Keine Flucht vor der Verantwortung
Ein Filz aus Korruption und Vetternwirtschaft hat den Libanon bis zur Vernichtung ausgesaugt. Der Rücktritt der Regierung geht den Libanesen nicht weit genug. Sie bestehen auf einen kompletten Neuanfang.
Hassan Diab hatte es seinem Gesundheitsminister überlassen, die von vielen Libanesen erwartete, wenn nicht gar ersehnte Nachricht zu verkünden: „Die ganze Regierung der Republik Libanon ist zurückgetreten“, sagte Hamad Hassan am Montagnachmittag nach einer Kabinettssitzung emotionslos. Der Premierminister sei auf dem Weg zum Präsidentenpalast, um Staatschef Michel Aoun seine offizielle Rücktritterklärung zu überreichen. In der Fernsehansprache erklärte Diab dann am Abend, dass seine Regierung mit ihrem Rücktritt den „Weg für einen wahrhaftigen Wechsel“im Libanon freimache. Die Explosionskatastrophe im Beiruter
Hafen sei das „Ergebnis Korruption“.
Nach den Worten des libanesischen Gesundheitsministers ist der Rücktritt der Regierung keine Flucht vor der Verantwortung. Tatsächlich wird das Kabinett von Hassan Diab, der vor seinem Amtsantritt im Jänner dieses Jahres Politologie an der amerikanischen Universität von Beirut unterrichtete, bis zur Bildung einer neuen Regierung im Amt bleiben. Ein solcher Prozess dauert im Libanon in der Regel mehrere Monate. Es kam auch schon vor, dass ein neuer Premierminister erst nach mehr als einem Jahr ernannt wurde.
Diabs Rücktritt war nach der Katastrophe vom Dienstag absehbar. Die libanesische Bevölkerung
chronischer macht seine Regierung für die Umstände verantwortlich, die zur Explosion von 2750 Tonnen Ammoniumnitrat im Beiruter Hafen führten. Schon jetzt steht fest, dass sich die libanesische Öffentlichkeit mit dem Rücktritt der Regierung nicht zufrieden geben wird. Sie will einen kompletten Neuanfang mit neuen Gesichtern, mit Politikern die nicht zu jenem korrupten Establishment gehören, das für die vielen schweren Krisen im Libanon die offensichtliche Verantwortung trägt. Darüber hinaus fordern viele der Demonstranten, die am vergangenen Wochenende für einen „revolutionären Neubeginn“auf die Straße gingen, die strengst mögliche Bestrafung der Verantwortlichen für die Explosionskatastrophe. „An den Galgen mit ihnen“, hatte am Sonntag die Straße skandiert.
Nüchtern betrachtet können weder Ministerpräsident Diab noch seine Minister, von denen Informationsministerin Manal Abdel Samad und Umweltminister Damianos Kattar bereits am Wochenende zurückgetreten waren, für die Explosionskatastrophe verantwortlich gemacht werden. Sie waren erst sieben Monate im Amt. In den Augen der Bevölkerung ist das Kabinett
Diab aber mitschuldig, weil es zum dem „System“aus Filz, Korruption und Vetternwirtschaft gehört, das den Libanon in den letzten Jahrzehnten heruntergewirtschaftet und ausgesaugt hat. Es begann mit dem durch kriminelle Wahrungsspekulationen der Politikerklasse verursachten Verfall der Lira, der Zehntausende in bittere Armut trieb. Der Internationale Währungsfonds (IWF) will dem Libanon mit einem Rettungspaket helfen, verlange dafür aber eine politische Einigung auf umfassende Reformen, sagte IWF-Chefin Kristalina Georgiewa. Das Geld soll internationalen Hilfsorganisationen zukommen. So will man verhindern, dass die Nothilfe in die „Hände des Systems“gerät.
„Die so dringend nötigen Reformen müssen durchgeführt werden.“