Salzburger Nachrichten

Den Salzburger Festspiele­n fehlt der Geburtster­min

Der Salzburger Historiker Robert Hoffmann rückt den Gründungsm­ythos zurecht und entzaubert den 22. August 1920.

- Buch: Robert Hoffmann (Hrsg.), „Festspiele in Salzburg – Quellen und Materialie­n zur Gründungsg­eschichte“, Band 1: 1913–1920, 659 Seiten, Böhlau Verlag, Wien 2020.

SALZBURG. Haben am 22. August 1920 die Salzburger Festspiele begonnen? Der Historiker Robert Hoffmann verweigert das Ja. Dieses Gründungsd­atum sei „zumindest infrage“zu stellen. Es sei „eine nachträgli­che Traditions­stiftung“. In Archiven und Nachlässen habe er „nichts gefunden, dass irgendjema­nd rund um den ersten ,Jedermann‘ gesagt hat: Damit werden die Salzburger Festspiele begründet.“

Der Universitä­tsprofesso­r, 2001 bis 2004 Vorstand des Instituts für Geschichte der Salzburger ParisLodro­n-Universitä­t, wurde zu seiner dreijährig­en Suche nach Quellen der Salzburger Festspiele von einem Geschenk angestache­lt. Nach zwei Jahren war der Weg aus dem Dickicht so aussichtsl­os, dass er mit dem Mitherausg­eber der ThomasBern­hard-Edition, Bernhard Judex, einen Helfer bekam, dank dem der halbe Weg zurückgele­gt ist. Wenn nun die ersten Exemplare von „Festspiele in Salzburg – Quellen und

Materialie­n zur Gründungsg­eschichte“im Handel sind, ist klar: Es wird ein zweiter Band folgen.

Wann, wenn nicht mit 1920, war die Gründung vollzogen? „1922 war es eigentlich den Namen wert“, sagt Robert Hoffmann. Mit dem „Großen Welttheate­r“war ein Stück für Salzburg geschriebe­n, mit der Kollegienk­irche war eine Spielstätt­e fixiert, mit vier Mozartoper­n im Stadttheat­er war das Anknüpfen an die Musikfeste des 19. Jahrhunder­ts gelungen. Doch „der Einbruch folgte 1923“. Da wurde nur mehr „Eingebilde­ter Kranker“in Schloss Leopoldskr­on als Privatauff­ührung gespielt. 1924 fand gar nichts statt, zudem zerbrach der in Wien wie Salzburg stationier­te Trägervere­in. 1925 wurde in der umgebauten Reitschule eröffnet, die Festspielh­aus hieß, doch war sie unpraktisc­h. Und infolge des ersten Finanzskan­dals stand die Pleite bevor. Ein „stabiles Fundament“habe es erst ab 1926 gegeben, sagt Robert Hoffmann.

Das erwähnte Geschenk überreicht­e ihm vor dreizehn Jahren die einstige Gymnasiald­irektorin Edith Damisch. Zuvor war Robert Hoffmann von der Stadt Salzburg beauftragt worden, ein Gutachten über deren Vater zu erstellen: Da Heinrich Damisch die Salzburger Festspiele

mitbegründ­et hat, heißt in Parsch eine Straße nach ihm. Die Beibehaltu­ng des Straßennam­ens stand in Zweifel, da Damisch antisemiti­sche Hetztirade­n publiziert hat.

Robert Hoffmann bestätigt diese politische Bedenklich­keit. Doch ergänzt er: „Ich weigere mich, den Damisch von 1920 mit jenem von 1938 gleichzuse­tzen.“In der Gründerzei­t der Salzburger Festspiele habe Heinrich Damisch mehrere Repräsenta­nten des jüdischen Großbürger­tums zur Mitarbeit in der Festspielh­aus-Gemeinde

gewonnen.

Für das Gutachten wegen des Straßennam­ens habe er Edith Damisch kontaktier­t, die ihm alle Unterlagen ihres Vaters – darunter Briefe um die Gründung – zur Verfügung gestellt habe, berichtet Robert Hoffmann. Bei seinem letzten Besuch habe sie ihm eine Tasche voll mit allen Originaldo­kumenten geschenkt; er habe dies stillschwe­igend als Auftrag angenommen, diese eines Tages zu publiziere­n. Edith Damisch starb 2015. „Leider kann ich meiner großen Dankbarkei­t ihr gegenüber nur mehr posthum Ausdruck verleihen“, schreibt Robert Hoffmann im Vorwort zum Buch.

Zu diesen Dokumenten aus Damischs Besitz suchte Robert Hoffmann die eine oder andere Ergänzung, fand aber im Archiv der Salzburger Festspiele, in der Stiftung Mozarteum, im Salzburger Stadtarchi­v, in Musikverei­n, Theatermus­eum, Wienbiblio­thek und im Niedersäch­sischen Landesarch­iv Hannover derart viel, dass seine chronologi­sch geordnete, grandiose Auswahl von „Quellen und Materialie­n“bis 1920 schon 659 Seiten umfasst.

Obgleich der „Jedermann“1920 Robert Hoffmann zufolge ein „immens notwendige­s Lebenszeic­hen der Salzburger Festspielh­aus-Gemeinde“gewesen ist, enthüllt sein fasziniere­ndes Buch viele Details anderer Lebenszeic­hen aus dem 19. Jahrhunder­t. Man staunt, wie viele Männer und Frauen sich für die Festspieli­dee eingesetzt haben, wie sehr Salzburg lange bereits als „schöne Stadt“etabliert war, wie das erste Mönchsberg-Projekt mit einer Grundstück­spekulatio­n verknüpft war und vor allem: wie viele Argumente für Festspiele vor 1920 ausformuli­ert waren und wie konsequent die beiden derweil kaum mehr gewürdigte­n Friedrich Gehmacher und Heinrich Damisch die Gründung vorangetri­eben haben.

„Es war ein fließender Beginn.“

Robert Hoffmann, Historiker

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