Das Gesundheitsministerium ist schon lange eine Baustelle
Die Coronakrise legte schonungslos Schwächen des Ressorts offen. Wie sie zustande kamen, ist eine lange Geschichte. Minister Anschober will die Mängel beheben und schreitet zum Umbau.
Parteipolitik und vakante Posten
WIEN. Die bescheidene Qualität mancher Coronaverordnung aus dem Gesundheitsressort – einige wurden ja vom Verfassungsgerichtshof gekippt – veranlasste Minister Rudolf Anschober (Grüne) dieser Tage zu zweierlei: Erstens warf er seinen Beamten öffentlich „schlechte Arbeit“vor, zweitens kündigte er eine Reform seines Ressorts samt Neubesetzungen an.
Beides zerrt zusätzlich an den ohnehin blank liegenden Nerven in den für Gesundheit zuständigen Sektionen, über die mit der Coronakrise eine beispiellose Arbeitsflut hereinbrach. Vor allem die SPÖ fühlte sich durch die Kritik auf den Schlips getreten: Sowohl die rote Personalvertretung als auch der einstige Gesundheits- und spätere Sozialminister Alois Stöger rückten aus, um sich schützend vor die Beamtenschaft zu stellen.
Stellt sich die Frage: Ist Anschobers Vorwurf an die Beamten fair? Und ist deren „schlechte Arbeit“Grund für eine Neuaufstellung des Ministeriums? Beides ist mit Nein zu beantworten. Denn erstens gibt es immer Gründe für die Fehleranfälligkeit eines Apparats. Zweitens hätte das Anschober-Ressort ohnehin umstrukturiert werden müssen. Nicht zuletzt deshalb, weil die zwei für Arbeit zuständigen Sektionen ins neue Ministerium für Arbeit, Familie und Jugend wanderten, wodurch die Anzahl der Sektionen im Sozial- und Gesundheitsressort auf sieben schrumpfte, sie aber nach wie vor die Ziffern I bis V sowie VIII und IX tragen. Und auch einige Neubesetzungen – darunter just die (seit 2019 verwaiste) Leitung der in der Coronakrise am meisten geforderten Sektion für Öffentliche Gesundheit – sind überfällig.
Tatsächlich wird seit Monaten im Hintergrund an der Neuaufstellung des Ressorts gearbeitet. Die Personalvertretung hat dem Vernehmen nach die Umbaupläne bereits bekommen. Wie man hört, soll es in zumindest zwei Sektionen zu gröberen Zuständigkeitsverschiebungen
kommen. Konsequenz: Die amtierenden Chefs/Chefinnen könnten ihre Führungspositionen los sein, sofern sie bei einer Neubewerbung nicht wieder zum Zug kommen. Damit steigt die Zahl der neu zu besetzenden Sektionen auf vier, da zwei – die Sektion Sozialversicherung (II) und die schon erwähnte Sektion Öffentliche Gesundheit
(IX) – seit Längerem unbesetzt sind.
Umstrukturierungen hat das Ministerium schon viele erlebt. Sie passieren stets nach Regierungsbildungen. Und in großem Umfang dann, wenn Politiker einer anderen Partei die Ressortleitung übernehmen. Ins Treffen geführt werden stets inhaltliche Gründe und fachliche Notwendigkeiten. Es geht aber immer auch darum, Missliebige loszuwerden und/oder Vertraute ins Ministerium zu holen. Da machte keine der Regierungen der vergangenen 20 Jahre eine Ausnahme.
Ein Beispiel aus jüngerer Vergangenheit: Dass Ex-Sozial- und Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) das Ressort umbaute, hatte auch zum Ziel, der einstigen Sektionschefin und heutigen SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner den Rückweg zu verbauen. Und ein Beispiel aus jüngster Vergangenheit: Ende Juli bestätigte das nun unter grüner Leitung stehende Ressort, Ex-Grünen-Chefin Madeleine Petrovic ins Ministerium geholt zu haben – um die Abteilung für Tierschutz zu verstärken.
Verstärkt werden sollen nun auch die Gesundheitssektionen. Das gelobte Anschober dieser Tage. Bis zu sieben Juristen sollen angeheuert werden, damit bei der Legistik weniger schiefläuft. In der Tat kann das Gesundheitsressort Verstärkung dringend gebrauchen. In den vergangenen 20 Jahren wurde es – je nach politischer Zuständigkeit – mehr oder weniger systematisch ausgedünnt. Das geht erfahrungsgemäß immer und überall mit dem Risiko eines gewissen Knowhow-Verlusts einher. 2019 trat dann auch noch mit dem Sektionschef für Öffentliche Gesundheit, Gerhard Aigner, ein Spitzenlegist den Ruhestand an. Die Nachfolge wurde nicht mehr geregelt: HartingerKlein
kam die Ibiza-Affäre und damit das vorzeitige Ende von TürkisBlau dazwischen. Und die Übergangsregierung wollte keine wichtigen Personalentscheidungen treffen. Anschober hätte entscheiden können, wurde aber von der Coronakrise überrollt.
Ein erfahrener Sektionschef hätte sicher helfen können, das mit Corona ausbrechende Chaos zu lindern. Ob es ganz ohne Pannen gegangen wäre, ist zu bezweifeln: Eine derartige Pandemie ist neu – deshalb konnte man auch auf keine Erfahrungswerte zurückgreifen, etwa auf Verordnungen, die sich schon einmal bewährt hatten. Und es stand ja auch die Politik kopf: Wenn um neun Uhr früh gravierende politische Entscheidungen verkündet werden, die drei Stunden später in Verordnungen gegossen sein sollen, ist es kein Wunder, dass in einem personell dürftig besetzten Ressort Fehler passieren.
Nicht zuletzt gab es offenbar keine oder keine ausreichende Kontrolle im Anschober-Kabinett. Und die Stelle, die das Gröbste vielleicht hätte verhindern können, wurde nicht gefragt: der Verfassungsdienst im Kanzleramt.