Die Mutter aller Wählerverschaukelungen
Brot und Spiele? Nein, der Wahlkampf in Wien dreht sich um Schnitzel und Plantschen.
Demokratische Mitbestimmung hat in Wien Tradition. Vor wenigen Jahren durften die lieben Wienerinnen und Wiener darüber abstimmen, ob die künftige U-Bahn-Linie 5 eine rosa oder eine türkise Leitfarbe bekommen soll. Und soeben ging eine Abstimmung darüber zu Ende, ob die in Wiens Straßen neu installierten Sprühnebelduschen „Sommerspritzer“, „Wienbrise“oder „Regenbogenmaschine“heißen sollen. Es gewann „Sommerspritzer“.
Auch sonst steht der Wahlkampf für die Wiener Landtagswahl im Oktober ganz im Zeichen des zentralen Wahlkampfthemas Hitze. Eine wichtige Straßenkreuzung am Gürtel wurde von der Stadt soeben durch ein Plantschbecken für sechs Personen lahmgelegt. Auf dem Donaukanal werden „schwimmende Gärten“errichtet. Und eine Oppositionspartei schlägt vor, die unterirdischen Bäche Wiens auszugraben, um damit die Stadt zu kühlen. All das im Hinblick auf eine Wahl, die Mitte Oktober stattfindet.
Hat Wien keine anderen Sorgen? O ja! Eifrig wird auch über „coole Straßen“mit Wasserspielen, über Pop-up-Radwege und über die Wohnadresse von Heinz-Christian Strache diskutiert.
Und sonst? Nein, sonst hat Wien keine Sorgen. Die Affäre um das Krankenhaus Nord wurde elegant bereinigt, indem man es in Klinik Floridsdorf umbenannte. Wohin die halbe Milliarde Euro gekommen ist, um die der Bau teurer war als geplant, interessiert niemanden, nicht einmal die Justiz.
Auch Integrations-, Schul- und Verkehrsprobleme gibt es in Wien keine. Wer etwas anderes behauptet, betreibt „Wien-Bashing“. Nichts liegt den Wiener Medien ferner. Die allermeisten von ihnen überschlagen sich gerade in Jubelberichten über das Plantschbecken auf dem Gürtel. Außerdem haben sie sich von ihren Begeisterungsstürmen über die Schnitzelgutscheine noch gar nicht erholt.
Auch die Wiener Parteien haben kein Interesse, das Idyll zu stören. Die Zeiten, als eine Wien-Wahl als „Mutter aller Wahlschlachten“galt, sind vorbei. Für SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig ist ein Wahlkampf ohne Debatten der beste Garant dafür, dass die mühsam gekitteten Risse in seiner Partei nicht wieder aufbrechen. Bleibt das so, kann er mit einem schönen Wahlergebnis rechnen und sich danach den Koalitionspartner aussuchen. Und die anderen Parteien wissen: Von der SPÖ erhört wird derjenige, der sich jetzt am bravsten verhält. Deshalb wird sich bis zur Wahl nicht mehr viel tun. Höchstens, dass im Herbst noch das Thema Regen aufpoppt …