Nobelpreis für Swetlana Tichanowskaja
Vor den protestierenden Menschen in Belarus kann man sich nur tief verneigen. Auch wenn ihre Chancen auf Erfolg gegen null gehen.
Nach der offen gefälschten Präsidentenwahl vom Sonntag gingen nicht nur Zehntausende auf die Straße, um ihrer Empörung über Diktator Alexander Lukaschenko Luft zu machen. Sie stellten sich auch der schwer bewaffneten Sonderpolizei entgegen. Sie forderten Freiheit und ließen sich niederknüppeln.
All das ist umso beachtlicher, als die Chancen auf einen Erfolg der Protestbewegung gegen null tendieren. Denn klar ist, dass Lukaschenko nicht von sich aus weichen wird. Solange ihm Armee, Geheimdienst und Polizei folgen, wird er mit Gewalt weiterregieren. Aber ein Putsch gegen den Präsidenten ist nicht in Sicht. Seit seinem Amtsantritt vor 26 Jahren hat sich Lukaschenko den Sicherheitskomplex mit Geld und Privilegien gefügig gemacht.
Etwas Entscheidendes kommt hinzu: der Faktor Russland. Schon in den 1990er-Jahren wurden mehrere Unionsverträge zwischen den früheren Sowjetrepubliken geschlossen. Der russische Präsident Wladimir Putin hat zuletzt immer stärker auf eine „Wiedervereinigung“gedrängt – selbstverständlich unter Moskauer Führung. Am Ende ließ er Lukaschenko aber doch gewähren. Bis auf Weiteres.
Putins Rechnung ist simpel: Solange der Diktator in Minsk alle demokratischen Umtriebe im
Keim erstickt, braucht sich kein Russe die Hände schmutzig zu machen. Klar ist aber auch, dass
Putin in Belarus keine demokratischen Experimente dulden wird. Ein Putsch gegen Lukaschenko ist deshalb nur von Gnaden des
Kreml denkbar.
Das wiederum heißt für die mutigen Menschen in Belarus, dass sie selbst bei einem Sturz Lukaschenkos nicht bekämen, wonach sie sich sehnen. Weder Freiheit noch Gerechtigkeit. Beides verspricht Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, die nun ins Ausland fliehen musste, auch aus Angst um ihre Kinder. Dennoch: Ihr und den belarussischen Regimegegnern gebührt schon jetzt der Friedensnobelpreis. Nicht zuletzt als Zeichen der Ermutigung.
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