Frohsinn
Ich habe ein Wasserglas vom Flohmarkt, das liegt schwer in der Hand, es ist dickwandig und seine Form zylindrisch, und der obere Rand, den man zum Mund führt, ist von beiden Seiten geschliffen, sodass sich in der Mitte eine Kante ergibt, die man beim Trinken immer auf der Unterlippe spürt. Wenn man es auch vollmundig beschreiben kann, ist es dennoch kein besonderes Glas. Solche Trinkgefäße gab und gibt es zahlreich, geschmückt sind sie mit Bauernmalerei, Blumenmotiven in Rot, Ockergelb und Blau, dazwischen grüne Blätter, zarte schwarze Verästelungen.
Man muss nicht malen können, um diese Motive herzustellen, und man könnte sich, hätte man zu viel davon im Schrank, an seiner naiven Rustikalität bald stören. Aber als einzelnes Stück, in das ich gern auch CocaCola fülle, ist es mir lieb und teuer. Die handgemalten Blumen vor schwarzem Cola-Hintergrund sehen dann sehr poppig aus. Zwei Initialen sind zusätzlich noch eingraviert: „A“und „H“. Zwischen den vielen Blumen befindet sich ein weißes Feld, dessen Fläche leer ist. Nur wenn man das Glas gegen das Licht hält, sieht man noch die Spuren eines Schriftzugs, er könnte golden gewesen sein, das wäscht sich leicht ab. Das Wort „Frohsinn“stand hier einmal geschrieben für A. H. (oder für den A. und seine H.) – jetzt ist all das verblasst.
Der Frohsinn selbst ist als Begriff eine Modeerscheinung gewesen. Er ist, wie die Heiterkeit, von einer gepfiffenen Melodie begleitet, und milde gesellt sich noch die Gelassenheit zu diesem Wortgrüppchen, das insgesamt etwas aus der Zeit gefallen scheint. Wenn man die Häufigkeit der Nennung
in Buchtiteln und Schriftstücken vergleicht, lässt sich eine Beliebtheit seiner Verwendung etwa ab dem späten 19. Jahrhundert finden.
Aber schon Klopstock, der sprachlich kühne Dichter der Empfindsamkeit und Innerlichkeit, widmete im Jahr 1784 dieser Gemütsverfasstheit ein paar Verse, sie enden mit den Worten: „… denn glücklich / War ich durch Frohsinn!“
Was wie eine Doppelung des Ausdrucks klingt, verweist auf eine feine Unterscheidung zwischen Glück und Frohsinn. Frohsinn ist vielleicht die bescheidenere Form des Glücks, aber auch die leichtfüßigere, naiv-fröhliche, wohlwollend und gutmeinend. Kein Wässerchen kann er trüben, dieser Frohsinn! Wir finden ihn als Namensgeber von Liedertafeln, Gesangs- und Kleingartenvereinen, wir stöbern ihn auf in Texten zur Lebensführung und Erbauung, wo er mittlerweile doch eine Schicht Staub angesetzt hat.
Ein Geschirrstück habe ich einmal geschenkt bekommen, das wirklich wertvoll ist. Es stammt aus der böhmischen Porzellanmanufaktur Schlaggenwald und ist ein kleines Biedermeiertässchen, aus dem ich manchmal Kaffee trinke. Es hat einen überhöhten Henkel und ist innen vergoldet. Sein Fond ist cremefarben, ein gelbstichiger, sehr heller lachsfarbener Farbton. Darauf gemalt sind als Dekor blaue und weiße Vergissmeinnicht, verbunden durch eine Girlande, die sich um die ganze Tasse windet und ebenso, wie das Wasserglas von A. H., einen Schriftzug trägt: „Gesundheit, Frohsinn, und Zufriedenheit“, fortsetzend auf der Untertasse: „Bekränzen Ihre ganze Lebenszeit.“Vom ganz feinen Geschirr wird man immerhin noch gesiezt jeden Morgen. Du darfst es aber nicht in den Geschirrspüler geben, sonst wäscht sich der Frohsinn nämlich gleich wieder ab.
Teresa Präauer
ist Schriftstellerin.