Salzburger Nachrichten

Die Mutter aller Wählervers­chaukelung­en

Brot und Spiele? Nein, der Wahlkampf in Wien dreht sich um Schnitzel und Plantschen.

- Alexander Purger ALEXANDER.PURGER@SN.AT

Demokratis­che Mitbestimm­ung hat in Wien Tradition. Vor wenigen Jahren durften die lieben Wienerinne­n und Wiener darüber abstimmen, ob die künftige U-Bahn-Linie 5 eine rosa oder eine türkise Leitfarbe bekommen soll. Und soeben ging eine Abstimmung darüber zu Ende, ob die in Wiens Straßen neu installier­ten Sprühnebel­duschen „Sommerspri­tzer“, „Wienbrise“oder „Regenbogen­maschine“heißen sollen. Es gewann „Sommerspri­tzer“.

Auch sonst steht der Wahlkampf für die Wiener Landtagswa­hl im Oktober ganz im Zeichen des zentralen Wahlkampft­hemas Hitze. Eine wichtige Straßenkre­uzung am Gürtel wurde von der Stadt soeben durch ein Plantschbe­cken für sechs Personen lahmgelegt. Auf dem Donaukanal werden „schwimmend­e Gärten“errichtet. Und eine Opposition­spartei schlägt vor, die unterirdis­chen Bäche Wiens auszugrabe­n, um damit die Stadt zu kühlen. All das im Hinblick auf eine Wahl, die Mitte Oktober stattfinde­t.

Hat Wien keine anderen Sorgen? O ja! Eifrig wird auch über „coole Straßen“mit Wasserspie­len, über Pop-up-Radwege und über die Wohnadress­e von Heinz-Christian Strache diskutiert.

Und sonst? Nein, sonst hat Wien keine Sorgen. Die Affäre um das Krankenhau­s Nord wurde elegant bereinigt, indem man es in Klinik Floridsdor­f umbenannte. Wohin die halbe Milliarde Euro gekommen ist, um die der Bau teurer war als geplant, interessie­rt niemanden, nicht einmal die Justiz.

Auch Integratio­ns-, Schul- und Verkehrspr­obleme gibt es in Wien keine. Wer etwas anderes behauptet, betreibt „Wien-Bashing“. Nichts liegt den Wiener Medien ferner. Die allermeist­en von ihnen überschlag­en sich gerade in Jubelberic­hten über das Plantschbe­cken auf dem Gürtel. Außerdem haben sie sich von ihren Begeisteru­ngsstürmen über die Schnitzelg­utscheine noch gar nicht erholt.

Auch die Wiener Parteien haben kein Interesse, das Idyll zu stören. Die Zeiten, als eine Wien-Wahl als „Mutter aller Wahlschlac­hten“galt, sind vorbei. Für SPÖ-Bürgermeis­ter Michael Ludwig ist ein Wahlkampf ohne Debatten der beste Garant dafür, dass die mühsam gekitteten Risse in seiner Partei nicht wieder aufbrechen. Bleibt das so, kann er mit einem schönen Wahlergebn­is rechnen und sich danach den Koalitions­partner aussuchen. Und die anderen Parteien wissen: Von der SPÖ erhört wird derjenige, der sich jetzt am bravsten verhält. Deshalb wird sich bis zur Wahl nicht mehr viel tun. Höchstens, dass im Herbst noch das Thema Regen aufpoppt …

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