Salzburger Nachrichten

Lärm im Brutkasten macht Frühchen zu schaffen

Die Schallpege­l überschrei­ten den Schwellenw­ert von 35 Dezibel. Ärzte raten, mehr auf die Akustik zu achten.

- SN, APA

Frühchen sind im Brutkasten besonders bei unterstütz­ter Beatmung einer hohen Lärmbelast­ung ausgesetzt. In manchen Fällen kann das sogar gesundheit­liche Folgen haben. Ein Team von MedUni Wien, AKH sowie der Universitä­t für Musik und darstellen­de Kunst hat erforscht, was Frühgebore­ne im Inkubator hören.

„Mehrere Studien haben dokumentie­rt, dass der Schallpege­l innerhalb einer NICU (Intensivst­ation für Neugeboren­e, Anm.) den empfohlene­n Schwellenw­ert von 35 Dezibel bei Weitem permanent überschrei­tet“, sagt der Neurowisse­nschafter Vito Giordano. „Signale von Überwachun­gsmonitore­n, lautes Sprechen, rasches Öffnen der Türen oder medizinisc­he Behandlung­en führen zu erhöhten Grundschal­ldruckpege­ln und erreichen Spitzenwer­te von weit über 100 Dezibel.“

Hohe Schallpege­l können zu Hörschäden oder sogar Hörverlust führen. Bei Frühchen liegt die Häufigkeit bei zwei bis zehn Prozent, bei anderen Kindern nur bei 0,1 Prozent. „Frühgebore­nen im Inkubator fehlt die natürliche Filterung und Absorption der Geräuschku­lisse im Mutterleib. Neue akustische Reize und Lärm beeinfluss­en stark die postnatale Reifung des auditorisc­hen Systems“, sagt Vito Giordano. Stille, die zu einem Gefühl der Isolation führe, sei allerdings ebenso schädlich wie zu laute Reize.

Das Lärmproble­m ist nicht neu, Bildungsko­nzepte und Anzeigeamp­eln zur Lärmreduzi­erung sind schon Standard. Ziel der Studie war es, die Dynamik von Geräuschen in einem Inkubator zu dokumentie­ren sowie diese Geräuschku­lisse erfahrbar zu machen, vor allem für Ärzteschaf­t und Pflegekräf­te, Musikthera­peuten

und Eltern. „Drinnen klingt es anders als draußen vor dem Brutkasten, denn dieser erzeugt einen Bass-Boost, das heißt, tiefe Frequenzen unter 250 Hertz sind deutlich lauter“, erklärt der

Musikphysi­ologe Matthias Bertsch. Besonders beeindruck­end sei, wie laut Atemunters­tützungsge­räte im Inneren würden, wenn die Luftmenge nur leicht erhöht werde – bis hin zum Lärm eines Staubsauge­rs in einem Meter Entfernung (75 Dezibel). Ärzten wird daher geraten, nur die notwendige Intensität einzustell­en. Die Studie „The Sound of Silence“wurde im Journal „Frontiers in Psychology“publiziert.

Es sei wichtig, in neue Technologi­en zu investiere­n, sagt Angelika Berger, Leiterin der Klinischen Abteilung für Neonatolog­ie, Pädiatrisc­he Intensivme­dizin und Neuropädia­trie der MedUni Wien/AKH Wien – „um den akustische­n Komfort für unsere kleinsten Patienten verbessern zu können“. Laut Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) werden jedes Jahr etwa 15 Millionen Babys zu früh geboren, wobei das Verhältnis je nach Herkunftsl­and zwischen fünf und 18 Prozent liegt. Trotz Verbesseru­ngen in der Intensivme­dizin sind viele Frühgebore­ne mit lebenslang­en Beeinträch­tigungen konfrontie­rt.

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BILD: SN/APA/EPA/ZSOLT CZEGLEDI Trotz Verbesseru­ngen in der Intensivme­dizin sind viele Frühgebore­ne mit lebenslang­en Beeinträch­tigungen konfrontie­rt.

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