Den Salzburger Festspielen fehlt der Geburtstermin
Der Salzburger Historiker Robert Hoffmann rückt den Gründungsmythos zurecht und entzaubert den 22. August 1920.
SALZBURG. Haben am 22. August 1920 die Salzburger Festspiele begonnen? Der Historiker Robert Hoffmann verweigert das Ja. Dieses Gründungsdatum sei „zumindest infrage“zu stellen. Es sei „eine nachträgliche Traditionsstiftung“. In Archiven und Nachlässen habe er „nichts gefunden, dass irgendjemand rund um den ersten ,Jedermann‘ gesagt hat: Damit werden die Salzburger Festspiele begründet.“
Der Universitätsprofessor, 2001 bis 2004 Vorstand des Instituts für Geschichte der Salzburger ParisLodron-Universität, wurde zu seiner dreijährigen Suche nach Quellen der Salzburger Festspiele von einem Geschenk angestachelt. Nach zwei Jahren war der Weg aus dem Dickicht so aussichtslos, dass er mit dem Mitherausgeber der ThomasBernhard-Edition, Bernhard Judex, einen Helfer bekam, dank dem der halbe Weg zurückgelegt ist. Wenn nun die ersten Exemplare von „Festspiele in Salzburg – Quellen und
Materialien zur Gründungsgeschichte“im Handel sind, ist klar: Es wird ein zweiter Band folgen.
Wann, wenn nicht mit 1920, war die Gründung vollzogen? „1922 war es eigentlich den Namen wert“, sagt Robert Hoffmann. Mit dem „Großen Welttheater“war ein Stück für Salzburg geschrieben, mit der Kollegienkirche war eine Spielstätte fixiert, mit vier Mozartopern im Stadttheater war das Anknüpfen an die Musikfeste des 19. Jahrhunderts gelungen. Doch „der Einbruch folgte 1923“. Da wurde nur mehr „Eingebildeter Kranker“in Schloss Leopoldskron als Privataufführung gespielt. 1924 fand gar nichts statt, zudem zerbrach der in Wien wie Salzburg stationierte Trägerverein. 1925 wurde in der umgebauten Reitschule eröffnet, die Festspielhaus hieß, doch war sie unpraktisch. Und infolge des ersten Finanzskandals stand die Pleite bevor. Ein „stabiles Fundament“habe es erst ab 1926 gegeben, sagt Robert Hoffmann.
Das erwähnte Geschenk überreichte ihm vor dreizehn Jahren die einstige Gymnasialdirektorin Edith Damisch. Zuvor war Robert Hoffmann von der Stadt Salzburg beauftragt worden, ein Gutachten über deren Vater zu erstellen: Da Heinrich Damisch die Salzburger Festspiele
mitbegründet hat, heißt in Parsch eine Straße nach ihm. Die Beibehaltung des Straßennamens stand in Zweifel, da Damisch antisemitische Hetztiraden publiziert hat.
Robert Hoffmann bestätigt diese politische Bedenklichkeit. Doch ergänzt er: „Ich weigere mich, den Damisch von 1920 mit jenem von 1938 gleichzusetzen.“In der Gründerzeit der Salzburger Festspiele habe Heinrich Damisch mehrere Repräsentanten des jüdischen Großbürgertums zur Mitarbeit in der Festspielhaus-Gemeinde
gewonnen.
Für das Gutachten wegen des Straßennamens habe er Edith Damisch kontaktiert, die ihm alle Unterlagen ihres Vaters – darunter Briefe um die Gründung – zur Verfügung gestellt habe, berichtet Robert Hoffmann. Bei seinem letzten Besuch habe sie ihm eine Tasche voll mit allen Originaldokumenten geschenkt; er habe dies stillschweigend als Auftrag angenommen, diese eines Tages zu publizieren. Edith Damisch starb 2015. „Leider kann ich meiner großen Dankbarkeit ihr gegenüber nur mehr posthum Ausdruck verleihen“, schreibt Robert Hoffmann im Vorwort zum Buch.
Zu diesen Dokumenten aus Damischs Besitz suchte Robert Hoffmann die eine oder andere Ergänzung, fand aber im Archiv der Salzburger Festspiele, in der Stiftung Mozarteum, im Salzburger Stadtarchiv, in Musikverein, Theatermuseum, Wienbibliothek und im Niedersächsischen Landesarchiv Hannover derart viel, dass seine chronologisch geordnete, grandiose Auswahl von „Quellen und Materialien“bis 1920 schon 659 Seiten umfasst.
Obgleich der „Jedermann“1920 Robert Hoffmann zufolge ein „immens notwendiges Lebenszeichen der Salzburger Festspielhaus-Gemeinde“gewesen ist, enthüllt sein faszinierendes Buch viele Details anderer Lebenszeichen aus dem 19. Jahrhundert. Man staunt, wie viele Männer und Frauen sich für die Festspielidee eingesetzt haben, wie sehr Salzburg lange bereits als „schöne Stadt“etabliert war, wie das erste Mönchsberg-Projekt mit einer Grundstückspekulation verknüpft war und vor allem: wie viele Argumente für Festspiele vor 1920 ausformuliert waren und wie konsequent die beiden derweil kaum mehr gewürdigten Friedrich Gehmacher und Heinrich Damisch die Gründung vorangetrieben haben.
„Es war ein fließender Beginn.“
Robert Hoffmann, Historiker