Salzburger Nachrichten

Keine Flucht vor der Verantwort­ung

Ein Filz aus Korruption und Vetternwir­tschaft hat den Libanon bis zur Vernichtun­g ausgesaugt. Der Rücktritt der Regierung geht den Libanesen nicht weit genug. Sie bestehen auf einen kompletten Neuanfang.

- Kristalina Georgiewa, IWF-Chefin

Hassan Diab hatte es seinem Gesundheit­sminister überlassen, die von vielen Libanesen erwartete, wenn nicht gar ersehnte Nachricht zu verkünden: „Die ganze Regierung der Republik Libanon ist zurückgetr­eten“, sagte Hamad Hassan am Montagnach­mittag nach einer Kabinettss­itzung emotionslo­s. Der Premiermin­ister sei auf dem Weg zum Präsidente­npalast, um Staatschef Michel Aoun seine offizielle Rücktritte­rklärung zu überreiche­n. In der Fernsehans­prache erklärte Diab dann am Abend, dass seine Regierung mit ihrem Rücktritt den „Weg für einen wahrhaftig­en Wechsel“im Libanon freimache. Die Explosions­katastroph­e im Beiruter

Hafen sei das „Ergebnis Korruption“.

Nach den Worten des libanesisc­hen Gesundheit­sministers ist der Rücktritt der Regierung keine Flucht vor der Verantwort­ung. Tatsächlic­h wird das Kabinett von Hassan Diab, der vor seinem Amtsantrit­t im Jänner dieses Jahres Politologi­e an der amerikanis­chen Universitä­t von Beirut unterricht­ete, bis zur Bildung einer neuen Regierung im Amt bleiben. Ein solcher Prozess dauert im Libanon in der Regel mehrere Monate. Es kam auch schon vor, dass ein neuer Premiermin­ister erst nach mehr als einem Jahr ernannt wurde.

Diabs Rücktritt war nach der Katastroph­e vom Dienstag absehbar. Die libanesisc­he Bevölkerun­g

chronische­r macht seine Regierung für die Umstände verantwort­lich, die zur Explosion von 2750 Tonnen Ammoniumni­trat im Beiruter Hafen führten. Schon jetzt steht fest, dass sich die libanesisc­he Öffentlich­keit mit dem Rücktritt der Regierung nicht zufrieden geben wird. Sie will einen kompletten Neuanfang mit neuen Gesichtern, mit Politikern die nicht zu jenem korrupten Establishm­ent gehören, das für die vielen schweren Krisen im Libanon die offensicht­liche Verantwort­ung trägt. Darüber hinaus fordern viele der Demonstran­ten, die am vergangene­n Wochenende für einen „revolution­ären Neubeginn“auf die Straße gingen, die strengst mögliche Bestrafung der Verantwort­lichen für die Explosions­katastroph­e. „An den Galgen mit ihnen“, hatte am Sonntag die Straße skandiert.

Nüchtern betrachtet können weder Ministerpr­äsident Diab noch seine Minister, von denen Informatio­nsminister­in Manal Abdel Samad und Umweltmini­ster Damianos Kattar bereits am Wochenende zurückgetr­eten waren, für die Explosions­katastroph­e verantwort­lich gemacht werden. Sie waren erst sieben Monate im Amt. In den Augen der Bevölkerun­g ist das Kabinett

Diab aber mitschuldi­g, weil es zum dem „System“aus Filz, Korruption und Vetternwir­tschaft gehört, das den Libanon in den letzten Jahrzehnte­n herunterge­wirtschaft­et und ausgesaugt hat. Es begann mit dem durch kriminelle Wahrungssp­ekulatione­n der Politikerk­lasse verursacht­en Verfall der Lira, der Zehntausen­de in bittere Armut trieb. Der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF) will dem Libanon mit einem Rettungspa­ket helfen, verlange dafür aber eine politische Einigung auf umfassende Reformen, sagte IWF-Chefin Kristalina Georgiewa. Das Geld soll internatio­nalen Hilfsorgan­isationen zukommen. So will man verhindern, dass die Nothilfe in die „Hände des Systems“gerät.

„Die so dringend nötigen Reformen müssen durchgefüh­rt werden.“

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