Wien-Favoriten als Brennpunkt Türken gegen Kurden: Dass es in Favoriten krachte, ist kein Zufall.
Dass die Polarisierung innerhalb der türkischen Community ausgerechnet in Wien-Favoriten in Gewalt umschlug, hat Gründe: In keinem Bezirk leben so viele Türken wie in Wiens bevölkerungsreichstem Bezirk. Bisher hätten kurdische Kundgebungen oft in der Innenstadt stattgefunden und nicht dort, wo viele Türkischstämmige lebten, sagt Soziologe und Integrationsexperte Kenan Güngör. „Das machte die Konflikte sichtbar.“
Als eigene Stadt wäre Favoriten mit seinen 207.000 Bewohnern nach Wien und Graz die drittgrößte Stadt im Land, 42,6 Prozent aller Bewohner sind im Ausland geboren, jene, die in der
Türkei geboren sind, bilden ganz knapp hinter den Serben mit rund 13.000 (6,7 Prozent) die zweitstärkste Gruppe. Da sind die, die schon hier geboren wurden, noch nicht dabei. Favoriten hat auch den höchsten Anteil von Schulkindern mit nicht deutscher Muttersprache: Im Schuljahr 2018/19 waren es 72,7 Prozent (Wien-Schnitt 52 Prozent), in den NMS und im Polytechnikum lag der Anteil bei 83 bzw. 84 Prozent.
In Favoriten befindet sich auch das Ernst-Kirchweger-Haus (EKH), das einst der KPÖ gehörte und seit jeher linke, autonome und migrantische Gruppen beherbergt. Genau in diesem Grätzl kam es in der Vorwoche auch zu den gewalttätigen Ausschreitungen. Rund 500 junge, ultranationalistische türkischstämmige Männer attackierten linke und kurdische Demonstranten und das EKH. Der in Österreich seit dem Vorjahr verbotene Wolfsgruß, Symbol der rechtsextremen türkischen Gauen Wölfe, wurde gesichtet. Es gebe offensichtlich Probleme mit dem Demokratieverständnis junger Türken, die teils auch keine Bildungsperspektiven hätten, sagt Güngör. Er sieht Schulen, aber vor allem die Eltern der Randalierer gefordert. Die familiäre Sozialisation spiele eine zentrale Rolle, wenn demokratische Grundwerte abgewertet würden, sagt Güngör. Zudem gebe es zu Hause mitunter nur gleichgeschaltete türkische Medien mit Regierungspropaganda.