Salzburger Nachrichten

In Salzburg blühen schöne Stimmen auf

100 Jahre Salzburger Festspiele, das ist auch ein Jahrhunder­t der besten Sängerinne­n ihrer Zeit. Eine Box vereint auf 58 CDs Glanzpunkt­e.

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SALZBURG. Am Anfang ist „Arabella“. Und eine Stimme, die aufhorchen lässt. „Ich will nicht eine Frau sein – so eine wie du bist“, singt Lisa della Casa. Der Trotz blitzt in ihrer (noch) lyrischen Stimme auf. Und doch ist bereits dieses Leuchten in dieser Stimme, die in den folgenden Jahren zur prägenden ihrer Generation wird. Die Hosenrolle der Zdenka ist 1947 das Salzburger Festspiel-Debüt von Lisa della Casa, der späteren „Arabelliss­ima“.

Und es ist ein Geschenk, dass der Opernliebh­aber an diesem ersten Höreindruc­k Anteil haben darf, um dann die Entwicklun­g dieser Jahrhunder­tstimme weiterzuve­rfolgen. Die Deutsche Grammophon hat zum 100-Jahr-Jubiläum der Salzburger Festspiele eine opulente Box veröffentl­icht, die Glanzpunkt­e aus Oper und Konzert vereint. Lisa della Casa, die überragend­e Strauss-Interpreti­n, ist gleich an drei beteiligt.

1954 singt sie die Titelfigur in „Ariadne auf Naxos“. Eine unglaublic­he Spannweite eröffnet sich, von zartbitter­en Farben in der Tiefe bis hin zur verschwend­erischen Strahlkraf­t der Spitzentön­e. Die Anmut, mit der sie die extremen Sprünge dieser Partie bewältigt, ist überwältig­end. Und schließlic­h die Feldmarsch­allin im „Rosenkaval­ier“1960, der ihr allzu abrupter Abschied

aus Salzburg werden sollte: Gereift erscheint diese Zauberstim­me, das einstmals lyrische Soprantimb­re blüht zu voller dramatisch­er Größe auf, die es auch mit den Dimensione­n des damals nagelneuen Großen Festspielh­auses aufnimmt. „Du bist mein Bub, du bist mein Schatz“, tönt es in schillernd­sten Farben. Mit Sena Jurinac als Octavian und Hilde Güden als Sophie hat sie hochrangig­e Kolleginne­n an ihrer Seite. Dennoch sticht Lisa della Casas Stimme im Schlusster­zett heraus wie ein funkelnder Edelstein, von himmlische­r Linienführ­ung getragen.

Der Hörer kann an dieser Entwicklun­g über einen Zeitraum von dreizehn Festspiels­ommern teilhaben, und das ausschließ­lich in Gesamtaufn­ahmen

Festspiel-Tondokumen­te erinnern an eine Jahrhunder­tstimme: Lisa della Casa 1960 als Feldmarsch­allin im „Rosenkaval­ier“(großes Bild), 1947 als Zdenka in „Arabella“und 1954 mit Rudolf Schock in der „Ariadne auf Naxos“.

– purer Luxus! Viele weitere finden sich in dieser opulenten 58-CD-Box. Diese erlaubt somit etwa den Vergleich zwischen dem „Rosenkaval­ier“zur Eröffnung des Großen Festspielh­auses 1960 unter der Leitung Herbert von Karajans und der detailgena­ueren, durchhörba­r-luftigen Interpreta­tion Karl Böhms aus dem Jahr 1969 mit der idealen Stimmfarbe­nMelange von Christa Ludwig,

Tatiana Troyanos und Edith Mathis.

Die beiden konträren österreich­ischen Meisterdir­igenten nehmen in dieser kompakten Sammlung bereits bestehende­r Aufnahmen den größten Platz ein – und verkörpern programmat­ische Pole der Salzburger Festspielg­eschichte. Karl Böhm prägt über Jahrzehnte die Pflege der Hausgötter Richard Strauss und Wolfgang Amadé Mozart – wie etwa an einer exquisit besetzten „Così“mit Gundula Janowitz, Brigitte Fassbaende­r, Hermann Prey und Peter Schreier von 1974 nachzuhöre­n ist. Der Kosmopolit Herbert von Karajan hingegen öffnet die Salzburger Festspiele für das italienisc­he Repertoire und für Stars aus aller Welt. Ein „Don Carlo“von 1958 und ein „Trovatore“von 1962 mit einer phänomenal­en Leontyne Price finden sich als Belege für die Neuerfindu­ng Salzburgs als internatio­nales Opern-Mekka.

Ungeachtet aller programmat­ischen – und auch aufnahmete­chnischen – Neuerungen bilden die Wiener Philharmon­iker die Konstante. Nicht nur als unvergleic­hliches Opernorche­ster, sondern auch in den Konzerten sorgt der StammKlang­körper dieses Festivals für Sternstund­en. Einige davon sind in dieser Box vertreten: die Energielei­stung des Mahler-Exegeten Leonard Bernstein in einer der seltenen Festspiel-Aufführung­en von dessen monumental­er Achter Symphonie aus dem Jahr 1975; oder ein WagnerProg­ramm mit Herbert von Karajan in seinem vorletzten Festspiels­ommer 1987 und einer Jessye Norman, die den Liebestod aus „Tristan und Isolde“mit jeder Faser ihrer Wunderstim­me erfüllt.

Die Wiener Philharmon­iker bieten auch höchste Qualität, als der Großreform­ator Gerard Mortier nach Karajans Tod ihre Dominanz infrage stellt. Nur ein Tondokumen­t aus der Ära Mortier gelangte in die 100-Jahr-Box der Deutschen Grammophon, das jedoch besitzt Symbolkraf­t:

„Aus einem Totenhaus“, die erste Janáček-Opernprodu­ktion der Festspielg­eschichte im Jahr 1992, stand auch für eine Öffnung des Festivals für Musik des 20. Jahrhunder­ts.

Das 21. Jahrhunder­t ist mit einer ikonischen „Traviata“vertreten: 2005 sorgte Anna Netrebko gemeinsam mit Rolando Villazón für einen veritablen Hype. Auch die Entwicklun­g dieser Ausnahmest­imme unserer Zeit anhand ihrer Festspiela­uftritte abzubilden – von der lyrisch-zarten Donna Anna bei ihrem Salzburg-Debüt 2002 über die „Figaro“-Susanna 2006 bis zur massiv-dramatisch­en Aida 2017 – bleibt diese Jahrhunder­t-Box zuletzt leider schuldig.

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CD-Box: „100 Jahre Salzburger Festspiele“, 58 CDs, Deutsche Grammophon/ Universal.

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