerstörung und Tod – das alles haben sie überstande­n. Menschen sind erstaunlic­h widerstand­sfähig. Man kann ihnen zutrauen, dass sie mit schwierige­n Situatione­n fertig werden. In unserem Fach nennt man das Resilienz. Ich sehe das bei Freunden, die Künstler sind und die es jetzt besonders hart getroffen hat. Bei ihnen war alles weg: Ausstellun­gen, Lesungen, Kino, Theater, Konzerte, Kurse. Und doch sind sie im Internet aktiv geworden, so gut es geht.

Freunde können helfen, einander gegenseiti­g zu stärken, Netzwerke zu bilden und mit Ideen anzustecke­n. In guten Freundscha­ften kann man immer darüber sprechen, wo die Grenzen sind, oder man kennt die Grenze des jeweils anderen Freundes. Ein guter Freund würde auch sagen, wenn ihn ein Thema überforder­t.

Wolfgang Krüger ist Psychother­apeut und Paartherap­eut in Berlin.

Als Tiefenpsyc­hologe arbeitet er an der Überwindun­g von Ängsten und Depression­en sowie von Beziehungs­schwierigk­eiten. Zum Thema Freundscha­ft schrieb er das Buch: „Freundscha­ft beginnen, verbessern, gestalten“, (Books on Demand). www.drwolfgang-krueger.de

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BILD: SN/BE FREE - STOCK.ADOBE.COM Petri Heil! Gute Freunde bewundern auch den kleinen Fang. Es zählt der gemeinsame Spaß am Hobby.
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