Königgrätz und die Selbstverzwergung
Was Klaudia Tanner mit einem 2500 Jahre alten chinesischen General gemeinsam hat.
„Wer sich auf Kriegsführung versteht, baut auf die Überraschungstaktik. Die Kräfte der Armeen werden damit unerschöpflich wie Himmel und Erde, gehen nicht zur Neige wie Flüsse und Meer, und die Angriffe beginnen immer wieder wie Sonne und Mond.“
2500 Jahre ist es her, dass der chinesische General und Stratege Sunzi dies in seinem Buch „Die Kunst des Krieges“schrieb, das noch heute an den Militärakademien der Welt gelesen wird. Und offenbar auch von neuen Verteidigungsministerinnen. Denn Klaudia Tanner hat ihre Reformpläne für das Bundesheer in einer Art und Weise vorgestellt, dass die Überraschung unerschöpflich war wie Himmel und Erde, die Kritik nicht zur Neige geht wie Flüsse und Meer, und die Ministerin dabei durch Sonne und Mond geschossen wird. – Ganz im Sinne von Sunzis Buch also.
Worin aber besteht nun genau die Überraschung? Nun, üblicherweise ist es so, dass das
Bundesheer nach überstandenen Krisen irgendwas bekommt, von dem es davor nur träumen konnte: Nach dem Jugoslawienkrieg bekam es Raketen, nach dem Lawinenunglück von Galtür neue Hubschrauber und nach der Flüchtlingskrise einen Haufen Geld.
Man hätte also eigentlich davon ausgehen können, dass das Bundesheer nach dem Coronaeinsatz den einen oder anderen Wunsch äußern würde. Dass es stattdessen jetzt zur Selbstverzwergung schreitet, ist schon kein Überraschungsmoment mehr, sondern eher eine ganze Überraschungswoche. Meister Sunzi wäre begeistert gewesen.
Für einen ganzen Überraschungsmonat sind aber auch die Kritiker Tanners gut. Wenn sie jetzt so vehement auf die Kernaufgabe der Landesverteidigung pochen, stellt sich die rein physikalische Frage: Seit wann kann man auf ein Nichts pochen? Denn wann war Österreich das letzte Mal im Stande, sich zu verteidigen?
Übrigens: Die Argumentation der Regierung, dass man beim Bundesheer sparen könne, da es keine militärische Bedrohung gäbe, ist fast so alt wie General Sunzi. Im Jahre 1863 erklärte der damalige Finanzminister Ernst von Plener, Österreich sei von niemandem bedroht, daher könne man die Entwaffnung ruhig fortsetzen. 1865 wurde das Wehrbudget um mehr als ein Drittel gekürzt und die Einführung des modernen Zündnadelgewehrs mit dem Argument zurückgestellt, dass man ansonsten kein ausgeglichenes Budget zustande bringe.
Ein Jahr später wurde Österreich dann doch ein bissel bedroht und verlor gegen die mit dem Zündnadelgewehr ausgerüsteten Preußen die Schlacht von Königgrätz – mit den bekannten, eher unerfreulichen Folgen. Wie sagte Sunzi: „Wer wenig bedenkt, wird besiegt werden. Und wehe dem, der nichts bedacht hat.“