Beethoven als pures Hörabenteuer
Das Belcea Quartet ließ hören, warum der Komponist seiner Zeit voraus war.
SALZBURG. So viel Aufgewühltheit und innere Spannung, wie Beethoven schon in die ersten Akkorde gelegt hat, muss man in ein paar Anfangstakten erst einmal unterbringen. Die tiefe Einigkeit, mit der das Belcea Quartet diese Zerrissenheit zum Klingen bringt, muss seinen Mitgliedern aber auch erst einmal jemand nachmachen: Mit dem letzten der drei „Rasumovsky“-Quartette Beethovens, dem Streichquartett in C-Dur op. 59, 3, begann am Freitagabend das erste Kammerkonzert im diesjährigen Salzburger Festspielsommer.
Wegen ihrer komplexen Bauweise und einer Klangsprache, die Beethoven immer kompromissloser entwickelte, gelten die Quartette als Wendepunkt im Schaffen des Komponisten. Bei den Interpreten des 19. Jahrhunderts hinterließen sie bisweilen große Fragezeichen auf der Stirn. Eine historische Anekdote berichtet etwa, dass ein Musiker seinen ratlos auf die Partituren blickenden Kollegen mit der Erklärung tröstete, Beethoven habe die drei Quartette ja auch gar nicht für seine Zeitgenossen geschrieben: „Sie sind für eine spätere Zeit.“
Dass dereinst, im Jahr 2020, in dem Beethovens 250. Geburtstag groß gefeiert wird, Menschen mit Mund-Nasen-Schutz im Konzertsaal sitzen würden, konnte damals freilich auch keiner ahnen. Beim
Konzert des Belcea Quartet im Haus für Mozart wurde Beethoven aber ohnehin zum reinen Hörabenteuer.
Die vier Mitglieder – Namensgeberin Corina Belcea und Axel Schacher (Violine), Krzysztof Chorzelski (Bratsche) und Antoine Lederlin (Cello) – haben zum Jubiläumsjahr sämtliche Beethoven-Quartette auf
Tonträger neu eingespielt und dafür Jubelhymnen geerntet. Die durchdachte Maßarbeit in Sachen Klangarchitektur und die elektrisierende Energie des aufeinander eingeschworenen Zusammenspiels reißen live umso mehr mit.
Im Haus für Mozart war die Intimität, die bei Kammermusik in großen Sälen oft verloren geht, durch die Schachbrett-Sitzordnung unfreiwillig, aber doch gegeben. Schwarz verhüllte Kameras auf der
Bühne erinnerten ebenfalls an die heuer besonderen Festspielbedingungen: Als Ausgleich für das eingeschränkte Kartenangebot werden ausgewählte Konzerte als Livestream im Netz übertragen. Auf den wehmütig-nachromantischen „Langsamen Satz für Streichquartett“von Webern folgte das erste „Rasumovsky“-Quartett, op. 59, 1 in F-Dur, mit seinem Aufbruchsstimmung verheißenden Eröffnungsthema. Zwischen zarten Dialogen und jähen dynamischen Ausbrüchen zeigte das Belcea Quartet seine ganze Differenzierungskunst.
Wie modern Beethoven dachte, ist auch im Finalsatz zu hören: Von den Zuspitzungen, vorgetäuschten Schlüssen und dann doch immer noch weiter getriebenen Spannungsbögen könnte sich mancher Netflix-Serien-Regisseur noch etwas abschauen. Und so packend, wie das Belcea Quartet das Hörabenteuer inszenierte, blieben am Schluss keine Fragezeichen stehen.