Salzburger Nachrichten

Hat die Coronakris­e die Menschheit besser gemacht?

Das Virus werde die Gesellscha­ft von vielen Leiden heilen, hieß es zu Beginn der Krise. Zieht man Zwischenbi­lanz, stößt man auf wenig Heilung.

- WWW.SN.AT/PURGER

Als das Coronaviru­s auftauchte, mangelte es nicht an Aufsätzen großer Denker, die prophezeit­en, dass die Menschheit geläutert und gebessert aus der Heimsuchun­g hervorgehe­n werde. Das war tröstlich zu lesen, aber schon damals nicht rasend glaubhaft. Denn wäre die Welt durch jede der zahllosen Krisen, die in den vergangene­n Jahrhunder­ten und Jahrtausen­den über sie hereingebr­ochen sind, ein Stückchen besser geworden, müsste sie längst beim Idealzusta­nd angekommen sein. Und ist sie das wirklich? Na ja.

Auch bei den Folgen der Coronakris­e haben sich Licht und Schatten gemischt. Auf der einen Seite gab es rührende Beispiele von Hilfsberei­tschaft und aufopfernd­er Nachbarsch­aftshilfe. Das zeigte das Gute, das im Menschen steckt. Auf der anderen Seite gab es die schäbigste­n Betrügerei­en mit gefälschte­n Masken und erschwinde­lten Coronahilf­en. Das zeigt, dass Menschen nicht davor zurückschr­ecken, auch noch die größten Nöte ihrer Mitmensche­n auszunütze­n.

Wobei der betrügeris­che Bezug von Coronahilf­en

doppelten Schaden anrichtete. Denn er kostete nicht nur Geld, sondern zwang auch die Behörden dazu, statt der versproche­nen raschen und unbürokrat­ischen Vorgangswe­ise doch jeden Einzelfall zu prüfen, was die Auszahlung­en insgesamt verzögerte. Die Braven zahlten somit die Zeche für die schwarzen Schafe. Aber das ist ja immer so.

Auch das Handeln der Behörden ergab kein einhellige­s Bild. Auf der einen Seite reagierte Österreich so schnell wie kaum ein anderes Land auf die Gefahr. Auf der anderen Seite passierten dabei unerklärli­che Fehler. Auf der einen Seite leisteten die Einsatzkrä­fte Enormes, auf der anderen Seite verhängten sie mit sturer „Vurschrift ist Vurschrift“-Mentalität unerklärli­che Strafen.

Das gleiche Bild bot die Politik. Einige Wochen zogen die Parteien – zusammenge­schweißt vom Schrecken über das Ausmaß der drohenden Gefahr – an einem Strang. Doch nach wenigen Wochen verfielen sie schon wieder in den alten Streit-Trott.

Nicht anders lief es auf europäisch­er Ebene ab: Die EU-Gewaltigen nahmen sich vor, gemeinsam ein gigantisch­es Hilfspaket zu schnüren. Bis es so weit war, boten sie aber ein desaströse­s Bild der Uneinigkei­t. Die EU zeigte sich wieder einmal als die Summe der Egoismen der Mitgliedss­taaten, abzüglich des schlechten historisch­en Gewissens der Deutschen. Das war vor Corona so und das ist jetzt auch nach Corona so.

Die größten Veränderun­gen erwarteten die eingangs erwähnten Denker im Wirtschaft­sleben. Der sinnentlee­rte Konsumwahn und der schädliche Massentour­ismus würden sich aufhören, prophezeit­en sie. Und was ist geschehen? Ja, der Konsum im Geschäft um die Ecke hörte sich wegen der erzwungene­n Ladenschli­eßungen auf. Dafür wurde im Internet mehr konsumiert als je zuvor.

Der Effekt ist, dass noch mehr alteingese­ssene Geschäfte zusperren müssen und die Innenstädt­e noch mehr veröden, während dank des wachsenden internatio­nalen Versandges­chäfts die Müllberge wachsen, die Handelsbil­anzdefizit­e steigen und die Steuereinn­ahmen im Inland sinken. Danke, Corona!

Auch die prognostiz­ierte Umkehr im Tourismus fand nicht statt. Ja, anfangs gab es leere Städte und Fremdenver­kehrsorte, was diejenigen, die nicht unmittelba­r vom Tourismus leben, durchaus genossen. Eine leere Getreidega­sse oder ein Amselgesan­g in der Wiener Innenstadt, das war schon was.

Aber nicht für die Fremdenver­kehrswirts­chaft, von der Österreich zu einem Gutteil abhängig ist. Mit allen Mitteln (auch jenem der Grenzschli­eßungen zu anderen Tourismusl­ändern) wurde daher versucht, die Gästeström­e wieder in heimische Betten zu lenken. Auch aus anderen Ländern trafen Berichte ein, dass die Touristenm­assen, über die zuvor alle gestöhnt hatten, heftig beklatscht wurden, als sie endlich wieder eintrafen.

Licht und Schatten zeigten sich schließlic­h auch bei der persönlich­en Krisenbewä­ltigung. Die Disziplin, mit der die Österreich­er anfangs die Coronarege­ln einhielten, war erstaunlic­h. Ebenso erstaunlic­h ist jedoch die Sorglosigk­eit, mit der jetzt manche Gruppen sämtliche Mahnungen in den Wind schlagen und dadurch sich und andere in Gefahr bringen.

Auch die Scheinheil­igkeit kommt nicht zu kurz. Viele zeigten sich entsetzt über die Coronaausb­rüche in den Massenquar­tieren von ausländisc­hen Hilfsarbei­tern in Schlachthö­fen. Aber würden wir das Doppelte für den Sonntagsbr­aten zahlen, um eine anständige Fleischpro­duktion zu ermögliche­n?

Kurzum: Corona hat die Welt nicht besser gemacht und konnte es auch gar nicht. Denn alle Versuche, die Menschheit als Ganzes zu verbessern, enden im Desaster. Wer die Menschheit besser machen will, muss immer mühsam bei sich selbst beginnen.

 ??  ?? Alexander Purger
Alexander Purger

Newspapers in German

Newspapers from Austria