Voller Instrumentenkoffer
Leonore Gewessler will Bürgerinnen und Bürger bei der Produktion erneuerbarer Energie ins Boot holen.
UUmweltministerin Leonore Gewessler von den Grünen im Gespräch über die Trendwende im Klimaschutz und die Gründung von Energie-Gemeinschaften.
SN: Die grüne Handschrift in der Regierungspolitik ...
Leonore Gewessler: ... ist deutlich zu erkennen.
SN: Das ist aber aus dem neuesten Bericht des Umweltbundesamts nicht abzulesen. Die Emissionen sind neuerlich (aktuellste Daten für 2019) um 1,8 Prozent gestiegen.
So etwas darf nicht mehr passieren. Wir müssen die Trendwende, die wir brauchen, um Österreich bis 2040 klimaneutral zu gestalten, jetzt einleiten. Da haben wir jetzt eine Hypothek übernommen, die wir in den nächsten Jahren ambitioniert abbauen werden. Der Verkehr ist ein großes Sorgenkind. Die Emissionen sind seit 1990 stark gestiegen, dabei müssten sie längst fallen.
SN: Was tun Sie dagegen?
Im Konjunkturpaket haben wir ganz deutliche Akzente gesetzt. Wir haben pro Jahr eine Klimaschutzmilliarde. 750 Millionen Euro gehen in die thermische Sanierung. Da sind Haussanierungen ebenso betroffen wie der Austausch von Heizsystemen. Wir bauen die erneuerbaren Energien aus. Wir bauen die Infrastruktur der öffentlichen Verkehrsmittel und deren Angebot aus. Wir erhöhen die E-Mobilität-Förderung, den Ausbau der Lade-Infrastruktur. Wenn man das alles zusammenzählt, erwarten wir jetzt schon eine Reduktion von Emissionen von mehr als zwei Millionen Tonnen CO2.
SN: Beinahe alle Parteien sagen, Klimaschutz sei wichtig. Und trotzdem ist über die Jahre hinweg wenig passiert. Wer bremst?
Deshalb haben wir den Klimaschutz ja zu einer Priorität gemacht, damit niemand mehr bremsen kann. Zwei Milliarden Euro aus dem Konjunkturpaket gehen direkt in
den Klimaschutz, zwei weitere sind indirekt wirksam. Und viele Maßnahmen wirken bis tief in die Arbeit der Gemeinden hinein.
SN: Wann soll denn die Trendwende gelingen?
Wir haben jedes Jahr Hitzetote, wir haben die trockensten Frühjahrsmonate seit vielen Jahren, wir haben Ernteprobleme, wir haben einen enormen Schädlingsdruck im Wald – wir spüren die Auswirkungen des Klimawandels schon jetzt. Dass das ein Dauerzustand wird, kann doch wirklich niemand wollen. Die Trendwende muss jetzt gelingen.
SN: Sie setzen auf positive Anreize?
Wir werden den vollen Instrumentenkoffer brauchen. Wir brauchen begleitende Förderungen und Bewusstseinsbildung genauso wie gesetzliche Regelungen. Gemeinden, Städte, Länder und Bund müssen an einem Strang ziehen. Wir brauchen auch die Wirtschaft im Boot. Klimaschutz heißt Kräfte bündeln in Wirtschaftspolitik, Bildungspolitik, Forschungspolitik – wir brauchen wirklich ein großes Programm.
SN: Alle wollen einen hohen Anteil an erneuerbarer Energie. Wenn es aber irgendwo ein Projekt dafür gibt, regt sich der Widerstand. Was wollen Sie tun, um aus dieser Falle rauszukommen?
Das Ziel ist klar: Wir wollen 100 Prozent erneuerbaren Strom bis 2030. Derzeit sind wir bereits bei mehr als 70 Prozent. Wir müssen die Basis dafür legen, dass wir ab sofort die Wasserkraft, die Photovoltaik, die Windkraft und die Biomasse gemeinsam ausbauen. Wir brauchen alle Erzeugungstechnologien. Wir brauchen aber auch die Balance zur Naturverträglichkeit.
SN: Wie wollen Sie die Bürgerinnen und Bürger für diese Politik ins Boot holen?
Wir planen Energie-Gemeinschaften. Da ziehen Bürgerinnen und Bürger gemeinsam an einem Strang. Sie produzieren und konsumieren ihre Energie gemeinsam an einem Standort. Wir wollen, dass die Menschen
Teil dieser Klimawende werden können. Wir wollen nicht nur Dynamik in den Ausbau bringen, sondern auch die Akzeptanz steigern. Möglichst viele von uns werden dann aktive Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Energieproduktion sein. Gleichzeitig brauchen wir die demokratische Diskussion über den Ausbau der Stromgewinnung.
SN: In der EU wird auch heftig an der Klima-Trendwende gearbeitet. Rund 600 Milliarden Euro sind dafür vorgesehen. Wie sorgen Sie dafür, dass das Geld auch richtig eingesetzt wird?
Das sind wirklich gute Nachrichten. Auch die Aussage, dass das gesamte Budget im Einklang mit den Pariser Klimazielen eingesetzt werden muss, ist sehr gut. Das hatten wir noch nie. Mit dem Green Deal haben wir ein sehr ambitioniertes Programm der EU-Kommission. Der Weg, zwei Krisen auf einmal zu lösen, ist richtig: Wir investieren in den Klimaschutz und bekommen zukunftsfähige Jobs, einen Konjunkturimpuls – und es hilft der Umwelt. SN: Was halten Sie vom Wasserstoffantrieb, der vielfach als umweltfreundliches Wundermittel der Antriebstechnologie gepriesen wird? Österreich ist ganz klar auf der Linie, dass die Zukunft des Wasserstoffs erneuerbar sein muss. Wasserstoff ist ein sehr wertvoller Energieträger, der sehr energieintensiv in der Herstellung ist. Deshalb muss man ihn dorthin bringen, wo wir auf Sicht keine Alternativen haben und ihn dringend brauchen, etwa in der Industrie. Wir brauchen ihn als Speicher und höchstwahrscheinlich im Transport von schweren Gütern über lange Strecken. Im Bereich der Individualmobilität geht der Trend in Europa hingegen ganz klar zur E-Mobilität. Es werden viele Menschen auch in Zukunft in Österreich ein Auto brauchen, auch wenn wir den öffentlichen Verkehr noch so gut ausbauen. Und dieser Weg führt eindeutig über die Elektromobilität. Diese zu fördern ist uns ein Anliegen, von der Anschaffung bis zur Lade-Infrastruktur.