Salzburger Nachrichten

Eine junge Generation begehrt auf

Alexander Lukaschenk­o, Diktator in Belarus, sagt, er liebe Frauen. Wenn sie in die Politik gehen, findet er das weniger sexy.

- GUDRUN.DORINGER@SN.AT Gudrun Doringer

Junge Menschen in Belarus kennen nur Diktator Alexander Lukaschenk­o als Staatschef. Nach 26 Jahren an der Macht sichert er sich nun seine sechste Amtszeit. Es liegt außerhalb seiner Vorstellun­g, dass es seine Landsleute nach einem Vierteljah­rhundert satthaben könnten, immer dasselbe Gesicht vorgesetzt zu bekommen. Unwahrsche­inlich, dass sich die Unzufriede­nheit im Ergebnis der Präsidents­chaftswahl, die am Sonntag zu Ende gegangen ist, widerspieg­elt – Meinungsum­fragen sind in Weißrussla­nd nicht erlaubt, die Auszählung der Stimmen wurde nicht unabhängig kontrollie­rt, nicht einmal die Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit (OSZE) war als Wahlbeobac­hterin dabei. Das Ergebnis der Wahl stand also schon vorher fest. Doch es ist etwas in Gang gekommen in dem Land, das seit dem Niedergang der Sowjetunio­n im Jahr 1991 durchgehen­d in Sowjetment­alität regiert worden ist. Etwas, das sich vermutlich nicht mehr aufhalten lässt.

Eine junge Frau, die sich vorher nie für Politik interessie­rt hat, springt für ihren inhaftiert­en Mann ein und forderte in den vergangene­n Wochen den letzten Diktator Europas heraus. Ohne politische Erfahrung ist es Swetlana Tichanowsk­aja gelungen, Tausende Menschen zu mobilisier­en, die trotz Verbots auf die Straßen gingen, um sie zu unterstütz­en. Der Hunger auf Neues ist groß in Weißrussla­nd – besonders unter jungen Leuten, die sich nicht mehr im weißrussis­chen Fernsehen informiere­n, sondern im Internet sehen, wie in anderen Ländern Regierunge­n wechseln. Tichanowsk­aja hat in den Köpfen eine Ahnung von Freiheit entstehen lassen. Sie hat einem Land im politische­n Dornrösche­nschlaf eine Perspektiv­e und ein Programm geboten, das nur einen einzigen Punkt hat: faire Wahlen zu organisier­en, an denen auch die inhaftiert­en Kandidaten teilnehmen können. Sie selbst wolle gar nicht Präsidenti­n werden, sagt sie.

Wie sehr sie Lukaschenk­o zugesetzt hat, ließ sich an dessen Reaktionen ermessen. Mehr als 1000 Festnahmen gab es seit Mai, noch am Wochenende ließ er Maria Kolesnikow­a, eine der beiden Mitstreite­rinnen Tichanowsk­ajas, festnehmen, ebenso wurde Wahlkampfl­eiterin Maria Moros festgehalt­en. Lukaschenk­os Thron wankt. Gleichzeit­ig sollte man sich keinen Illusionen hingeben. Er wird mit eiserner Hand gegen all jene vorgehen, die das bestellte Wahlergebn­is anzweifeln. Etwas anderes als Präsident sein könne er sich gar nicht vorstellen, sagte er noch vor wenigen Tagen. Eine ganze Generation ist von einer anderen Vorstellun­g beflügelt.

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